ALBERTINA MODERN
Die Ausstellung der ALBERTINA MODERN zeigt die österreichische Kunst in den entscheidenden Jahrzehnten nach 1945. Sie bietet erstmals einen umfassenden Überblick einer der innovativsten Epochen heimischer Kunstgeschichte und präsentiert die bedeutendsten Positionen an der Schwelle zur Postmoderne – vom Wiener Phantastischen Realismus über die frühe Abstraktion, den Wiener Aktionismus, die kinetische und konkrete Kunst sowie die österreichische Spielvariante der Popart bis zu dem für Wien so kennzeichnenden gesellschaftskritischen Realismus.
Die Kunst nach 1945 wurde in Österreich bis in die 1970er Jahre hinein als „entartet“ bezeichnet. Sie wurde kriminalisiert und verdrängt: nicht zuletzt im Wiener Künstlerhaus, in dem durch die verschiedenen Präsidenten seit den frühen 1930er Jahren der Ungeist des Nationalsozialismus herrschte, der einen reaktionären Kunstbegriff offiziell vertreten und auch verwirklichen konnte. Diesen Ungeist will The Beginning exorzieren und dem großartigen Ausstellungsgebäude eine neue Identität schenken, indem die Schau zum ersten Mal diese Nachkriegsära der Avantgarden in Österreich in jenem Haus zeigt, in dem einst die Schandausstellung der „Entarteten Kunst“ unter dem Künstlerhaus-Präsidenten Rudolf Eisenmenger ihre letzte Station im „Dritten Reich“ gefeiert hat. Ungeachtet des politischen – antifaschistischen – Konsens, den alle wesentlichen künstlerischen Gruppierungen der österreichischen Nachkriegszeit geteilt haben, sind im historischen Rückblick die Gräben zwischen dem Phantastischen Realismus – in Österreich die erste künstlerische Erneuerung nach Jahrzehnten der Stagnation und Provinzialisierung – und der abstrakten Malerei, zwischen dem Wiener Aktionismus und der konkreten und geometrischen Kunst zu groß, als dass man im Singular von einer Erneuerung der Kunst sprechen könnte.
Die Avantgarde der „Stunde Null“ existiert in Österreich nur im Plural: als Avantgarden. Gemeinsam sind den Künstlerinnen und Künstlern dieser Avantgarden die radikale Auflehnung gegen Autorität und Hierarchie, die Kritik an der Verdrängung vergangener Schuld und die kompromisslose Zurückweisung eines reaktionären Kunstverständnisses, das weit über 1945 hinaus in Österreich als Ideal gilt. Gegen dieses Ideal verstoßen die Schreckensbilder des frühen Ernst Fuchs, Anton Lehmden und Rudolf Hausner. Die Wiener Aktionisten von Otto Mühl bis Günter Brus und Hermann Nitsch spielen auf das gängige reaktionäre Kunstverständnis an, während die Abstrakten, Wolfgang Hollegha und Markus Prachensky dagegen anmalen. Die gesellschaftskritischen Realisten von Alfred Hrdlicka über Reimo Wukounig bis Gottfried Helnwein verfluchen dieses Ideal, und Wiens Speerspitze der Art Brut von Franz Ringel bis Peter Pongratz verspottet es.
Die Künstlerinnen, die ab den späten 1960er Jahren den Konflikt der Geschlechter zum Ausgangspunkt ihrer widerständigen Kunst machen, bekämpfen das reaktionäre Ideal ebenfalls: Die Aktionistin Valie Export und die spätere feministische Avantgarde, von Renate Bertlmann und Friederike Pezold bis Birgit Jürgenssen und Karin Mack, sind es nicht nur leid, sich von Männern repräsentieren und darstellen zu lassen. Sie positionieren sich radikal gegen die patriarchale Gesellschaft, die immer noch von den Geschlechterrollen, Zwängen und Tabus des „Austro-Faschismus“ und „Dritten Reichs“ geprägt ist. The Beginning widmet aber auch den bedeutenden Einzelgänger*innen Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer und Maria Lassnig eigene Räume. Was Skulptur und Objektkunst in diesem Zeitraum leisten, veranschaulichen Hauptwerke von Joannis Avramidis und Rudolf Hoflehner über Wander Bertoni und Roland Goeschl bis Curt Stenvert, Bruno Gironcoli und Cornelius Kolig. Die Eröffnungsausstellung der ALBERTINA MODERN hat sich nichts Geringeres vorgenommen als die Definition eines Kanons der österreichischen Kunst der Nachkriegsjahrzehnte. Sie zeigt insgesamt fast 100 Künstlerinnen und Künstler dieser sich über drei Jahrzehnte spannenden Epoche an der Schwelle zur Postmoderne. Das Stürzen der Kunstideale von Ständestaat und Nationalsozialismus sowie die internationale Vernetzung aller richtungsweisenden Protagonist*innen sind bislang oft vernachlässigte Kennzeichen dieser Wiener Avantgarden.
Es ergibt sich für diese Ausstellung eine Epochengrenze, die über die Besatzungszeit hinausreicht, und der erst mit den 1980er Jahren ein anderer, ein neuer Abschnitt der Kunstgeschichte gegenübersteht. Für die in den 1950er-Jahren geborene Generation waren der Nationalsozialismus und das in ihm verankerte Kunstund Gesellschaftsverständnis keine Bezugsgrößen mehr. 2021 wird mit The Eighties dieser neue Abschnitt ebenfalls zum Gegenstand einer großen Ausstellung in der ALBERTINA MODERN.
The Beginning
Kunst in Österreich 1945 bis 1980
ALBERTINA MODERN, bis 15. Nov. 2020
Täglich | 10 bis 18 Uhr