Das ist Liebe, Versagen, Kampfgeist und Harmonie
Wir treffen Tom Mögele an einem sehr besonderen Ort, abgeschieden von der Zivilisation, ohne Menschen und unterhalten uns mit ihm ungezwungen über die Passion.
Was kannst du uns zu unserem Begriff Passion in Verbindung mit Aphrodite sagen?
TOM MÖGELE: Aphrodite verkörpert durch ihr ganzes Sein den Begriff der Passion. Ich habe mich bereits als kleiner Junge für die griechischen Götter interessiert und heimlich des Nachts unter der Bettdecke mit kleiner Taschenlampe Homer gelesen. Lasst mich kurz Aphrodite erklären, wie ich sie bereits als Kind kennenlernen durfte: Zuerst ist Aphrodite eine der zwölf Götter im Olymp und wird als Göttin der Liebe und der Schönheit bezeichnet. Außerdem ist sie die Herrin über die Tauben. Offiziell ist Aphrodite die Tochter von Göttervater Zeus und Hera, es ranken sich aber auch Mythen darum, dass sie aus dem Samen des Geschlechtsteils, das Kronos seinem Vater Uranos mit einer Sichel abtrennte und ins Meer warf, als »Schaumgeborene« aus ebendiesem stieg. Und ich denke, jeder kunstbegeisterte Mensch kennt Botticellis berühmtes Gemälde von Aphrodite, der Göttin der Liebe.
Ja, das kennen wir natürlich. Wie schlägst du nun aber die Brücke von Aphrodite zur Passion?
TOM MÖGELE: Ganz einfach: Aphrodite ist die ganze griechische Geschichte in einer Person und die Passion entsteht unzweifelhaft im wahrsten Sinne des Wortes aus ihr: Zusammen mit dem Götterboten Hermes hat sie ein Kind, den Hermaphroditen, den Zweigeschelchtigen. Sie ist ebenso die Mutter von Priapos, dem Helden aus dem trojanischen Krieg, dessen Vater Dionysos ist. Der Kriegsgott Ares zeugte mit ihr die Kinder Eros, den Gott der Liebe, der nackt auf einer Wolke sitzend Liebespfeile verschießt, Anteros, der verschmähte Liebe rächt, Harmonia, und die Zwillingsbrüder Phobos und Deimos und mit Anchises, dem König von Dardania, den späteren Helden Äneas, der durch Irrfahrten und den trojanischen Krieg berühmt wurde. Mit ihrem Gemahl, dem Gott des Feuers und Sohn der Hera, Hephaistos, hat sie keine Kinder. Hephaistos aber war es, der ihr den »Gürtel der Aphrodite« schenkte, der sie unwiderstehlich macht. Wie man sieht, ist Aphrodite Passion im wahrsten Sinne des Wortes.
Nachdem wir einen Ausflug in die Antike gemacht haben, wo siehst du Passion in der aktuellen Zeit?
TOM MÖGELE: Passion, wie ich sie für mich definiere, ist gekennzeichnet durch große Absenz ihrerselbst in der heutigen Zeit. Es gibt wenige Menschen, die ihrer Passion nachgehen, umso mehr hat mir eure Sonderedition mit Johann Rausch gefallen. Wer so etwas auf die Beine stellt, erfüllt alle Voraussetzungen für Passion. Passion ist die Liebe (Eros) zu den Dingen, das zwischenzeitliche »Versagen« (gerächt durch Anteros), der Kampfgeist (Phobios und Deimos verbunden mit Äneas) sie umzusetzen, und am Ende die Harmonie (Harmonia), wenn die Passion ihrer Bestimmung gefolgt ist. Dann legt sich der Gürtel der Aphrodite um das ganze Projekt und alles ist unwiderstehlich. Wie ihr seht, Aphrodite mit ihren Kindern ist bei passionierten Menschen allgegenwärtig, bei Menschen, die nur ihrem Alltagstrott nachgehen und niemals etwas Neues wagen, wird sich dies nie zeigen. Sehr oft wird Passion mit Leidenschaft übersetzt, wobei dann sehr oft Bedenkenträger mitteilungsbedürftig dies in eine »Leidenschaft, die Leiden schafft« ummünzen wollen. Denjenigen halte ich dann immer entgegen, dass Aristoteles in seiner Poetik den Begriff der Katharsis (Reinigung) geschaffen hat, d.h. durch das Ausleben seiner Passion mit allen Teilen der Aphrodit’schen Kinder und ihr selbst, erfährt der »Held« bzw. der Passionista den absoluten Zustand der Harmonie und Zufriedenheit. Das bedeutet, er oder sie selbst bleiben nach der Reinigung zurück als das, was sie oder er ist: Mensch. Somit ergibt sich für mich die Passion als die menschlichste und vermenschlichste aller möglichen menschlichen Eigenschaften oder Zuständen, die anzustreben sind. Die berühmtesten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte waren stets die Menschen, die sich einer Passion hingaben und alles andere in Frage stellten. Niemals wurden Mitläufer oder Nachahmer dafür bestimmt, die Menschheit weiterzubringen, denn die allgemeine Meinung war ja stets vorhanden.
Passion, das bedeutet für mich Menschen, die an ihre Grenzen gehen, um Dinge und Zustände zu erschaffen, dabei diese Grenzen immer wieder neu austesten und expandieren.
Ich habe einmal einen jungen Schuhputzer in Delhi erlebt, der unbedingt meine Schuhe putzen wollte. Da ich relativ teure Schuhe trug, war ich mir unsicher, ob ich das machen lassen wollte. Im schlimmsten Fall wären dann die Schuhe in undefinierbarer Farbe umgestaltet gewesen. Er überzeugte mich jedoch damit, dass ich in seinen Augen die Passion für Schuhe sah, obwohl er selbst nur mit offenen Sandalen vor mir stand. Er wollte unbedingt meine Schuhe zu neuem, ungeahntem Glanz bringen. Und was glaubt ihr? Nachdem er meine Schuhe bearbeitet hatte, trug ich an meinen Füßen Schuhe, die ich zwar kannte, aber noch niemals vorher in einem solchen, profipolierten Zustand waren. Heute noch, fast drei Jahre nach der Bearbeitung des jungen Mannes, sind diese Schuhe gepflegt und bedürfen nur einer kurzen Behandlung mit einem Baumwolltuch, um wieder auf das Niveau zu kommen, dass der junge Schuhputzer vorgegeben hat.
Wir bekommen nun eine Ahnung von deiner Definition des Begriffes Passion. Kannst du uns noch an weiteren Informationen aus deinem Erfahrungsbereich teilhaben lassen?
TOM MÖGELE: Sehr gerne. Meiner Einschätzung nach, sind die Menschen, die in ihrer Passion aufgehen sehr oft gut versteckt unter den anderen Mitmenschen. Hierzu ein für mich sehr bewegendes Beispiel: Vor fast 15 Jahren übernahm ich von einem Kunden, der in der Filmbranche tätig ist und mittlerweile ein guter Freund wurde, aber nach Kalifornien auswanderte, um Produzent zu werden, seinen alten Porsche. Das Fahrzeug war zu dem Zeitpunkt 29 Jahre alt, in einem nicht gerade hervorragenden Zustand, und ich hatte bis dahin keinerlei Bezug zu Porsche, geschweige denn einem Fast-Oldtimer dieser Marke. Da ich meinem Kunden und Freund versprochen hatte, das Fahrzeug sei bei mir in guten Händen, musste ich mich um jemanden bemühen, der den »alten Herrn«, der viel Öl aus dem Motorblock auf die Straße tropfen ließ, wieder gesellschaftsfähig, also sprich den hiesigen TÜV Vorschriften gemäß, reparieren konnte. Nach längerem Umhören im mir bis dahin unbekannten Fanclub der alten Porsche, wurde mir ein älterer Herr in der Gegend vor Garmisch in Oberbayern empfohlen, der sich in Südtirol um viele alte Porsche der dortigen Hotelbesitzer etc. kümmerte, und dort als »Papa Porsche« bekannt ist.
Mir wurde ebenfalls zugetragen, dass er früher Rennmotoren für Le Mans gebaut hatte und ein sehr spezieller Mensch sei, der dafür bekannt war, sich seine Kunden auszusuchen, und wenn man ihm nicht zu Gesicht stehen würde, gäbe es keinen Termin für die Reparatur. Nach einem kurzen Telefongespräch mit ihm, ließ ich den alten Porsche dorthin transportieren. Kaum, dass das Fahrzeug dort abgeladen war, erhielt ich einen Anruf von »Papa Porsche«, der mir unmissverständlich klar macht, dass ich meinen »Karrn« wieder abholen lassen sollte, da er ja Öl verlieren würde und seine ganze Werkstatt volltropfte. Ich erklärte ihm, dass ich ja deshalb das Auto bei ihm hätte, und so überzeugte er mich am Telefon, dass ich am nächsten Tag vorbeikommen müsste und zusammen mit ihm das Auto zu begutachten hätte. Sonst sei an eine Reparatur gar nicht zu denken. Früh am nächsten Morgen stand ich dann vor der kleinen Werkstatt bei Garmisch, die mit vielen Porsche 911 und 956 voll stand, welche alle im Neuwagenzustand zu sein schienen. Langsam bekam ich eine Ahnung, wer hier vor mir stand. Dieser reichte mir die Hand zu einem »grias di« und verlangte mit mir als Fahrer eine Probefahrt im alten Porsche. Auf den Serpentinen nach Ettal korrigierte er mich mehrmals, dass ich einen Porsche »auf Zug« zu halten hätte und viel zu früh schalten würde etc. Vor Kloster Ettal wechselten wir dann die Positionen und ich durfte »erleben« zu welchen Fahrleistungen ein 29 Jahre altes Auto fähig war.
Zum Glück hatte ich den Eingangstest bestanden, indem er mich freimütig aufklärte, dass er »Deppen«, die mit dem Porsche nicht fahren könnten, gar nicht als Kunden akzeptiere würde, ich jedoch mit ihm jetzt einen Termin auszumachen hätte, an welchem ich, um mal etwas über Porsche zu lernen, ihm fünf Tage bei der Reparatur als Praktikant zuschauen dürfe, damit ich das Auto verstehen lernte. Und was glaubt ihr, obwohl ich bis heute kein Fan alter Porsche bin, habe ich bei ihm gelernt, mit wieviel Nm die Stehbolzen des Motorblocks angezogen werden müssen, warum die Motorblocknummer zu einem Rennmotor gehört, wie man mit einem Stroboskop die richtige Drehzahl einstellt, die Höhe der Hinterachse richtig wählt, indem zwei 100 Kilo Männer vorne im Kofferraum sitzen etc. Hier ist bis heute ein richtiger Passionista am Werk, der jeden Winter einen Rennmotor in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammenbaut, um mit mittlerweile fast 80 Jahren noch fit zu bleiben.
Wir benötigen wieder mehr solche Menschen, die ihre Passion leben.