Der Narr in den Bildern

In Risu Veritas 🎨 Alan Katz

Hört also brav zu, wenn ich euch nun zei­ge, welch gros­se Diens­te ich Göt­tern und Men­schen erwei­se und die und wie weit mei­ne gött­li­che Kraft reicht –  Ein­füh­rung der Tor­heit zu Eras­mus von Rot­ter­dams „Lob der Torheit“.

Auf iro­ni­sche Wei­se pas­send, sowohl aus lit­ur­gi­scher wie poli­ti­scher Sicht: So könn­te man Alan Katz’s wand­bild­gro­ßes Meis­ter­werk, The Feast of Fools, umschrei­ben. Als Auf leh­nung­ge­gen die sozia­le Repres­si­on wird hier in einem von bei­ßen­dem Humor durch­drun­ge­nen Befrei­ungs­schlag durch das Glücks­rad der Knecht zum Herrn und umge­kehrt. Das Nar­ren­fest erfreu­te sich in ganz Euro­pa, beson­ders aber in Frank­reich und Deutsch­land gro­ßer Beliebt­heit und war eine re ligiö­se Zere­mo­nie, ver­mischt mit welt­li­chen, unzüch­ti­gen Elementen,wie sie aus den Satur­na­li­en über­lie­fert sind. Das eben­so oft unter­drück­te wie auch tole­rier­te Fes­tum Fatuo­rum zele­brier­te Mari­as Behaup­tung, Gott habe die Mäch­ti­gen vom Thron gestürzt und die Nied­ri­gen erhöht. Viel­leicht ist viel­mehr die Eitel­keit als die Demut ein Merk­mal des Nar­ren, aber der Hof­narr durf­te in sei­ner demü­ti­gen Rol­le die unver­blüm­te Wahr­heit spre­chen, was im Kon­text des Ver­trau­ens und der glaub­haf­ten Abstreit­bar­keit unab­ding­bar ist. „In Risu Veri­tas“ (Im Lachen liegt die Wahr­heit) war noch nie so tref­fend wie in unse­rer Zeit, wo wir der nack­ten, unge­schön­ten Wahr­heit viel eher in Fern­seh­ko­mö­di­en als in Nach­rich­ten­sen­dun­gen oder den Hör­sä­len der Uni­ver­si­tä­ten begegnen.

Por­trait Alan Katz

Der Weg zur eige­nen Wahr­heit und sei­ne Mas­ken Eig­nen sich, bewusst genutzt, zur Schil­de­rung Des majes­tä­ti­schen Mon­des (unse­rer Träu­me) Und des Fir­ma­ments (unse­res Poten­ti­als). Allei­ne wahrt die­ses Geheim­nis Und teilt es nur mit den Bedürf­ti­gen Der Narr auf sei­ner Reise. 

Narr­heit ist Teil der Natur des Men­schen: Es gibt unzäh­li­ge Arche­ty­pen, die uns sei­nen ange­bo­re­nen Hang zur Marot­te vor Augen füh­ren. Das Poten­ti­al zur Selbst­ana­ly­se durch den Bezug auf Arche­ty­pen ist rie­sig und zeit­los in der Dar­stel­lung der mensch­li­chen Stär­ken und Schwä­chen durch einen Nar­ren. Der Narr als Gott­heit des inhä­ren­ten mensch­li­chen Leids, das uns von­ein­an­der trennt und unse­re wah­re Iden­ti­tät zum Selbst­schutz verbirgt.

The Feast of Fools“ ist eine über­füll­te (chao­ti­sche), sur­rea­le Sze­ne, deren Farb­pa­let­te mehr einem Traum als der rea­len Welt ange­mes­sen scheint. Ein Narr auf einem Gum­mi­huhn fliegt über eine Viel­zahl an Narren­ar­che­ty­pen hin­weg, die – ähn­lich dem Letz­ten Abend­mahl – um einen Tisch ver­sam­melt sit­zen. Das über­gro­ße Werk aus den frü­hen 1980er Jah­ren erweist sich zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt als beson­ders tref­fend. Mit makel­lo­ser Aus­füh­rung, bril­lan­tem Kon­zept und aus­ge­klü­gel­ter Kom­po­si­ti­on zeigt es die gesam­te Palet­te und Bild­welt der mensch­li­chen Kapri­ze aus der War­te eines jun­gen, talen­tier­ten Künst­lers vol­ler jugend­li­chem Eifer und Idea­lis­mus. Wie in so vie­len Bil­dern von Katz ist jedoch auch hier ein zyni­scher Blick­win­kel zu erken­nen, der dem Skep­ti­zis­mus trotzt. Er weiß genau, dass die Narr­heit der Jugend im Alter nicht nachlässt.

Katz sagt zu sei­nen Erwar­tun­gen als Künst­ler: „Ich hof­fe ganz ein­fach, dass mir das mensch­li­che Wesen wei­ter­hin viel Inspi­ra­ti­on beschert und ich eines nie vergesse…nämlich, dass das Leben ein Geheim­nis ist. Ich will wei­ter­hin den Drang ver­spü­ren, das Unsicht­ba­re zu sehen und all das auf­zu­de­cken, was unter ober­fläch­li­chen Über­zeu­gun­gen und Erschei­nungs­bil­dern ver­bor­gen liegt. Unser Leben ist kei­ne rei­ne Bana­li­tät, son­dern eine Meta­pher für etwas Grö­ße­res. Bana­li­tät ist der Feind des mensch­li­chen Geis­tes, der uns als Spe­zi­es vor­an­treibt. Wer die Schät­ze des Lebens heben will, muss tief hinabtauchen.“

Die mythi­sche Gedan­ken­welt, die den Maler durch unzäh­li­ge Eng­päs­se lei­tet, lässt sich bes­ser mit Poe­sie als mit wort­wört­lich beschrei­ben. Das macht den Nar­ren zum per­fek­ten Gegen­mit­tel für wört­li­ches Den­ken. Der Narr ist ein schlag­fer­ti­ger Ein­zel­gän­ger, der gegen den Strom schwimmt. Er zeigt uns die Rea­li­tät als mythi­sche thea­tra­li­sche Erzäh­lung. Ob als wert­vol­les Ohr und ange­se­he­nes Sprach­rohr eines Königs, als Impro­vi­sa­tor in Komö­di­en oder Vau­de­ville-Stü­cken oder als Unter­hal­ter im Zir­kus – das Lachen, das der Narr uns schenkt, ist vor allem auf­grund sei­ner erns­ten Grund­ge­dan­ken erin­ne­rungs­wür­dig. Es ist die Kom­bi­na­ti­on von Lachen und Wahr­heit, die den Nar­ren zur rich­ti­gen Figur für jeden Moment macht. In einer zuneh­mend vor­her­seh­ba­ren Welt gibt der Narr Spon­ta­nei­tät. Sei­ne Rei­se ist das Aben­teu­er, das sich in jeder und jedem von uns abspielt, ein zufäl­li­ger Fun­ke im Feu­er der ewi­gen Bana­li­tät. Viel wich­ti­ger noch: Der Narr ist bereit, für eine Idee oder eine Über­zeu­gung alles aufs Spiel zu set­zen. Fällt er in Ungna­de, stürzt er von der Klip­pe.“ Der inne­re Narr ver­sucht, mit dem Her­zen zu sehen.

Katz ver­mit­telt sei­ne Visio­nen mit ver­schie­de­nen Medi­en, dar­un­ter Öl, Was­ser­far­be, Acryl, Farb­stift und Tin­te. Jedes ein­zel­ne davon bringt einen ande­ren Aspekt der Nar­ren­ge­schich­te zum Vor­schein. Die Bil­der des Künst­lers sind mal rie­sig, wie „The Feast of Fools“ mit 78“ x 132“ (198 x 335 cm), mal hand­groß. Katz hat einen ganz per­sön­li­chen Rea­lis­mus ent­wi­ckelt, der zwar einen kla­ren Bezug zur Ver­gan­gen­heit erken­nen lässt, aber Imi­ta­ti­on mei­det. Er stellt die Welt für sich dar, wie er sie sieht. Sei­ne Wer­ke bestechen durch Klar­heit, gekonn­te Kom­po­si­ti­on und mensch­li­che Elemente.

Sei­ne Serie zum The­ma „Nar­ren“ ver­an­schau­licht die Über­zeu­gung des Künst­lers, dass der bes­te Weg zur per­sön­li­chen Aus­drucks­form dar­in besteht, Inspi­ra­ti­on aus dem Leben zu schöp­fen und der Fan­ta­sie frei­en Lauf zu las­sen. Katz schätzt Kunst als Inter­pre­ta­ti­on und als sub­jek­ti­ven Aus­druck. Ganz gleich, ob es sich um Por­träts, groß­for­ma­ti­ge Gemäl­de, Still­le­ben oder Zeich­nun­gen han­delt, ver­ar­bei­tet er das Motiv mit sei­ner gan­zen See­le und formt die Rea­li­tät krea­tiv. Arche­ty­pen wie Nar­ren­kö­nig, Nar­ren­mut­ter, Irrer, Pos­sen­rei­ßer, Lie­ben­de, Scha­ma­ne, Seher, Mys­ti­ker und Kind feu­ern sei­ne Vor­stel­lung an und laden den Betrach­ter dazu ein, sich im Nar­ren­spie­gel wiederzufinden.

An der Schwel­le zum post­in­dus­tri­el­len, post­mo­der­nen Zeit­al­ter der Infor­ma­ti­on kom­men wir nicht umhin, uns zu fra­gen, ob es denn einen erwäh­nens­wer­ten Fort­schritt in der grund­le­gen­den Natur des Men­schen gege­ben hat. Unse­re Köni­ge sind wei­ter­hin so ver­blüfft wie ahnungs­los, unse­re Umwelt weni­ger frucht­bar, unser Seh­ver­mö­gen begrenzt und unser all­ge­mei­nes Ver­hal­ten von Lust, Stam­mes­kon­flik­ten und Hab­gier geprägt wie eh und je. Auch am Beginn des 21. Jahr­hun­derts ist der Homo Sapi­ens offen­bar gleich anfäl­lig für Hybris und Eitel­keit wie am Beginn des letz­ten Jahr­hun­derts und eben­so wenig bereit, sich dies einzugestehen.

Doch keh­ren wir abschlie­ßend zu „The Feast of Fools“ zurück. Der Affe in der Nische erin­nert an den Prot­ago­nis­ten von Kaf­kas bos­haf­tem „Bericht für eine Aka­de­mie“, in dem die Schwä­chen der Mensch­heit eine gro­ße Fra­ge auf­wer­fen: Ist Dar­wins Pos­tu­lat über­haupt Evo­lu­ti­on? Die Gesell­schaft ist so Kaf­ka­esk wie immer, und die­ses bei­ßen­de Bild der Mensch­heit, das der jun­ge Alan Katz vor drei Jahr­zehn­ten meis­ter­haft in sei­ne wand­bild­gro­ße Sum­ma Com­me­dia ver­pack­te, ist heu­te so komisch aktu­ell und psy­cho­lo­gisch tref­fend wie am Tag sei­ner Entstehung.

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geschrieben von

A former museum director and university lecturer in art history, Joseph M. Bravo, is an independent curator and art critic whose specialization includes contemporary realism and narrative artwork. A sought after curator, lecturer and writer with three decades in the fine art field, Bravo focuses on bringing interpretive methodologies and cultural context to bear to enhance aesthetic appreciation for connoisseurs and general audiences alike.

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