Ein Gesicht prägt die Kunst und schreibt Geschichte
Das bekannteste Werk der über 300.000 Exponate zählenden Czartoryski Sammlung in Krakau ist „Die Dame mit dem Hermelin“, ein kleines (54,7 x 40,5 cm), um 1489/90 von Leonardo da Vinci mit Öl und Tempera auf Nussbaumhaulz gemaltes Porträt, welches erst im 20. Jahrhundert entschlüsselt werden konnte. Die von Leonardo da Vinci (1452−1519) verewigte Schöne mit dem weißen Hermelin, auf dem ihre überdimensional große linke Hand ruht, blickt zusammen mit ihm nach rechts auf eine bewegte Vergangenheit zurück: 1473 wurde sie als Cecilia Gallerani in Mailand geboren, war intelligent, gebildet, sprach Latein, schrieb Gedichte, kannte sich in Philosophie und Theologie aus. Anfang 1489 fiel die 16-jährige „donna docta“ (gelehrte Dame) Ludovico Sforza (1452−1508), Herzog von Mailand − wegen seines dunklen Teints „Il Moro“ genannt − ins Auge.
Doch ihre Liaison währte nicht lange, denn dem „Mohren“ war eine andere Gattin auserkoren. Am 18. Januar 1491 ehelichte er Beatrice (1475−1497), die Tochter des Herzogs von Ferrara, Ercole I. d’Este. Knappe vier Monate später wurde Cesare, der Sohn von Cecilia Gallerani und Ludovico Sforza geboren. Als Geschenk erhielt sie von Sforza ihr von da Vinci gemaltes Konterfei sowie den Palazzo Carmagnola, damit sie nach ihrem Abgang vom Mailänder Hof angemessen wohnen konnte. Der „Mohr“ suchte seiner Mätresse auch einen Ehemann aus. Im Juni 1492 heiratete sie den Grafen Ludovico Carminati de Brambilla, genannt Bergamini. Cecilia Gräfin Bergamini überlebte alle, die ihr mehr oder weniger nahe standen: die Rivalin Beatrice, den Geliebten und den Gatten, ihre fünf Kinder und Leonardo da Vinci. Mit 63 Jahren starb sie 1536 auf ihrem Schloss San Giovanni in Croce bei Cremona.
Die Nachwelt bekam das heute mit 300 Millionen Euro versicherte, in einem Kasten aus zwölf Millimeter Panzerglas platzierte Porträt der Cecilia Gallerani erst nach fast drei Jahrhunderten zu sehen. In wessen Besitz es sich nach ihrem Tod befand, ist unbekannt. „Die Dame mit dem Hermelin“ tauchte erst 1800 auf. Das Bild wurde von Adam Jerzy Fürst Czartoryski (1770−1861) wahrscheinlich in Italien gekauft. Der polnische Fürst schenkte es seiner Mutter Izabela (1746−1835), die in ihrer Residenz in Puławy bei Lublin eine Kunstsammlung aufbaute. Die Fürstin verglich das Porträt mit einem anderen Konterfei aus da Vincis Hand, das die Geliebte des französischen Königs Franz I. (1494−1547), Madame Féron, genannt „La Belle Ferronière“, darstellte, und kam zum Schluss, dass es sich um dieselbe Person handelt. Sie ließ in der linken oberen Bildecke die bis heute in unveränderbarer Schreibform erkennbare Aufschrift „La Belle Ferronière – Leonardo da Winci“ anbringen, doch damit begnügte sie sich nicht: Wohl auf Geheiß der Fürstin wurde das Bild „nachgebessert“. Der ursprünglich lichtdurchflutete blaugrüne Hintergrund wurde mit schwarzer Farbe übermalt. Die Korallenkette, das Stirnband und die Verzierungen des Kleides wurden mit einer dicken Farbschicht bedeckt, die Wangen der „Dame“ mit Rosa „gepudert“, die Konturen der Nase, die Augenbrauen und die Haarsträhnen mit dunkelbraunen Strichen nachgezogen, die Pupillen mit dunkelbrauner Farbe gefüllt.
So ging das für da Vincis Malerei charakteristische Sfumato unwiderruflich verloren. Das Porträt hing bis 1830 in der Czartoryski-Residenz in Puławy. Nach der Niederlage des Novemberaufstands, als die Russen die Czartoryski-Besitztümer beschlagnahmten, gelangte es 1831 nach Paris. Über 30 Jahre später kehrte „Die Dame mit dem Hermelin“ nach Polen zurück und war eines der Hauptwerke des am 1. Dezember 1876 eröffneten Czartoryski-Museums in Krakau. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Porträt als Bildnis der Cecilia Gallerani identifiziert: Das führte man einerseits auf ihren Namen zurück, in dem das griechische Wort „galée“ (Hermelin) steckt, andererseits fanden Historiker heraus, dass Ludovico Sforza 1488 vom König Ferdinand von Neapel der Hermelinorden verliehen wurde, was dem „Mohren“ den Beinamen „Ermellino Bianco“ (weißes Hermelin) brachte. Das Hermelin auf Cecilias Porträt ist offensichtlich eine Allegorie ihres Geliebten.
Im 20. Jahrhundert geriet „Die Dame mit dem Hermelin“ in die Wirren der Geschichte. Während des Ersten Weltkriegs wurde das Porträt in der Dresdner Gemäldegalerie deponiert; erst 1920 kehrte es nach Krakau zurück. 1939 wurde es von den deutschen Besatzern beschlagnahmt, nach Berlin verschleppt und im Kaiser-Friedrich-Museum verwahrt. Obwohl es für die Sammlung des geplanten „Führer-Museums“ in Linz bestimmt war, riss sich Hans Frank, Leiter des Generalgouvernements im besetzten Polen, der im Wawel − einstiger Sitz der polnischen Könige in Krakau − residierte, die „Dame“ unter den Nagel. Im Januar 1945 nahm er sie zusammen mit anderer Beutekunst mit auf die Flucht vor der Roten Armee. Am 4. Mai 1945 wurde Frank von USamerikanischen Soldaten in Neuhaus am Schliersee in Bayern festgenommen und in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tode verurteilt. 1946 kehrte „Die Dame mit dem Hermelin“ nach Polen zurück. Das Foto des Kunsthistorikers Dr. Karol Estreicher (1906−1984), Leiters der Rückführungskommission der polnischen Exilregierung in London, der das gerettete Bild auf dem Krakauer Hauptbahnhof präsentierte, machte Schlagzeilen. Die Volksrepublik Polen verstaatlichte die Czartoryski-Sammlung nicht, sie wurde vom Nationalmuseum Krakau betreut. Nur einmal ging in dieser Zeit das Porträt auf Reisen: 1972 wurde es im Puschkin-Museum in Moskau gezeigt. 1991 begann für die „Dame“ eine neue umtriebige Ära: Die Czartoryski-Sammlung wurde der Czartoryski-Familie, vertreten durch Adam Karol Prinz Czartoryski-Bórbon, geboren 1940 in Sevilla, übergeben. Bis 2012 reiste das wertvolle Bild rund um die Welt. Seitdem ist es wieder in der ehemaligen polnischen Hauptstadt zu sehen. Nachdem es im Wawel ausgestellt war, zog es am 19. Mai 2017 ins Nationalmuseum Krakau, wo das kleine Konterfei ganz allein in einem großen Saal hängt und von 28 Personen zugleich goutiert werden darf. Das Fotografieren des Originals ist zwar verboten, doch das Publikum muss auf das Knipsen nicht verzichten: Es gibt nämlich eine Ecke mit der Reproduktion der Kunstikone, in der es – neben lustigen Parolen und einem Hermelin aus Pappe – so ziemlich alles gibt, was sich auf einem Selfie verewigen lässt.