Die Kuratorin Karola Kraus im Interview mit Andrea Kühbacher
Biennale 2017
da erinnert man sich an Beyound Infinity mit den Lichtwerken von Brigitte Kowanz und an die One Minute Sculptures und den auf die Schnauze gestellten LKW von Erwin Wurm.
Biennale 2019
da war die Ausstellung Discordo Ergo Sum – Ich widerspreche, also bin ich – von Renate Bertlmann mit den 312 Messer-Rosen, ein beliebtes Instagram-Motiv.
Biennale 2022
nun bespielt das Künstler:innenpaar Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl mit ihrer Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts den Hofmann Pavillon und versprechen Begehrensräume.
Die Kuratorin Karola Kraus äußert sich im Interview zur neuen Vergabepraxis, ordnet Kebl und Scheirl im internationalen Kontext ein, erklärt was Begehrensräume sind und deutet an, dass man sich lustvolle Irritationen voller Humor erwarten kann.
Karola Kraus ist seit 11 Jahren Direktorin im mumok, ihr Vertrag wurde bis 2025 verlängert. Sie ist Kunsthistorikerin mit umfassender Erfahrung im internationalen Ausstellungswesen und gilt als hervorragend mit Künstler:innen und Sammler:innen vernetzt. Im Umgang mit Mitarbeiter:innen wird sie als Teamplayerin beschrieben. Kraus hat das mumok in den vergangenen Jahren neu positioniert. Das mumok sei nicht der Ort für ein rein kommerziell orientiertes Blockbusterprogramm, vielmehr solle es als ein diskursiver Ort wahrgenommen werden. Karola Kraus arbeitete bereits 2017 erfolgreich mit Jakob Lena Knebl zusammen, als diese die Bestände des mumok im Rahmen der Ausstellung Oh… Jakob Lena Knebl und die mumok Sammlung neu arrangierte.
Seit 2019 gibt es eine neue Vergabepraxis für die Biennale. Nicht mehr ein Minister entscheidet über den Kurator, die Kuratorin, sondern eine externe Jury (Silvie Aigner, Hemma Schmutz, Jasper Sharp und Erwin Wurm) reihte die eingereichten Projekte und traf gemeinsam mit dem politisch Zuständigen – in diesem Fall war es damals Ulrike Lunacek als Staatssekretärin – die Entscheidung. Man wählte unter den 60 eingereichten Positionen Sie als Kuratorin mit den Künstler:innen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl aus. Was ist der Vorteil der neuen Vergabepraxis? Warum hat sich gerade dieses Projekt durchgesetzt?
KAROLA KRAUS: Es ist ein demokratischer Bewerbungsprozess, bei dem sich jeder bewerben kann. Die Fachjury, die sich nach den Kriterien innovativer Ansatz, Relevanz für den aktuellen internationalen und österreichischen Kunstdiskurs, Umsetzung des Projektes auf Basis der spezifischen räumlichen Gegebenheiten des Pavillons, klares Vermittlungskonzept, Einhaltung der Kostenvorgaben, Fach- und Methodenkompetenzen sowie Berufs- und Kommunikationserfahrung der Kuratorin orientierte, hat sich einstimmig für unser Konzept entschieden.
Wie sehen Sie Knebl und Scheirl im österreichischen und im internationalen Kontext?
Meine Entscheidung für diese beiden Künstler:innen liegt in der Aktualität und Brisanz ihrer Themen begründet, die sie in sinnlichen Arbeiten breitenwirksam verhandeln. Ihre von vielfältigen Verschränkungen zwischen Kunst, Performance, Design, Mode und Architektur geprägten Werke thematisieren aktuelle Diskurse, die international rezipiert werden.
Das Generalthema der Biennale lautet The Milk of Dreams. Dort soll es ja um die Repräsentation von Körpern und ihre Verwandlungen, das Beziehungsgeflecht zwischen Individuum und Technik sowie die Verbindung zwischen Körper und Erde gehen. Gibt es einen Konnex zur Ausstellung im Österreichischen Pavillon?
Mit ihrer Ausstellung Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts bringen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl spielerisch-humorvoll verschiedene Facetten der zeitgenössischen Körperdiskurse zum Schwingen. Sie verwandeln den Österreichischen Pavillon in den Giardini in eine offene Bühne, auf der sie ihr eigenes Stück proben, indem sie Systeme durcheinanderbringen und Hybride produzieren, die sich mit der Identität von Stilen, Medien, Materialität und Strömungen in der Kunst- und Designgeschichte auseinandersetzen.
1970 in Baden geboren, war 10 Jahre in der Altenpflege tätig, bevor sie ihr Studium der textuellen Bildhauerei bei Heimo Zobernig an der Akademie der bildenden Künste und in der Modeklasse bei Raf Simons an der Universität für Angewandte Kunst Wien aufnahm. Auszeichnung als Outstanding Artist Award (2017), seit Oktober 2021 Professur an Angewandten (Klasse der Transmedialen Kunst in der Nachfolge von Brigitte Kowanz).
1956 in Salzburg geboren, 1975–80 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien, Aufenthalte in New York und London. Dort bewegte sich Scheirl in einer Szene von queeren und transgender Künstler:innen, schuf experimentelle Kinofilme wie Flaming Ears (1991) und ihren Kultfilm Dandy Dust (1998), Abschluss Masterstudium am Central Saint Martins College London (2003), Österreichisches Staatsstipendium für Bildende Kunst (2006), Professur für Kontextuelle Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien (seit 2006), documenta 14 (2017), Österreichischer Kunstpreis Bildende Kunst (2019).
JAKOB LENA KNEBL UND ASHLEY HANS SCHEIRL: sind privat und beruflich ein Paar. Sie beschäftigen sich lustvoll mit Geschlechts- und Gesellschaftskonstruktionen, mit Körperbildern und Körperwahrnehmung. Ausdruck ihres Spiels mit Identität und Geschlecht und ihre Freude an Irritationen sind unter anderem die bewussten Änderungen ihrer Vornamen. Die bisher spektakulärsten gemeinsamen Projekte waren ihr Beitrag bei der Biennale in Lyon sowie die Verhüllung des Wiener Rathausturms (2019).
Den Besucher erwarten Begehrensräume. Was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Knebl und Scheirl verwandeln den Österreichischen Pavillon in eine offene Bühne, die das Publikum einlädt, ihre »Begehrensräume« zu erkunden. In dieser temporären Inszenierung breiten die beiden ihr künstlerisches Universum mit Malereien, Skulpturen und Fotografien über Textilarbeiten, Schrift und Video bis hin zu einer Modekollektion und einem Magazin aus.
Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl arbeiten sowohl als Solo-Künstler als auch als Künstlerpaar. Hier treten sie im Doppelpack auf. Wie gestaltet sich deren Zusammenarbeit bei der Biennale? Wie funktioniert diese Zweiteilung der Räume im Pavillon? Wie kommt es zu einer gemeinsamen Aussage?
Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl greifen die Gegebenheit der symmetrisch angelegten Architektur des Österreichischen Pavillons auf, der durch einen Säulengang getrennt und gleichzeitig verbunden ist. Die zwei Raumteile tragen jeweils die Handschrift einer/s der beiden Künstler:innen. Dadurch werden die Einzelpositionen unterscheidbar, bleiben dabei aber miteinander im Austausch, um die Arbeitsweise als Künstler:innenduo punktuell zu markieren. So flottieren Materialien, Operationsweisen, Symbole und Formen zwischen den beiden Inszenierungen, werden verdoppelt und gespiegelt und in die jeweils bevorzugte künstlerische Praxis übersetzt.
Knebl formulierte, dass sie jener Prozess, wie aus Ablehnung später Neugier oder Zuneigung werden kann, interessiere. Wie könne man Spaltung überwinden, wie könne man sich in Dinge, Themen usw. hineinversetzen, die wir nicht als Teil unserer Haltung oder Identität definieren? Inwieweit löst die Ausstellung diesen Anspruch ein?
Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheierl operieren immer wieder mit riskanten Ästhetiken und ungewöhnlichen Inhalten und verschränken diese mit Oberflächen, die wir begehren. Wenn Knebl beispielsweise ihren voluminösen Körper mit Malereien von Mondrian oder Picasso bemalt, die uns anziehen, wird auch ihr Körper, der nicht dem Schönheitsideal entspricht, annehmbar. Knebl bezeichnet diese Praxis als Trickster-Methode.
Der Trickster sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive und deutet sie kreativ um. Damit ist er ein professioneller Tabubrecher, der sich zwar über alle Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzt, dennoch aber Teil dieser Gemeinschaft bleibt. Welche Rolle nimmt Humor in den Arbeiten von Knebl und Scheirl ein?
Die beiden Künstler:innen arbeiten äußerst konzentriert und ernsthaft, wobei Humor ein immanenter Bestandteil ihrer Werke ist – und gerade in Zeiten wie diesen darf es an Humor nicht mangeln.
Durch Covid19 verschob sich das Projekt und bis zum Dezember des vergangenen Jahres herrschte Unsicherheit, ob die Biennale 2022 stattfinden kann. Hat sich durch Covid und seine Auswirkungen das Konzept inhaltlich verändert?
Das Konzept hat sich im Laufe der letzten Monate präzisiert. Die Künstler:innen konnten mit neuen Materialien und Techniken experimentieren, die in ihren Werken nun erstmals zum Tragen kommen.
Was kann man sich vom »umfangreichen und niedrigschwelligen Vermittlungsprogramm« erwarten? Sie arbeiten da ja mit Phileas, einer privaten Initiative zusammen, die Projekte zeitgenössischer Kunst fördert.
Zum ersten Mal erweitern Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl den Österreichischen Pavillon in Venedig um einen Nebenschauplatz, der zeitgleich in Wien bespielt wird. Austragungsort ist der neue Standort von Phileas am Opernring, wo Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl zusammen mit ihren Student:innen der Universität für angewandte Kunst bzw. der Akademie der bildenden Künste präsentiert werden. Die Ausstellung mit den Arbeiten der Studierenden, die von Knebl und Scheirl selbst ausgewählt und installiert werden, wird im Laufe der Präsentation mehrmals wechseln, ganz im Sinne des kollaborativen Ansatzes, den die Künstler:innen für ihr Projekt in Venedig gewählt haben. Ein reichhaltiges und lebendiges Programm öffentlicher Veranstaltungen wird die Ausstellung begleiten; dazu gehören ein Konzert, eine Filmvorführung, die Präsentation des Biennale-Magazins und eine Podiumsdiskussion. Wir möchten auch Menschen, die nicht die Gelegenheit haben, nach Venedig zu reisen, die Möglichkeit bieten, in Wien an dem Projekt zu partizipieren.
Ihr Projekt »Biennale« ist im August 2019 mit der Ausschreibung gestartet und wird nach fast drei Jahren im April 2022 eröffnet. Da braucht es einen langen Atem. Wie bewahrt man sich die Freude am Projekt?
Momentan erfreuen wir uns über jeden Fortschritt, den unser gemeinsames Projekt macht.
Was ist/war Ihre Rolle als Kuratorin in diesem Projekt?
Ich sehe es als meine Aufgabe, all meine Kräfte zur Verfügung zu stellen, um die Ideen der Künstler:innen für ihren Beitrag im Österreichischen Pavillon umsetzen zu können.
Welche Wünsche und Hoffnungen haben Sie zur Eröffnung?
Als Sie mir vor einigen Wochen Ihre Fragen geschickt hatten, lautete meine Antwort folgendermaßen: Dass es nicht regnet und dass wir zumindest während der Eröffnung vor dem Pavillon Getränke ausschenken dürfen, um mit vielen Interessierten auf Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl sowie ihren Beitrag anstoßen zu können! Nun hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert. Aus heutiger Sicht möchte ich uns allen wünschen, dass der aggressive Überfall auf die Ukraine baldmöglichst beendet wird, um nicht weiterhin die Menschenrechte zu verletzen.
Was bedeutet Erfolg für Sie?
Wenn die von mir kuratierten Projekte die ihnen gebührende Aufmerksamkeit und Anerkennung finden.
Gibt es ein unerfülltes »Traumprojekt« nach der Biennale?
Ich würde mich sehr freuen, wenn ich in meiner verbleibenden Amtszeit im mumok die lang ersehnte Erweiterung eröffnen dürfte.