Künstler können sich glücklich schätzen. Wohl keine Branche verfügt über so viele Experten und Fachleute wie die Kunst. Nahezu Jeder und Jede kann Kunst definieren, beurteilen und bewerten. Am schnellsten und besten in ihrer Einschätzung sind Spezialisten ohne Affinität zur Kunst. Die begutachten eine Arbeit quasi im Vorbeigehen und trennen gleich die Spreu vom Weizen. Das ist keine Kunst, lautet das Urteil, und der Künstler weiß gleich, woran er ist. Wer dennoch weitermacht, mit seinem Geschmiere, ist selber schuld. Besser dran sind jene Künstler, die dem ästhetischen Imperativ folgend Kunst geschaffen haben, die auch vor dem schnellen Blick der Auskenner Bestand hat. Hin und wieder wird dabei auch Kitsch oder Dekoration mit dem Prädikat KUNST versehen − aber so funktioniert Demokratie.
Der einzige, der wirklich weiß, was Kunst ist, ist der Künstler bzw. die Künstlerin. Kunst ist … die EIGENE Kunst! Großmütige lassen noch zwei, drei Zeitgenossen, befreundete Kolleginnen und nicht konkurrenzfähige Verstorbene gelten, aber im Prinzip…
Kaum differenzierter gehen da Profis vor. Auch die sind schnell in der Meinungsfindung und wissen gleich, was Kunst ist und was gehandelt, gekauft, gesammelt und promotet wird: Was sich irgendwie zu Geld machen lässt, ist Kunst. Der Rest – irrelevant. Für manche Parteien ist Kunst nur Kunst, wenn sie die Schönheit des eigenen Landes hervorhebt, und für ganz Fromme darf unverhüllte Kunst nur Verhülltes zeigen. In einigen Ländern muss Kunst ornamental sein, sonst ist es keine Kunst, sondern Sünde. Abhängig von der Perspektive und der Motivation des Rezipienten wird Kunst immer anders definiert, beurteilt, auf- und abgewertet, gehypt, verboten oder vernichtet. Da wird es schwer, mit der Kunst.
Und wissen Sie was? Die haben Recht. Alle. Denn Kunst ist Vielfalt, und die Kunst ist frei. Kunst entsteht (nein, nicht im Auge des Betrachters!) im Kopf des Künstlers, und wie auch immer er oder sie Kunst definiert, ist es gut. Gerade das freie künstlerische Denken eröffnet der Kunst immer neue Wege und Formen der Gestaltung. Auf diese Weise sind Im- und Expressionismus entstanden, Pop-Art, Abstrakt, Minimalismus, Konzeptkunst, Comic-style, Dripping, Street Art und, und, und.
Die wunderbare Diversität von Kunst ist das Ergebnis innovativen Denkens, freier Kreativität und schöpferischer Potenz. Sie inspiriert ihre Betrachter, ebenfalls neu zu denken und zu fühlen, und ist somit auch gesellschaftspolitisch relevant. Das Gleiche gilt für die Musik. Jeder kann heute hören, wonach ihn gelüstet. Schlager-Fans dürfen ebenso selig mitschunkeln wie Jazz-Begeisterte mit dem Fuß wippen, Heavy-Metal-Fans mitbrüllen oder Klassik-Freunde entrückt ihrer Musik lauschen. Das Einzig-Wahre gibt es schon lange nicht mehr, und das ist gut so. So viele Sorten von Mensch es gibt, so viel Kunst gibt es, und vielleicht führt die Lust an der Diversität sogar irgendwann dazu, dass wir endlich auch die Verschiedenheit der Menschen nicht nur als Bedrohung gewohnter Begrenztheiten empfinden, sondern als Bereicherung.