Kunst in der Krise – heute, morgen, gestern

Geschlos­sen. Die Welt steht still, und wir alle noch unter Schock, mit wel­cher Bra­chi­al­ge­walt Ent­schleu­ni­gung und Iso­la­ti­on kamen. Es gibt bereits Arti­kel, die von unse­rem Leben nach Covid-19 spre­chen, wäh­rend ich noch lan­ge nicht fer­tig bin mit dem Jetzt – geschwei­ge denn mit dem, was vor der Coro­na-Kri­se war. Unmit­tel­bar, nach­dem am 15. März 2020 in Öster­reich die Aus­gangs­sper­re ver­hängt wur­de, erschien Mon­tag­mor­gen in der Ber­li­ner Zei­tung ein Arti­kel mit dem Unter­ti­tel „Iso­la­ti­on erhöht die Kon­zen­tra­ti­on. Das ist gut für die Krea­ti­vi­tät und setzt Ideen frei.“, was ich zu die­sem Zeit­punkt nicht nur als blan­ken Hohn emp­fand, son­dern auch grund­sätz­lich nicht so unter­schrei­ben wür­de. Allent­hal­ben pro­pa­gier­te die kom­plet­te Bericht­erstat­tung in einer Spra­che, die ein­sei­tig gelenkt war – und ihren Zweck erfüll­te, Alarm und den Kata­stro­phen­fall zu signa­li­sie­ren. Dass wir medi­zi­nisch kei­ne Exper­ten sind und auf eben derer Rat, die Virus­ver­brei­tung ein­zu­däm­men, ange­wie­sen sind, steht außer Fra­ge, aber einen kri­tisch-kon­struk­ti­ven Aus­tausch zu den Gescheh­nis­sen, ins­be­son­de­re den mas­si­ven Ein­schrän­kun­gen unse­rer Grund­rech­te, habe ich schmerz­lich vermisst.

Beein­dru­ckend anders hin­ge­gen: all die guten Initia­ti­ven, um krea­tiv Stra­te­gien für neue For­men von Arbeit und Zusam­men­sein zu ent­wi­ckeln. In vir­tu­el­len Chat­räu­men tref­fen sich Grup­pen zu Kon­fe­ren­zen, Dis­kus­sio­nen oder Unter­richt, Kunst­räu­me und Gale­rie­aus­stel­lun­gen kön­nen online in 360°-3D-Rundgängen besucht wer­den, Pod­casts, Klas­sik­kon­zer­te sowie Yoga-Ses­si­ons ver­viel­fäl­ti­gen sich rasch. Wir Men­schen brau­chen das. Nicht ohne Grund sind Kul­tur­schaf­fen­de wie Kunst­lie­ben­de stän­dig an Kunst­or­ten ver­sam­melt gewe­sen. Inwie­fern es nun finan­zi­el­le Unter­stüt­zung durch Bund und Län­der geben wird, die freie Krea­tiv­sze­ne sowie unser geschätz­tes kul­tu­rel­les Leben auf­zu­fan­gen, bleibt abzu­war­ten, aber in jedem Fall wer­den wir gemein­sam neue Sphä­ren – Tools und Räu­me – erfinden.

Frei­heit wird wahr­schein­lich noch ein­mal eine ande­re Wer­tig­keit bekom­men, nicht nur phy­sisch, son­dern auch men­tal: Sind mir bei Aus­stel­lungs- oder Mes­se­er­öff­nun­gen vor Kur­zem noch Künst­ler vol­ler Erschöp­fung in die Arme gefal­len, weil sie dem selbst­ge­wähl­ten Hams­ter­rad – von der künst­le­ri­schen Arbeit bis zur umfas­sen­den Ver­mark­tung (wozu auch die Prä­senz bei den Ver­nis­sa­gen der ande­ren gehört) – nicht ent­stei­gen konn­ten, wird es nach der Kri­se einen ver­klei­ner­ten Markt geben. Bereits wäh­rend des Shut­downs aller­dings wer­den die in sich gefes­tig­ten Künst­ler wei­ter­ma­chen, weil Künst­ler um der Kunst wil­len schaf­fen – und nicht für die Ver­käuf­lich­keit. Mit der Kunst ver­hält es sich eben anders als mit uns sonst bekann­ten Pro­duk­ten – der Erfolgs­mes­sung soll­te das Werk an sich die­nen, ob es stark ist, und nicht, wie vie­le bereits ver­kauft wur­den. Es führ­te vor allem für Künst­ler, aber durch das Über­an­ge­bot auch für Betrach­ter und jun­ge Samm­ler, schon oft zu einem Dilem­ma, Busi­ness­stra­te­gien der ande­ren Märk­te auf die Kunst­wirt­schaft anwen­den zu wol­len. Viel­leicht wird es nun künf­tig eine neue Selbst­wahr­neh­mung geben, auf bei­den Sei­ten? Kunst muss frei ent­ste­hen – nicht markt­re­le­vant. Kunst als Lebens­hal­tung ist leben­dig, viel­fäl­tig, schöp­fe­risch, über­zeugt, cou­ra­giert. Immer aus sich selbst her­aus – das ist die Leis­tung der Kunst­schaf­fen­den in unse­rer Gemeinschaft.

Eine enorm berei­chern­de Ent­de­ckungs­rei­se wird es für uns, wenn sich jeder nur etwas Zeit nimmt – mein ers­ter Rat an Samm­ler. Es ist wich­tig, eigen­ver­ant­wort­lich Räu­me oder Platt­for­men zu fin­den, die uns dar­in bestär­ken, selbst eine Mei­nung zu bil­den. Wäh­rend der momen­ta­nen Zwangs-Ent­schleu­ni­gung haben wir alle die Chan­ce, uns noch ein­mal auf neue Wege zu begeben.

Blei­ben Sie gesund und neugierig! 

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geschrieben von

lebt in Berlin und ist als Sammlungsexpertin, Kritikerin, Autorin und Moderatorin tätig. Ihr Fokus liegt auf dem von ihr gegründeten Collectors Club Berlin – und damit der Pflege von Sammlungen und deren Sichtbarwerdung. In den Ausstellungen der Kunstgesellschaft und den kreativen Projekten des Netzwerks soll Kunst unabhängig vom ‚Kapitalmarkt‘ gezeigt werden. Junge Kunstströmungen verbinden sich hier mit Positionen aus künstlerischen Nachlässen und – unveräußerbaren – Werken in Sammlungen.

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