Tom Lohner
Die Welt ist eine Spielwiese – wieso sollte also gerade die Kunstwelt Grenzen setzen? Selten trifft man auf Kunstschaffende, die mit diesem offenen Blick und ohne Berührungsängste durch die Welt gehen, nein, düsen wie Tom Lohner. Auch bei unserem mittlerweile dritten Interview innerhalb von fünf Jahren versprüht der Grazer Künstler diese ansteckende Energie – sie zeichnet Menschen aus, die absolut im Reinen sind mit dem, was sie tun, und elektrisiert sind von all den Ideen, die unaufhörlich im Kopf zischen und den Skizzenblock zum Bersten füllen. Dabei sind aber weder sprunghafte noch oberflächliche Gehetztheit spürbar: Der intensive Blick wird dem zugewandt, der oder das momentan im Fokus ist, und vielleicht ist genau diese Fähigkeit der unglaubliche Motor hinter dem High- Speed-Phänomen Tom Lohner.
Er wurde in der Kunstwelt in einem atemberaubenden Tempo von null auf hundert katapultiert und kann es selbst kaum fassen. „Fünfeinhalb Jahre – es ist wie ein schneller Sportwagen, in den wir eingestiegen sind“, nickt der 38-Jährige seinem Manager Klaus Billinger zu. Obwohl Lohner mit seinem entgegenkommenden Wesen – der gebürtige Obersteirer wurde unter kalifornischer Sonne sozialisiert und absolvierte auch dort seine Kunstausbildung – scheinbar selbst der beste Mann fürs Marketing ist, stieg er erst mit Management hundertprozentig in die Kunstwelt ein. Malen war immer schon seine Leidenschaft, doch zuerst fasste er im Bereich Grafik und Design durch die Ausbildung an der Grazer Ortweinschule Fuß. Bei der Event- und Produktionsagentur CC-Lab in London gestaltete er als Art Director die Performances großer Künstler*innen. Für Lady Gaga und Elli Goulding waren es Bühnenbilder, Storyboards für Prodigy und Pink Floyd, Konzert- und Promo-Design für die Foo Fighters, Tourentwürfe für Smashing Pumpkins und Maroon5. Der Traum, von Malerei zu leben, blieb bestehen und gemeinsam mit dem Grazer Marketing-Guru Klaus Billinger beschloss Lohner einen Halbjahres-Kunsttestlauf. Nachdem er bei seiner ersten Personale „Human- Animalism“, die 2015 in Wien stattfand, alle Bilder am Tag der Vernissage verkauft und bereits Bestellungen für weitere Werke in der Tasche hatte, rückte die Wunschvorstellung in die Realität.
Heute führen Billinger und Lohner die größte Galerie Österreichs – die Bakerhouse Gallery in Graz. Die malerische Ausgestaltung eines Grazer Haubenlokals sowie die Murals am Citybeach an der Mur waren dann erste Hinweise dafür, dass sich Tom Lohner definitiv nicht auf Leinwände beschränkt und zumindest nicht ausschließlich ein stilles Atelier für die Umsetzung seiner Bildwelten braucht. Jüngst malte er im Juni 2020 in der Wiener Gardegasse 3, unweit des Museumsquartiers, das Mural „Die Offenbarung“ zum Thema Corona. Es entstand in Zusammenarbeit mit Hollywood- Star Rose McGowen. Sie lieferte dem Künstler Ideen zur Umsetzung und wurde zusammen mit ihrem besten Freund, dem Schauspieler Kurt Russell, auf der Wand verewigt. Lohner-Kunst ist auf einer Grazer Straßenbahn, auf Plattencovern, als Tattoo auf der Haut von Kunstfreund*innen, auf folierten Autos wie Jaguar oder Porsche und bald auch auf Skateboards zu sehen.

Wenn ich den ganzen Tag male, ist das sehr meditativ für mich, ich werde Teil von diesem Bild. Abends bin ich einerseits total glücklich und entspannt, aber andererseits auch total erschöpft.
Ohne Berührungsängste bespielt der Maler unzählige unterschiedliche Bühnen und sein Stil begleitete ein Festival für Alte Musik, einen Weihnachtsmarkt in London und den berühmtesten deutschsprachigen Sänger volkstümlicher Musik ebenso wie den Ball einer Limonadenfabrik, denn: Wieso sollte es denn nicht möglich sein, „einen echten Lohner“ auf internationalen Kunstmessen (2020 in Wiesbaden, München, Salzburg, Wien) und Ausstellungen als auch auf den Etiketten seiner Pinselserie von DaVinci zu sehen?! Schmälert es denn die Qualität eines Kunstwerks, wenn es auf einem profanen Gebrauchsgegenstand abgebildet ist? Braucht es die Altäre für die großen Meister*innen und diese stillen, in sich gekehrten Protagonist*innen, deren Werke bei der Vernissage in hochgezwirbelten Worten von Kunsthistoriker*innen „erklärt“ werden – oder bringt es vielleicht mehr Menschen zur Kunst, wenn ein DJ bei der Eröffnung auflegt und die Interessierten mithilfe einer Kunst-App durch die Ausstellung geführt werden? So, wie es in der 1200 Quadratmeter großen Bakerhouse Gallery bei Tom Lohner und Klaus Billinger zu erleben ist. Wieso nicht all diese Möglichkeiten nützen, um möglichst viele Menschen für die Kunst zu begeistern?! Wird ein*e Künstler*in „zum Angreifen“ mit modernem Management und Marketing zwar oft gesehen, vielfach gekauft, aber in der Kunstwelt weniger ernst genommen?
Falls ja: Welcher tatsächlich ernst zu nehmende Grund rechtfertigt das? Wenden wir uns doch den Kunstwerken zu und sehen uns an, welche spannenden Welten sich dadurch eröffnen. Nehmen wir lieber die Idee, die Einzigartigkeit, die Kunstfertigkeit der Technik und die Eingebundenheit in den Zeitkontext unter die Lupe und urteilen danach.
EMILY’S TAKE OFF
Eine maschinenhafte Gestalt stellt Emily aus dem aktuellen Gemälde „Emily’s Take off“ aus 2020 dar. „Es ist die Geburt eines Ich-Bewusstseins“, erklärt Lohner. Nach dem Frankenstein-Prinzip erhebt sich eine Roboterfrau, die zahlreiche Zitate aus der Welt der Mobilität beinhaltet: Flugzeug‑, Auto‑, Zug-Icons; sie reißt die Kabel los, um selbstständig abzuheben, in die Zukunft zu springen und wird somit zum Leben erweckt. Aber lebt sie wirklich oder erweckt eine künstliche Intelligenz den Anschein eines eigenständig handelnden Roboters? Unzählige Details der Automobilindustrie weisen darauf hin, dass sie maschineller Natur ist. Doch wer schenkt ihr das „Leben“ – diesen Moment des Erwachens?
KÜNSTLER*INNEN VS. KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Tom Lohner wäre nicht Tom Lohner, würde er nicht auch hier die Augen offen halten und das Thema KI für seine Kunst abklopfen und nützen: Als neuesten Coup ließ er nach eigener Skizze mithilfe von künstlicher Intelligenz in Zusammenarbeit mit Christian Weber, der als Programmierer mit seinem Unternehmen federführend im Segment KI tätig ist, ein Lohner-Gemälde erstellen. Ein eigens geschriebenes Programm lernte Lohners Handschrift anhand von unzähligen Bildbeispielen des Künstlers. Das daraus entstandene Werk mit dem Titel „Robolove“ stellt einen schwebenden Roboter dar, angelehnt an den Tin Man aus „Der Zauberer von Oz“. Selbstverständlich hat der Roboter, in dessen Brust keine Heartbeats, sondern „Heart Bits“ schlagen, den finalen Schliff original durch Künstlerhand bekommen – denn während andere zaghaft über KI-Einsatz in der Kunst nachdenken, gibt Lohner Vollgas in die Zukunft: „Wenn wir heute mit KI Kunst schaffen, müssen wir gleich zu Beginn dieser neuen Epoche die Parameter richtig setzen. Der erste und letzte Strich muss vom Künstler kommen. Der Mensch darf nicht obsolet, abgelöst von Maschinen, werden.“
MUSIC & ART
Tom Lohner startete seine als kometenhaft zu bezeichnende Karriere mit zahlreichen Auftragswerken und entwickelte sehr konsequent seinen ureigenen Stil. Lohner beginnt immer mit einer Skizze und schreibt meist rund um ein Kunstwerk oder eine Serie eine Ideensammlung für ein ganzes Kunstprojekt. Anhand der Skizze beginnt der Maler, der auch begeisterter Drummer ist, durch In-Ear-Kopfhörer abgeschirmt, konzentriert an einem neuen Werk zu arbeiten, begleitet von seiner Lieblingsmusik, die er in einer sehr umfangreichen öffentlichen Spotify-Playlist zusammengefasst hat. „Stuff that ROX“ versammelt kraftvolle (Hard-)Rock- und Pop-Titel von Musiker*innen sowie Gruppen – Foo Fighters, Slipknot, Muse, Korn und viele mehr mit massivem Turbo. „Musik ist bei mir wie Benzin, das du in ein Auto schüttest“, bestätigt Lohner diese Assoziation – ein Energieschub, den ihm Musik beschert. „Wenn ich den ganzen Tag male, ist das sehr meditativ für mich, ich werde Teil von diesem Bild. Abends bin ich einerseits total glücklich und entspannt, aber andererseits auch total erschöpft“, schildert der Künstler die intensiven Schaffensphasen. Lohner arbeitet auf Leinwand mit Acrylfarben – „weil mir Ölfarbe zu langsam trocknet und ich dadurch ständig was verwische“, bedauert er.
Das altehrwürdige Material ist eben nichts für die Rasanz der Neuzeit. Die erstellte Skizze dient in der Folge als Anlehnung, manchmal wird nur ein Teil davon umgesetzt und mehr improvisiert. Wichtig ist für den Maler, dass die Emotion, die er in der Skizze festhalten wollte, sich auch im Bild wiederfindet. „Ein Bild muss fetzen, Gas geben, der erste Eindruck muss beschleunigend sein, soll motivieren, elektrisieren“, beginnt Tom Lohner zu beschreiben, was für ihn ein gelungenes Kunstwerk ausmacht. „Der zweite Eindruck soll tiefgehend sein, das Bild soll sich wie in Zwiebelschichten nach und nach öffnen“ – und nach diesem Prinzip baut er auch seine Bilder auf. Viele Details eröffnen kleine Rätsel, bieten Blicke in die Tiefe, verfeinern den Inhalt. Inspirationen stilistischer Art waren und sind für Lohner bei Tim Burtons Filmregiearbeiten zu finden; auch Steampunk-Ästhetik, Industrial Design und die Zeichnungen von Walt Disney nennt er als wichtige Einflussfaktoren. Die erste erinnerte Begeisterung für Kunst wurde durch den Surrealismus von Salvador Dali ausgelöst – er machte den Künstler neugierig auf all das, was sich dahinter verbirgt. Besonders auffallend, neben den zahlreichen grafischen Elementen in seiner Malerei, die sich überwiegend im Figurativen bewegt, ist die besondere Darstellung der Augenpartie. Groß angelegt zeigt sie jedoch keinerlei Emotion, sondern bleibt verfremdet – durch eine Art Jalousie, wie verhangene Fenster oder manchmal auch wie Tunnel, die ein dunkles Geheimnis hüten. Dadurch bekommen Lohner- Porträts von bekannten Musiker*innen wie Gwen Stefani, Shirley Manson oder Lenny Kravitz, welche von der „Hard Rock Cafe“-Gruppe in Auftrag gegeben wurden, eine surreale Komponente. Das Portrait von Alice Cooper aus dieser Serie ist mittlerweile sogar Teil ihrer privaten Kunstsammlung. Zahlreiche Lohner-Sammler*innen sind weltbekannte Musiker*innen, Schauspieler*innen und Politiker*innen. Auch das Jahr 2021 ist jetzt schon wie Benzin in Tom Lohners Tank: Im Frühjahr rufen ihn die Kunstmessen nach New York und Dubai – und im Winter wird er während der Art Basel in Miami Beach auch auf der Art Miami ausstellen.
Das fetzt – garantiert.