Ciao Concetto! Die Zeit der Erinnerung

Concetto Pozzati

Es fällt mir nicht leicht, über mei­nen Vater als Künst­ler zu schrei­ben, denn es gab immer ein stil­les Ein­ver­neh­men zwi­schen uns, dass ich als Kunst­kri­ti­ke­rin nur mei­nen eige­nen Inter­es­sen nach­ge­hen und mei­ne Weg­be­glei­ter wäh­len wür­de und mich daher nicht mit sei­ner Arbeit „beschäf­ti­gen“ wür­de. Aber weil er jetzt ver­schie­den ist, ord­nen wir, mein Bru­der Jaco­po und ich, die Bil­der in sei­nem Ate­lier, wir küm­mern uns um das Archiv, wir spre­chen mit Samm­lern, wir pla­nen einen Ort und ver­su­chen, das kul­tu­rel­le Erbe, das er uns hin­ter­las­sen hat, zur Gel­tung zu brin­gen. Aus die­sem Grund spen­de­ten wir am 1. Dezem­ber 2018, sei­nem Geburts­tag, über 5.000 Bän­de an das Muse­um MAM­bo in Bolo­gna und wid­me­ten ihm einen neu­en Flü­gel der Biblio­thek. Und aus die­sem Grund bin ich der Auf­for­de­rung nach­ge­kom­men, über mei­nen Vater zu schreiben

Begin­nen wir am Anfang: Con­cet­to Poz­za­ti wur­de am 1. Dezem­ber 1935 in Vo’ Vec­chio in der Pro­vinz Padua gebo­ren. Sein Vater Mario Poz­za­ti war ein Künst­ler, der nach Argen­ti­ni­en aus­ge­wan­dert ist, um als Wer­be­pla­kat­ma­ler zu arbei­ten, ein Freund von De Chi­ri­co, De Pisis, Car­rà, Gui­di, Lici­ni und Moran­di, der ihn „der Mil­lio­när“ nann­te, weil er in den 1920er Jah­ren ein Ver­mö­gen gemacht hat­te. Sein Onkel war Severo Poz­za­ti, Sepo genannt, der sowohl in Frank­reich als auch in Ita­li­en aktiv war und als einer der wich­tigs­ten Wer­be­pla­kat­ma­ler der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts gilt. 1942 ent­schließt sich Mario, mit sei­ner Fami­lie nach Asia­go zu zie­hen (Con­cet­to hat eine älte­re Schwes­ter, Chia­ra, die einen wei­te­ren Künst­ler namens Wol­fan­go hei­ra­ten wird), wo er 1947 stirbt und in sei­nem zwölf­jäh­ri­gen Sohn eine unaus­füll­ba­re Lee­re und ein Heim­weh nach der Male­rei hin­ter­lässt, die erst gegen Ende der Fünf­zi­ger­jah­re explo­die­ren wird, als er nach sei­nem Umzug nach Bolo­gna im Jahr 1955 am Staat­li­chen Kunst­in­sti­tut das Abitur mach­te. In die­ser Zeit wird das künst­le­ri­sche Kli­ma in der Stadt vom Infor­mel domi­niert und hat in Fran­ces­co Arc­an­ge­li sei­ne Bezugs­per­son: Die Köp­fe, die Poz­za­ti malt, haben eine star­ke dra­ma­ti­sche Span­nung und eine exis­ten­zi­el­le Unru­he in sich, wie er sie selbst in sei­nen Auf­zeich­nun­gen beschreibt (die Pflicht­lek­tü­re für alle, die sich sei­nem Gemäl­de nähern wol­len): „Ich zie­he das Gesicht dem … Kopf vor. Das Gesicht ist ein ver­ti­ka­ler Spa­gat, der auf Zei­chen gezeich­net ist. Die Sum­me lässt ein Gesicht erschei­nen: eben ein Gesicht aus Zeichen.

Der Kopf hin­ge­gen besteht aus Löchern, schwar­zen Gru­ben, Öff­nun­gen und braucht Mate­ri­al.“ 1959 ist ein wich­ti­ges Jahr für Poz­za­ti, denn er ver­lässt die Stadt und lan­det in der Gale­rie La Sali­ta in Rom und in der Gale­rie dell’Annunciata in Mai­land, wo er Car­lo Car­rà ken­nen­lernt, einen alten Freund sei­nes Vaters, und Lucio Fon­ta­na, der ein Bild von den Aus­stel­lungs­stü­cken kauft. Von die­sem Moment an bis 1962 tau­chen auf den Lein­wän­den orga­ni­sche Mor­pho­lo­gien auf, die den Wunsch aus­drü­cken, das Infor­mel zu ver­las­sen, um eine immer kla­re­re Defi­ni­ti­on des Bil­des zu fin­den. Zwi­schen 1963 und 1965 ist der Künst­ler auf den Bien­na­len von Tokio, Sao Pau­lo in Bra­si­li­en, Spo­le­to und San Mari­no ver­tre­ten und erreicht mit sei­ner Teil­nah­me an der XXXII. Bien­na­le in Vene­dig, wohin er mit erst 28 Jah­ren von Cesa­re Gnu­di und Mau­ri­zio Cal­ve­si geru­fen wur­de, den Höhe­punkt sei­ner Popu­la­ri­tät: eine his­to­ri­sche Bien­na­le, die das Debüt der ame­ri­ka­ni­schen Pop Art in Ita­li­en mar­kiert, die gera­de dort in Vene­dig ihre Aner­ken­nung fin­det. Kurz danach erhält er eine wei­te­re bedeu­ten­de Ein­la­dung auf inter­na­tio­na­lem Niveau: Er wird gebe­ten, an der docu­men­ta III in Kas­sel teil­zu­neh­men, wo er im sel­ben Raum wie Jas­per Johns aus­stellt. Die Pop Art von Con­cet­to Poz­za­ti hat ihre ganz eige­ne Beson­der­heit, die sich vor allem in der Defi­ni­ti­on des Raums und in der Anord­nung der Objek­te bemerk­bar macht. Sie erschei­nen, als ob sie auf­ge­reiht wären, und wer­den zu Iko­nen der Gleich­zei­tig­keit. In einem 1976 auf Bolaf­fiar­te ver­öf­fent­lich­ten Inter­view ant­wor­te­te Poz­za­ti auf die Fra­ge, was die Pop Art für sei­ne Gene­ra­ti­on bedeu­tet hat: „Die Kom­mer­zia­li­sie­rung in den Fokus rücken.

Wir haben begrif­fen, dass jede Kunst­form ein Pro­dukt wie jedes ande­re war, nichts ande­res als eine Ware. Im Gegen­satz zu den Ame­ri­ka­nern war es für uns jedoch nie eine Fra­ge der Glo­ri­fi­zie­rung der Waren, son­dern viel eher eine Fra­ge des Bewusst­seins, Kunst auf eine Ware zu reduzieren…Ich begriff, dass pri­va­te Bil­der nicht nur mit öffent­li­chen Pla­kat­bil­dern kol­li­dier­ten, son­dern dass auch der Pri­va­te und der öffent­li­che Bereich die Rol­len tausch­ten. Bei­spiels­wei­se wur­de die Bir­ne (die­je­ni­ge des Pla­kats ‚Der­by-Bir­ne‘) bei mir die ‚Poz­za­ti-Bir­ne‘. Das Pro­dukt ver­ein­te in sich sämt­li­che sprach­li­chen Wider­sprü­che“. Ab 1967 taucht in den Bil­dern von Poz­za­ti ein neu­es Ele­ment auf, das sich mit der Male­rei aus­tauscht: der Spie­gel. Das sind dann die For­men der Bir­nen und Toma­ten, die aus Spie­geln bestehen, die dem Betrach­ter wäh­rend des Betrach­tens das Bild von sich selbst und der Umge­bung zurück­ge­ben, so als ob man die Dop­pel­deu­tig­keit der Male­rei unter­strei­chen woll­te, die aus Fik­ti­on und Natur, Hand­fer­tig­keit und men­ta­ler Inter­ven­ti­on besteht. In einem Inter­view mit Tom­ma­so Tri­ni erklärt er spä­ter, im Jahr 1973: „Es ist spie­geln­des Glas, ein offen­sicht­li­cher Spie­gel, also von Hand ver­sil­ber­tes Glas. Ich habe es absicht­lich gewählt, in vol­lem Bewusst­sein des fin­gier­ten Kon­sums, wohl wis­send, dass der Spie­gel nach 3 Jah­ren weni­ger klar sein wird, dass er in 10 Jah­ren anfan­gen wird, blin­de Fle­cke zu haben, und in 15 Jah­ren alt sein wird…Was war er dann? Er war die Bir­ne, die zur Betrach­te­rin wur­de, das heißt, die betrach­te­te Bir­ne ent­hielt gleich­zei­tig wei­te­re Bil­der, die sie betrach­te­ten. Und gleich­zei­tig war sie auch ein Bild, das über sich selbst wach­te“. Von 1967, dem Jahr, in dem Poz­za­ti an der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te in Urbi­no zu leh­ren begann, bis 1972 dau­er­te die ent­my­thi­sie­rends­te Pha­se sei­ner Arbeit: Der iro­ni­sche Poz­za­ti, der „Räu­ber“ Poz­za­ti, Poz­za­ti als „Voy­eur“, all dies sind Eti­ket­ten, die ihm von den auf­merk­sams­ten Kri­ti­kern gege­ben wer­den (Gui­do Bal­lo, Enri­co Cris­pol­ti, Giu­sep­pe Mar­chio­ri, Rober­to Sane­si, Tom­ma­so Tri­ni, Alber­to Boat­to), die imstan­de waren, dem Weg des Künst­lers in den Jah­ren 1973−1976 zu fol­gen. Es sind die Jah­re der „emp­fan­ge­nen Ideen“ und der „Restau­ra­ti­on“ (es sei dar­an erin­nert, dass Poz­za­ti 1972 auf der XXXVI. Bien­na­le von Vene­dig und auf der 10. Qua­dri­en­na­le von Rom aus­stell­te. Und 1974 war ihm im Palaz­zo Gras­si in Vene­dig eine groß­ar­ti­ge Antho­lo­gie gewid­met, die für die Kri­ti­ker zu einer Gele­gen­heit wur­de, den Gedan­ken­gang über sei­ne Male­rei glo­bal zu bestätigen).

Con­cet­to Poz­za­ti, tem­po sospe­so, © Vitto­rio Valentini

Im per­sön­li­chen Aus­stel­lungs­ka­ta­log des Palaz­zo del­le Espo­si­zio­ni in Rom 1976 sagt der Maler: „Der Raub, die von mir bean­spruch­te Frei­heit des Rau­bes (Mar­chio­ri defi­nier­te mich mit einem Aben­teu­er­geist als „Kor­sar der Male­rei“) war es nicht ein Aus­lei­hen oder eine Plün­de­rung, son­dern der kri­ti­sche Gebrauch eines Arse­nals, das geschaf­fen wur­de, um zu nut­zen, um benutzt zu wer­den. NUTZEN IST MACHEN“. Von 1977 bis 1982 bezog Poz­za­ti in sei­nen neu­en Wer­ken per­sön­li­che Ele­men­te ein, pri­va­te Bil­der, die Zeit der Erin­ne­rung: Dies war ein­mal mehr die typi­sche Dua­li­tät des Künst­lers, zwi­schen per­sön­li­cher Erin­ne­rung und his­to­ri­scher Erin­ne­rung, zwi­schen pri­va­ter Geschich­te und öffent­li­cher Geschich­te. Es ent­stand der Zyklus „Drau­ßen vor der Tür“, bei dem alte Foto­gra­fien, Skiz­zen, Brief­um­schlä­ge und Post­kar­ten in far­bi­gen Vinyl­kle­ber ein­ge­ar­bei­tet wer­den, wodurch sie vor­zei­tig ver­gilb­ten. Bis hin zu „Nach allem“, dem Titel eines sei­ner berühm­ten Wer­ke aus dem Jahr 1980, von dem er selbst schreibt: „Nach allem, wo alles schwimmt, wo alles gleich ist, weil alles gemacht ist, weil man alles machen kann, weil das Neue und die Zukunft weder ange­strebt noch geplant wird.

Eine Bestands­auf­nah­me des Endes, ein Kata­log über den Unter­schied zwi­schen Zei­chen und Bil­dern.“ Die „Rück­kehr zu den Ursprün­gen“ der Acht­zi­ger­jah­re bedeu­tet für Poz­za­ti, dass er vor allem wie­der ein Maler wird. Dies bezeugt das rie­si­ge Gemäl­de der Bien­na­le von Vene­dig aus dem Jahr 1982, das aus fünf Panels besteht, die ein hete­ro­ge­nes Reper­toire his­to­ri­scher und künst­le­ri­scher Zita­te ent­hal­ten, in einer schwin­del­erre­gen­den erzäh­le­ri­schen Hyper­bel, die jedes Modell absor­biert, um es mit einer iro­ni­schen und ent­zau­ber­ten Lie­be zu besit­zen. Es fol­gen die „Ella­de-Zyklen“, eine Rück­kehr zur klas­si­schen Kunst, zum gro­ßen Mythos; „Stei­ner­ne Bro­te“ und „Wie weit sind wir mit den Blu­men“, einer der schöns­ten und inten­sivs­ten Zyklen, in dem die Mate­ri­al­ma­le­rei in geord­ne­ten For­ma­ten wächst: Die Blu­men von Poz­za­ti sind „ver­lo­re­ne, unbe­weg­li­che, ver­bann­te, über­na­tür­li­che Blu­men. Blu­men ohne Stim­mun­gen, ohne Reue, ohne Ände­run­gen, son­dern nur Simu­la­tio­nen und Vor­wän­de für die Male­rei“, schreibt der Künst­ler. Von 1990−1991 ist der Zyklus „Unmög­li­che Land­schaft“ ent­stan­den, der zum ers­ten Mal in der gro­ßen Antho­lo­gie von 1991 in der Gale­rie für moder­ne Kunst in Bolo­gna gezeigt wird, der ers­ten, die ihm die Stadt, in der er lebt, lehrt und malt, gewid­met hat. Die Neun­zi­ger­jah­re ende­ten mit einem dra­ma­ti­schen Zyklus − ein Gefühl der Ohn­macht und des Ver­lusts durch­drang die „Wäch­ter mit ver­gif­te­tem Schnabel“.

Zu Beginn des neu­en Jahr­hun­derts fühlt sich Poz­za­ti in der glo­ba­li­sier­ten Welt noch unbe­hag­li­cher, er fürch­tet sich vor einer fal­schen Sozia­li­sie­rung, vor schnel­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on, und er weiß, dass er die Lang­sam­keit braucht, eine stil­le Unru­he: Dies ist es, was die Zyklen „Der Pup­pen­spie­ler-Maler“ von 2002, „Fol­te­run­gen“ von 2004, „De-Posi­tio­nen“ von 2006 erzäh­len: Es ist ein dra­ma­ti­sches Jahr für die Fami­lie, denn nach lan­ger Krank­heit ver­lässt sie Rober­ta, die lebens­lan­ge Beglei­te­rin, die Frau, die sich um die Fami­li­en­wirt­schaft und prak­ti­sche Din­ge küm­mer­te, die ihn bei allen öffent­li­chen Anläs­sen beglei­te­te, die Mut­ter. Ich möch­te die­se Erzäh­lung über mei­nen Vater mit „Ciao Rober­ta“ abschlie­ßen, mit einer lie­be­vol­len Unter­su­chung von per­sön­li­chen Gegen­stän­den, Haus­schu­hen, wun­der­ba­ren Hüten, Klei­dern, Taschen und Schu­hen, die auf rau­en Lein­wän­den schwe­ben und dabei Licht und Leich­tig­keit ver­brei­ten, die man in kei­ner ande­ren Arbeit fin­det. Über die­sen Zyklus schreibt der Künst­ler: „Die Gemäl­de sind weich, es sich kei­ne Trau­er­bil­der, sie leuch­ten, weil jede Per­son eine ganz eige­ne Far­be in sich hat, und mei­ne Frau trug Klei­der ganz bewusst.

Sich klei­den war für sie eine Art des Seins: sub­jek­tiv und inten­siv als „zwei­te Haut“, wie das leuch­ten­de Weiß ihrer Ein­stel­lung. Ich habe nichts Spek­ta­ku­lä­res und nichts Sen­sa­tio­nel­les ver­langt. Ich sah und erin­ner­te mich an die Din­ge von ges­tern mit den Augen von heu­te. Die Din­ge der Lebens­ge­fähr­tin müs­sen mit Zurück­hal­tung und mit der Stil­le gesagt und gemalt wer­den, die von Ein­sam­keit durch­drun­gen und kon­ta­mi­niert ist. Es gibt daher ein pri­va­tes Wie­der-Fin­den gegen eine glo­ba­li­sier­te Öffent­lich­keit, eine Pri­vat­heit, die von der Male­rei bewahrt wird. Die stil­len Gemäl­de erzeu­gen para­do­xer­wei­se ein Echo „vol­ler Lee­re“, eine inti­me und ver­bor­ge­ne Tie­fe, durch die ich mich schüt­zen kann. Frü­her woll­te ich immer pla­nen, jetzt möch­te ich ein­fach nur weitergeben“.

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Sie ist Professorin für Geschichte und Methodik der Kunstkritik an der Akademie der bildenden Künste in Bologna. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit zeitgenössischer Kunst und kuratiert Ausstellungen im öffentlichen und privaten Raum. Sie hat bereits zahlreiche Bücher und Fachartikel veröffentlicht. Regelmäßig schreibt sie für den Corriere di Bologna, einer regionalen Publikation des Corriere della Sera. Außerdem ist sie im Vorstand der Istituzione Bologna Musei.

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