Die Songlines der Aborigines ergeben eine unsichtbare, mythische Landkarte Australiens, die per Gesang von Generation zu Generation weitergetragen wird und die Grundlage der Wanderungen »Walkabouts« der australischen Urbevölkerung ist. Manche Songlines verlaufen durch von den Aborigines verehrte Orte mit von ihnen angebrachten Fels- oder Baumzeichnungen. Diese Landkarte wird von der Zivilisation durch Baumaßnahmen verändert, sodass die kulturellen Wurzeln der Urbevölkerung zerstört werden und verloren gehen. Dennoch gibt es ein starkes Bemühen, das Wissen und Bewusstsein der Ahnen über Generationen weiterzugeben. Einer dieser Eingeweihten ist der Künstler Biggibilla.
Biggibillas Kunstwerke sind traditionelle matrilineare Songlines/Maps seiner Star Elders und des Landes seiner Vorfahren, das sich über 12.000 Quadratkilometer im Nordwesten von New South Wales und im Südwesten von Queensland erstreckt und in acht Hautgruppen unterteilt war. Er malt, schnitzt und singt die zu den acht Hautgruppen gehörenden Songlines/Maps. Seine Vorfahren nutzten die Kräfte der natürlichen Macht, um in Harmonie mit allen sichtbaren und unsichtbaren Phänomenen zu leben. Diese matrilinearen Songlines/Maps können nur durch esoterische, heilige Initiationsrituale weitergegeben werden, die anhand von Yuwaalaraay-Sandgravuren (Thawun Gunabah) umgesetzt werden; einen alten, kulturellen und spirituellen Prozess. Diesen Prozess durchlief Biggibilla mit seinem Onkel mütterlicherseits, der sein spiritueller Mentor war, bevor er verstarb.
Das Wort »Biggibilla« bedeutet in der Yuwaalaraay-Sprache »Echidna« (Stachelameisenfresser) und ist der Nachname seines Stammbaums. Mit seinem Namen verbunden sind auch seine Aufgaben als Ganmala (heiliger Wächter) des heiligen Steins (Goomah) und der heiligen Baumschnitzereien (Mingah). Die zoomorphen Linien in seinen Bildern und Skulpturen stammen direkt von den Sandgravuren seines Onkels und seiner Vorfahren. Eine von Biggibillas ersten Erinnerungen ist, dass er im Alter von drei Jahren von einer Blitzkugel (Doongallah) getroffen wurde. Es war seine erste Initiation und eine Quelle natürlicher Kraft, die sein Leben für immer beeinflussen sollte und ihn auf eine Reise zur Enthüllung der Vergangenheit sendete. Seit der Schöpfungszeit wurden alle Hüter von Biggibillas Ahnenreihe vor ihrem fünften Lebensjahr von Doongallah besucht, was ihnen ermöglichte, zum Hüter der Tagesrituale, zum Hüter des heiligen Wissens und der esoterischen Überlieferung (Gesetz) aufzusteigen. Biggibilla singt weiterhin die Songlines, egal wo er sich auf dem Planeten befindet, und dies wird oft als »The Dreaming« oder »The Dreamtime« bezeichnet.
In den Werken der Serie »The Skull Collection« stecken viele Informationen und Zusammenhänge, die Aufschluss über das Wissen der Ahnen, die verehrten Orte Australiens und Biggibillas natürliche »Berufung « geben.
Das Werk »Angledool« zeigt beispielsweise einen Schädel, der die Archetypen der nördlichen Hautgruppen Ipatha (weiblich) und Ipai (männlich) darstellt. Ihr Gebiet erstreckt sich südlich von St. George, Queensland, bis zum Lake Narran im Nordwesten von New South Wales. Das Bild der kurzhalsigen Schildkröte (Waraba) mit einer Figur in der Mitte steht für Mahabala (die Manifestation der Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft). Mahabala ist von acht heiligen Archetypen der Hautgruppe umgeben, die im Abschnitt mit dem Schwanz (Osten) beginnen und sich gegen den Uhrzeigersinn bewegen. Murratha (weiblich), Murri (männlich), Ipatha (weiblich), Ipai (männlich), Gumbatha (weiblich), Gumboo (männlich), Gubbatha (weiblich), Gubbi (männlich). Das Symbol direkt über Murratha, Murri ist der Blitzball (Doongallah), der die erste Einweihung vor dem fünften Lebensjahr darstellt und den matrilinearen Familiennamen (Yarudhagaa) der Yuwaalaraay-Linie von Biggibilla (Echidna) verleiht. Dieser Blitzball muss den jungen Eingeweihten dreimal gegen den Uhrzeigersinn umkreisen. Diese Heimsuchung/Initiation durch Doongallah findet nur bei der Biggibilla-Linie aus der östlichen Hautgruppe (Murratha Murri) statt. Das Symbol über Gumbath, Gumboo ist Doongarri (Blitz), das die erste Einweihung vor dem fünften Lebensjahr symbolisiert und den matrilinearen Familiennamen (Yarudhagaa) der Yuwaalaraay-Linie von Gahadarri-Dharragarra (Schnabeltier) ermächtigt. Die Einweihung durch Doongarri trifft den jungen Eingeweihten vor seinem fünften Lebensjahr und erstaunlicherweise überlebt er es.
Das Gemälde »Biggibilla Murri Doongallah« zeigt im oberen Teil einen Schädel mit einer Sternenkarte oder Sternensonglinien (Mirii Yugal Warruwi). Die Figur auf der linken Seite ist Mahabala (Die Manifestation der Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), der Torwächter für das Schwarze Loch des Südkreuzes (Yarrandoo Banu Biruu). Auf der anderen Seite dieses astrologischen Zentrums befindet sich das Bild eines riesigen Krokodils (Gurreah), das die Milchstraße, das Wasser und seine Elemente darstellt.
Ebenfalls aus der Serie »The Skull Collection« ist das Werk mit dem Titel »Burruguu Yooneerah Gumboo«. Auf ihm ist ein Schädel mit einem Bild des Mount Gunderbooka (Gundabooka National Park) unter den Sternen des Sternbilds Kreuz des Südens (Yarrandoo) zu sehen. Auf der anderen Seite des Mount Gunderbooka befinden sich die Symbole der beiden von Baieme erschaffenen Frauen, die er Birrangulu und Ganhanbili nannte. Sie zeugten fünfzig Kinder (vierundzwanzig für Birrangulu und sechsundzwanzig für Ganhanbili) und Baieme entwickelte eine komplexe Nomenklatur. Jedes Kind erhielt einen totemistischen Namen, der mit der Flora und Fauna verbunden war, sowie ein archetypisches Symbol, das das westliche Gebiet bezeichnete. Ein Oval für Frauen (Gumbatha) und einen Kreis für Männer (Gumboo). Diese Namen machten sie zu verantwortlichen Umweltschützern ihrer totemistischen Namen. Eine Bedingung von Baieme war, dass niemand Fleisch von irgendeinem Tier essen durfte, also wurden alle zu Veganern.
Die Frauen und Kinder, die sich am Mount Gunderbooka aufhielten, wurden von zwei Feen (Tuckoni Gumbatha und Tuckoni Gumboo) unterstützt und beschützt, während Baieme ihr Lager in Byrock (Bai Ngurra) aufschlug. Dieses Ereignis fand während der Schöpfungszeit statt.
Ein nächstes Werk trägt den Titel »Mulli Mulli Gunagala«. Es beinhaltet wiederum einen Schädel mit den Markierungen eines Murratha-Schwarzes-Loch-Portals (Banu Biruu Yarrandoo) zu einem Berg (Oobi Oobi) auf dem Planeten (Bullimah). Dieses Bild wurde für alle esoterischen Versammlungsorte der acht Hautgruppen verwendet, für die östliche Hautgruppe (Murratha Murri), die nördliche Hautgruppe (Ipatha Ipai), die westliche Hautgruppe (Gumbatha Gumboo) und die südliche Hautgruppe (Gubbatha Gubbi). Die beiden Bilder, die sich im Nachthimmelgemälde an den Händen halten, repräsentieren »Mulli Mulli«, unsere astrale Bewusstseinsprojektion, die auf dem Weg zu unserem schwarzen Loch in der Milchstraße zum Planeten/Himmel »Bullimah Gunagala« reist. Die beiden »Mulli Mulli«, die sich an den Händen halten, stehen für zwei Astralgeister, die ihren Wirtskörper in einem esoterischen Vereinigungsritual verlassen haben. Das Vereinigungsritual wird von Lore-Frauen und ‑Männern überwacht und gesichert, um sicherzustellen, dass die Wirtskörper bis zur Rückkehr ihrer Mulli Mulli sicher und geschützt sind.
Auf dem Bild »Nouiyah« ist ein mumifizierter Schädel (Milamilaa Gawugaa) dargestellt, der den Blick von Norden auf den heiligen Berg Belougery Spire (Oobi Oobi Murratha) zeigt, und darüber das Sternbild Kreuz des Südens (Yarrandoo) und seine beiden Zeiger Alpha Centauri & Beta Centauri (Nouiyah). An der Spitze von Oobi Oobi befindet sich ein Archetyp Murratha, der mit demselben Profil wie Oobi Oobi einen heiligen Berg auf dem Planeten Bullimah repräsentiert. Dieses Murratha-Bild repräsentiert das Schwarze Loch des Kohlensacks (Banu Biruu Yarrandoo), in das Mulli Mulli während eines esoterischen Rituals ein- und aussteigen würde.
Das Murratha-Symbol in der Songline/Map unterhalb des Sternensystems verbindet die verstorbene Seele/den Geist (Dhuwi) mit ihrer jeweiligen territorialen Hautgruppe, bis die Reinkarnation in einem anderen menschlichen Körper Gestalt annimmt. Die symbolische Verbindung zwischen Leben und Tod wurde in archetypischen Symbolen der territorialen Hautgruppen aufrechterhalten, die in Bäume (Mingah) geschnitzt wurden, in bemalte Schrumpfschädel (Gaarray Milamilaa Gawugaa) und in persönliche Gegenstände (Buwarrgaa). Yarrandoo ist während der Wintersonnenwende bei Vollmond zu sehen, wenn man vom Warrumbungle National Park aus nach Süden auf Oobi Oobi blickt.
»Ooboon Gumbatha Ngarrama« aus der »The Skull Collection« zeigt einen Schädel mit einer Songline/Map, die den spirituellen Geburtsort von Ooboon darstellt. Innerhalb des Gemäldes befinden sich geheime weibliche Objekte (Wahagii Yinaar Buwarr), die zum ersten Mal in Biggibillas Buch »The Yuwaalaraay Book Of The Dead« erklärt werden.
Das Werk »Buganmali Baragi Bullimah« erklärt schließlich die Vereinigung der Wächter in Vorbereitung auf die Freigabe ihres Mulli Mulli (Astral Mind). Die Karte in der Mitte des Gemäldes zeigt den Standort der östlichen Hautgruppe (Murratha Murri Buurra), die aus 82 heiligen geschnitzten Bäumen (Mingah) mit über 200 Schnitzereien von Landkarten, Liedzeilen und territorialen Archetypen bestand.
Biggibillas künstlerischer Ausdruck ist so vielfältig wie die Kultur seiner Ahnen. Er hat einen Porsche 911 Carrera Typ 996 »Art Car« handbemalt und die »Songlines« im Porsche Zentrum Melbourne zur Feier des 50-jährigen Bestehens von Porsche in Australien gesungen. Der »Art Car« ist mittlerweile dauerhaft im Porsche-Museum in Stuttgart ausgestellt. Für BMW Art hat er ein Motorrad K1200RS Sportmodell handbemalt. Es wurde im Jahr 2000 in der American Express Hall im Museum of Contemporary Arts in The Rocks, Sydney, vorgestellt. Das bemalte Motorrad und die dazugehörige Hintergrundmalerei, die den Narran-See (Dharriwaa) darstellt, sowie vier Totems, nämlich den Schnabeligel (Biggibilla), das Schnabeltier (Dharragarra Gumboo), das Riesenkrokodil (Gurreah Gumboo), den Kookaburra Gugurrgaagaa Murri sowie eine geschnitzte Redgum-Tafel (Mingah), die das Fahrzeug der Schöpfer (Baieme Baragi Mingah) darstellt, sind nach wie vor in der BMW-Zentrale in Melbourne ausgestellt.
Im Atelier von Biggibilla und seiner Frau Ooboon hängt ein Bild aus der Sammlung »The Lore (Law) Women & Men«. Der matrilineare Totem-Nachname (Yarudhagaa) des Schnabeltier-Totems (Ghayadari-Dharragarra Gumbatha) ist die weibliche, erbliche Hüterin der Medizin (Wiringin Yinarr). Leider, so wurde es durch Biggibillas Onkel übermittelt, ist ihre Abstammung seit etwa 1920 aufgrund des Völkermords, der ab 1800 in Australien stattfand, erloschen.
Der Artikel ist in der Print-Ausgabe 3.22 REFLECTION erschienen.