Antonia Sautter
VENEDIG IST EINE STADT, DIE ES LANGSAM UND MIT RUHE ZU ENTDECKEN GILT. MAN MUSS DEN AUGEN ZEIT GEBEN, UM DEN STRUDEL AN DETAILS AUFZUNEHMEN – SCHRITT FÜR SCHRITT, WIE IN EINEM LABYRINTH, IN DEM MAN SICH SELBST AM EHESTEN FINDET, WENN MAN SICH VERLIERT.
Wer Venedig wirklich kennenlernen will, muss mit der Stadt fühlen. Ihre unveränderte Schönheit lebt Tag für Tag und Nacht für Nacht für Reisende, die nach ihrem echten Wesen suchen und das pulsierende Herz der Bewohner Venedigs und ihres Lebens entdecken. Der Autor Joseph Brodsky sagte einmal: „In Venedig kann man viele Tränen vergießen, aber vor allem gilt: Durch eine Träne gibt die Netzhaut – wie die Träne selbst – zu, dass sie nicht imstande ist, Schönheit zu behalten.“ Die Venezianer haben das große Privileg eines angeborenen Gefühls für Schönheit, das ihnen ihre Stadt gewissermaßen genetisch vererbt: Es findet seinen Weg über die Augen, wohnt aber in den Tiefen der Seele und bleibt ihnen ein Leben lang erhalten. Antonia Sautter ist einer jener Venezianerinnen, die direkten Zugang zur wahren Essenz der Stadt haben, und deren privates und berufliches Leben eine ständige Hommage an Venedig ist.
Als Tochter eines bundesdeutschen Vaters und einer venezianischen Mutter engagiert sie sich seit mehr als 30 Jahren für das Handwerk in Venedig: Sie betreibt eine Schneiderei im Herzen der Stadt und hat deren Schönheit zum Mittelpunkt ihrer Lebens- und Arbeitsphilosophie gemacht. Ihre Modekreationen sind das Ergebnis einer besonderen Leidenschaft für kreative Kunst, die Geschichte der Kostümschneiderei, Textilien und die uralten Methoden ihres Handwerks. Antonia Sautter wuchs in einer sehr kreativen Familie auf: Ihre Mutter war bereits beim Kinderspiel eine nie versiegende Quelle der Inspiration und brachte ihr bei, Karnevalskostüme zu zeichnen und zu nähen. Heute gelten Antonias einzigartige Kreationen und ihr besonderer Stil weltweit als Maßstab für venezianisches Kunsthandwerk. Samt und Seide sind die Rohmaterialien, aus denen Antonia Sautter ihre Stücke produziert. Sie interpretiert Textildruck auf moderne Art und Weise – dabei lässt sie sich von ihren Nachforschungen und Studien der modischen Dekoration in verschiedenen Epochen und Kulturen leiten und von der Geschichte Venedigs und seiner Verbindungen mit dem Orient beeinflussen.
Ausgehend von uralten händischen Färbe- und Drucktechniken entwirft Antonia Themen und ritzt sie anschließend in Holzmatrizen, mit denen sie verschiedene Musterkombinationen schafft, die Stile und Impressionen aus unterschiedlichsten Epochen vereinen: Ost und West, zeitgenössische Kunst und den für Kunst und Handwerk revolutionären Jugendstil. Das Färben und Bedrucken der Stoffe erfolgt ausschließlich von Hand. In Sautters Atelier, einen Steinwurf vom Markusplatz entfernt, arbeiten Schneiderinnen und Zeichner unermüdlich und mit Hingabe an jedem einzelnen Stück. Antonia Sautter selbst sagt: „Die Entscheidung für die handwerkliche Fertigung erlaubt uns maximale kreative Freiheit. Wir können jedes Stück einzigartig und nach unseren Vorstellungen gestalten. Jede meiner Kreationen ist ein Einzelstück.“
So entstehen Modekollektionen mit Taschen, Schuhen, Kimonos, Accessoires oder Dekoartikeln, die ihre treusten Kunden häufig auf Maß ferti gen lassen. Die Künstlerin gibt selbst zu, dass ihre Kollektionen eigentlich „laufende Arbeiten“ sind, die gewiss nicht nach den allgemein bekannten standardisierten Verfahren entstehen: Sie fügt Elemente hinzu, entfernt Details, ändert und überarbeitet Stoffe und Kleidungsstücke laufend, denn „der wahre Luxus der handwerklichen Arbeit ist es, ständig Änderungen vornehmen zu können.“ Jedes Stück nimmt Schritt für Schritt Form an, und wenn man schließlich das fertige Produkt mit dem ersten Entwurf vergleicht, ist die Entwicklung nichts weniger als verblüffend. Antonias treue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verraten uns flüsternd: „Antonia überrascht uns immer wieder mit ihren unvorhersehbaren kreativen Ideen.“
Zu den originellsten Kollektionen aus ihrer nunmehr 32 Jahre langen Laufbahn gehören zweifellos der „Kimono“ und die „Pantuffe“. „Kimono à porter“ nennt sich Sautters Kimono-Kollektion. Der Kimono ist eines der beliebtesten Kleidungsstücke der Designerin, und sie hat es mit ihrem ganz persönlichen Stil neu interpretiert und ihm einen neuen Sinn verliehen: „Mode ist Freiheit. Ich übersetze meine Vision von Kimonos, Kleidern und Mänteln frei und setze dabei auf ausschließlich handbedruckte weiche Seide und Samtstoffe, deren Duft Eindrücke des Orients heraufbeschwört, die aber gleichzeitig auch einen Bezug zur Gegenwart und einen etwas exzentrischen Touch haben.“
Antonia Sautters Modeschauen sind immer ein Event mit theatralischer Atmosphäre, bei dem den Zuschauern eine besondere Botschaft vermittelt wird: „Nehmt euch die Freiheit, mit eurem Outfit zu spielen, neue und extravagante Kombinationen auszuprobieren, und zelebriert die Leichtigkeit, mit der Venedig seit den Zeiten der Republik immer wieder die Regeln bricht und neue Stile und Moden hervorbringt.“ Neben Träumen und Freiheit ist Kreuzkontamination ein weiteres Schlüsselelement in Antonias kreativer Arbeit. Ein ausgezeichnetes Beispiel für die Freude, mit dem die Designerin Stile und Epochen vereint, sind die „Pantuffe“. So hat Sautter ihre venezianischen Pantoffeln getauft: Es handelt sich um eine Interpretation der Pantoffeln, wie sie im Friaul, nördlich von Venedig, getragen werden, und wie sie die Gondolieri der Lagunenstadt verwenden, um das edle Holz ihrer eleganten Boote zu schonen.
Antonia Sautter schuf die neue Bezeichnung als Begriff für ihre Kombination aus orientalischer Babouche, französischer Pantoufle und italienischer Babuccia – eine einzigartige Kreation, die jedermann im Alltag tragen kann. Die „Pantuffe“ sind ein Must, das bei Damen und Herren gleichermaßen beliebt ist, und werden einfach als Schlüpfer im Haus oder in Kombination mit einem Kimono oder lässiger Kleidung getragen, um Outfits für jede Jahreszeit einen besonderen Touch zu verleihen. Der Ruhm Antonia Sautters hat seinen Ursprung wohl in ihrem extravagantesten „Geschöpf“, dem Ballo del Doge, einem exklusiven Maskenball im Karneval. Damit verwirklichte sich die Designerin im Jahr 1994 den Traum eines großen Events, das den Prunk des alten venezianischen Adels mit einer modernen, neuartigen, visionären und futuristischen Interpretation des Maskenballs vereint. Presse, Medien und Gäste haben den Ballo del Doge über die Jahre als den prunkvollsten, elegantesten und exklusivsten Maskenball der Welt bezeichnet – und eines von zehn Dingen, die jeder Mensch in seinem Leben mindestens einmal gesehen haben sollte. Die 26. Ausgabe des Balls findet am Samstag, 2. März 2019, statt. Das Thema lautet: „The Magnificent Ephemeral – In praise of Dream, Folly and Sin“. 500 ausgewählte Gäste treten in eine unwirkliche Dimension ein und können eine Nacht oder ihr Leben lang ihren Traum ausleben. Venedig muss man gesehen haben: Die Stadt strotzt vor Schönheit und steht jedem offen, der sie mit eigenen Augen sehen will – etwa in einem der 1.500 handgefertigten Kostüme aus Antonia Sautters Atelier.