Atelierbesuch bei Gerhard Häupler

Es ist ein extrem hei­ßer Juni­tag, unge­wöhn­lich für die­se Jah­res­zeit. Ich suche mit dem Auto eine „Holz­meis­ter­gas­se“, wo ich im ers­ten Stock eines vor­bild­lich restau­rier­ten Hin­ter­hau­ses der Grün­der­zeit-Epo­che ver­ab­re­det bin und läu­te an einer mir beschrie­be­nen Tür ohne Namens­schild. Der Künst­ler öff­net sel­ber, eine eher hage­re, dür­re Gestalt mit Bril­le, dunk­ler Hose und T‑Shirt, Jahr­gang ’43, der mir etwas schüch­tern die Hand gibt und mir Platz auf dem ein­zig frei­en Ses­sel und ein Glas Mine­ral­was­ser anbie­tet. Ich fra­ge, ob er Auto­di­dakt sei oder wo er malen gelernt habe, was ich mir nach der rela­ti­ven Pro­fes­sio­na­li­tät sei­nes Mal­stils nicht wirk­lich vor­stel­len kann. Ich hat­te näm­lich bis jetzt nur ein ein­zi­ges Digi­tal­fo­to eines groß­for­ma­ti­gen Ölpor­traits von Michel Hou­el­le­becq per Mail erhal­ten, und das war wirk­lich gut, tre­fflich, lebens­nah. Ich gebe es zu, das war auch der eigent­li­che Grund, der mich hier­her­führ­te, denn ich schät­ze Hou­el­le­becq als Autor − und der Maler offen­bar auch. Die Ant­wort auf die nächs­te Fra­ge mei­ner­seits: was er von ihm gele­sen hät­te, erstaun­te mich, denn ich hät­te pri­mär auf „Die Unter­wer­fung“ getippt, weil es das Buch war, das Hou­el­le­becq so bekannt gemacht hat. Aber es war „Kar­te und Gebiet“, das wesent­lich Sub­ti­le­re von bei­den, das ihn inspi­rier­te, die­ses Por­trait von ihm zu malen. Und er nennt mir sei­nen Leh­rer, einen mir völ­lig unbe­kann­ten Mann, Fritz Mar­t­intz, Pro­fes­sor an der Kunst­schu­le Wien in der Laza­rett­gas­se, offen­bar auch För­de­rer und Ent­de­cker sei­nes Talents. Und Talent, das hat er wirk­lich, ohne Zwei­fel, vor allem in der Por­trait- und Akt­ma­le­rei. Noch mehr über­rasch­te mich, dass im Ate­lier ein Por­trait von Peter Slo­ter­di­jk, das anschei­nend gera­de fer­tig gewor­den ist, an pro­mi­nen­ter Stel­le auf einer Staf­fe­lei steht − eben­so phan­tas­tisch lebensnah.

Auf dem Küchen­tisch des ziem­lich chao­tisch wir­ken­den „Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zen­trums“ der klei­nen Woh­nung lie­gen rela­tiv aktu­el­le Aus­ga­ben der Zeit­schrif­ten profil und Spie­gel, und die dort erschie­ne­ne Por­traits schei­nen wie aus den Klatsch­spal­ten die­ser Bou­le­vard­ma­ga­zi­ne heim­lich her­aus­ge­kro­chen zu sein, sich ver­selb­stän­digt zu haben, in einer Art beson­de­rer Trans­for­ma­ti­on durch Ger­hard Häu­pler eine zwei­te Exis­tenz gewon­nen zu haben, wel­che von einer bis zur Uner­träg­lich­keit gestei­ger­ten Prä­senz beseelt sind. Sei­ne Prot­ago­nis­ten sind mehr oder weni­ger bekann­te Per­sön­lich­kei­ten aus Lite­ra­tur, Kunst und Poli­tik, es sind Ver­bre­cher, geschei­ter­te Exis­ten­zen, und es fällt eines auf: dass es mehr die Bot­schaft, oder nen­nen wir es ruhig beim Namen: ihre Phi­lo­so­phie ist, die sie ver­kör­pern, wel­che Häu­pler in ers­ter Linie beschäf­tigt. Dabei trifft er den Gesichts­aus­druck meist vor­tre­fflich, ohne dass sie ihm je Modell gestan­den wären. Was wie­der­um die The­se ins Wan­ken bringt oder etwas rela­ti­viert, dass es immer nur die direk­te äuße­re Anschau­ung sei, wel­che den Künst­ler befä­hi­ge, in die See­le der betrof­fe­nen Abge­bil­de­ten zu bli­cken. Die­se Por­traits macht viel­mehr so fas­zi­nie­rend, dass ihr Aus­druck von der Auf­fas­sung her­rührt, die der Künst­ler − durch sein Ver­ständ­nis ihres in den Fokus gerück­ten See­len­zu­stan­des − von ihnen hat und uns vermittelt.

Häu­pler reicht mir ein Exem­plar eines nur 26 Sei­ten umfas­sen­den Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ges, wel­che offen­bar (neben zahl­rei­chen klei­ne­ren) die ein­zig grö­ße­re Aus­stel­lung sei­nes Lebens war − viel­leicht sei­ne wirk­lich ein­zi­ge maß­geb­li­che. Und sie trägt den über­ra­schen­den Titel „Indoor Depres­si­on. No way out“. Auf dem Titel­bild ein knien­der Mann, offen­sicht­lich ein Selbst­por­trait, rea­lis­tisch und expres­siv zugleich, der sich nicht dem Betrach­ter zuwen­det, son­dern ein Ziel in der Fer­ne fixiert, das sei­ne gespann­te Auf­merk­sam­keit erregt. Es war eine Aus­stel­lung in Tsche­chi­en, in Prag, und umfasst Arbei­ten von 1995 bis 1998, also schon ein Vier­tel­jahr­hun­dert zurück­rei­chend. Der Text ist zum Groß­teil auf Tsche­chisch mit Aus­nah­me eines Vor­wor­tes von Her­mann Schürrer.

Wer war die­ser Mann, der ihn so gut kann­te? Wiki­pe­dia weist Her­mann Schür­rer als öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler aus Wolf­segg am Haus­ruck aus, und die­ser ist seit 1986 tot. Ich habe zuvor nie von ihm gehört. Er war Grün­dungs­mit­glied einer Lite­ra­ten­grup­pe, die in der Zeit­schrift Frei­bord her­vor­trat, deren ers­te Aus­ga­be 1976 erschie­nen war und die sich der expe­ri­men­tel­len Lite­ra­tur wid­me­te. „Euro­pa: die Toten haben nichts zu lach­ten“ ist sein ein­zi­ges aus­ge­wie­se­nes ver­leg­tes Buch mit Pro­sa­text, neben dem Gedicht­band „Klar Schilf zum Geflecht. Das ABC von A‑Zet“ – und zu lachen haben auch die meis­ten Por­trai­tier­ten nichts in Häu­plers OEu­vre. Und wenn sie unfrei­wil­lig mit­un­ter in ihren Posen fast komisch wir­ken, so bleibt einem sofort das Lachen dar­über im Hal­se ste­cken, denn in die­ser scho­nungs­lo­sen Direkt­heit steckt vor allem eines: eine Anklage.

Ein Lite­rat namens Schür­rer also war einer der geis­ti­gen Zieh­vä­ter unse­res Malers, ein aus­ge­spro­che­ner Rebell gegen die Gesell­schaft, was zur dama­li­gen Zeit zum Mar­ken­zei­chen und zum gutem Ton der geis­tig Schaf­fen­den in Öster­reich gehör­te, geis­tig groß gewor­den in der Bur­schen­schaft Olym­pia, die als rechts­extrem galt, und der nach sei­ner Rele­ga­ti­on von der Uni­ver­si­tät Wien laut Wiki­pe­dia „als Mit­ar­bei­ter eines Grafikers“ auf­scheint (man kann sich aus­ma­len von wem), „ver­rich­te­te Hand­lan­ger­diens­te und ver­kehr­te in Kaf­fee­häu­sern. Schür­rer war Mit­glied der „Gra­zer Autoren- und Autorin­nen­ver­samm­lung“, wel­che Ernst Jandl, Hel­mut Eisen­d­le und Wal­traud Seidl­ho­fer 1973 als Alter­na­ti­ve zum „Österr. Schrift­stel­ler­ver­band“ gegrün­det hat­ten, und die zu ihrer bes­ten Zeit 600 Mit­glie­der zähl­te. Der rebel­li­sche Dich­ter wur­de mehr­fach wegen Wider­stan­des gegen die Staats­ge­walt bestraft und saß wegen Amts­eh­ren­be­lei­di­gung und Vagabon­da­ge im Gefäng­nis. Er ver­brach­te sogar zwei Jah­re in einer psych­ia­tri­schen Anstalt, schaff­te es aber schließ­lich doch als einer der bemer­kens­wer­tes­ten Talen­te der schrift­stel­le­ri­schen Avant­gar­de Öster­reichs zu einem Ehren­grab auf dem Wie­ner Zen­tral­fried­hof. Ein Schick­sal, das er mit ande­ren Berühmt­hei­ten der Wie­ner­stadt teilt.

Jener Schür­rer schrieb jeden­falls im Vor­wort des Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ges über sei­nen hoch­ge­schätz­ten Maler-Freund Häu­pler die berüh­ren­den und nach­denk­lich machen­den Wor­te: „Kon­fron­tiert mit Bil­dern von Ger­hard Häu­pler, sehe ich vie­les, was ger­ne ver­drängt wird. Nicht nur von Aka­de­mien, auch von vie­len Gale­rien und vie­len, vie­len Men­schen. Dar­über spricht man nicht. Dar­über schreibt man nicht. Das malt man nicht. Das malt Ger­hard Häu­pler. Das ist pein­lich“… und pein­lich ist so vie­les, was ger­ne unter den Tep­pich gekehrt wird, an der dunk­len, ja gera­de­zu pech­schwar­zen Sei­te der mensch­li­chen See­le, in all ihrer Janus­köpfig­keit, in all den Facet­ten ihrer Per­ver­sio­nen und trieb­ge­steu­er­ten Sexua­li­tät, wel­che alles ande­re sind oder erschei­nen wol­len als erbau­lich. Denn sie sind für vie­le ver­let­zend, die in der Kunst nur das Schö­ne sehen wol­len, das seit Pla­ton mit zwei wei­te­ren Grund­ka­te­go­rien der Tugend ver­netzt und ver­bun­den ist, wel­che unse­re Stütz­pfei­ler der Erbau­ung abge­ben sol­len, näm­lich des Wah­ren und des Guten − oder sagen wir: einer Welt, die zumin­dest auf „gut“ getrimmt ist oder so erschei­nen will.

Man tut sich etwas schwer, Ger­hard Häu­pler in ein Gen­re ein­zu­ord­nen. Viel­leicht trifft es aber noch am ehes­ten der vom deut­schen Kunst­kri­ti­ker Franz Roh gepräg­te Begriff des Post-Expres­sio­nis­mus, wel­cher eine Viel­zahl von Kunst­strö­mun­gen der Nach­kriegs­zeit umfasst, wel­che alle­samt vom Expres­sio­nis­mus beeinflusst waren und denen zumin­dest ein Kri­te­ri­um gemein­sam war: die gene­rel­le Ableh­nung des klas­si­schen Begriffs der Ästhe­tik im Sin­ne einer auch mora­lisch wer­ten­den Kunst rund um den ins Nega­ti­ve umge­deu­te­ten klas­si­schen Schön­heits­be­griff, wie ihn die tra­di­tio­nel­le bil­den­de Kunst bei­na­he zwei­tau­send Jah­re seit der grie­chi­schen Kunst­auf­fas­sung des Alter­tums idea­li­sie­rend ver­kör­pert hat. Es sind nicht nur die Sujets − die oft dunk­len aber kräf­ti­gen Far­ben zei­gen zumeist Ver­stö­ren­des: nack­te Män­ner in erreg­tem Zustand, vor oder nach einer Selbst­be­frie­di­gung, blon­de, lang­mäh­ni­ge, gelock­te Pup­pen­fi­gu­ren mit Cel­lu­li­tis-Bei­nen, wie man sie von Barocken­geln kennt, aber mit bereits bösem Gesichts­aus­druck, und auch eine comic­ar­ti­ge Serie über Übles, die mit den dort ver­wen­de­ten Mit­teln der text­li­chen Über­hö­hung arbei­tet, indem sie das dar­in zum Aus­druck Gebrach­te text­lich unterstreicht.

Nach sei­nen Maler-Vor­bil­dern befragt, nennt Häu­pler Kokosch­ka und Goya, und tat­säch­lich haben eini­ge der por­trai­tier­ten Prot­ago­nis­ten eine sti­lis­ti­sche Ähn­lich­keit mit jenem magi­schen Rea­lis­mus, der zugleich fas­zi­niert wie abstößt, den wir bereits bei Goya ken­nen­ge­lernt haben und der sich als Haupt­cha­rak­te­ris­ti­kum auch in den Bil­der Häu­plers aus­ma­chen lässt. Der Teu­fel steckt dabei nicht im Detail, son­dern wird offen­sicht­lich in jedem ein­zel­nen Por­trait Häu­plers, unter denen sich auch Josef Fritzl, das Inzest­mons­ter von Amstet­ten, oder Jack Unter­we­ger, zuerst ein Mör­der, dann im Knast zum gefei­er­ten Schrift­stel­ler mutiert, befinden.

In Häu­plers Bil­dern ist wenig Erbau­li­ches. Sie ver­stö­ren in der Regel eher. Indem sie ver­stö­ren, öff­nen sie uns auch einen Zugang zur Kunst, die eine wah­re Aus­sa­ge hat, die etwas bewir­ken, ver­än­dern will. 

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1954 in Wien geboren, ist Autor und Kunstkritiker. Er studierte Philosophie an der Universität Wien und promovierte 1996 in Philosophie im Hauptfach mit der 600 Seiten Dissertation „Diskontinuität und Seinserfahrung“ bei Prof. Kampits, Prof. Mader und Doz. Vetter. Daneben intensives Studium der Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt italienischer Renaisssance bei den Kunsthistorikern Prof. Rosenauer und Prof. Fillitz sowie Grafik bei Prof. Koschatzky. Interesse an griechischer Mythologie, sowie speziellen Bereichen der Kunstgeschichte, Renaissance- und Barockmalerei, sowie profaner Wandmalerei in Mittelmeerraum- und Süditalien, aber auch zeitgenössischer Kunst.

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