Experimentelle Architektur und Avantgarde

Raimund Abraham

Der in Lienz gebür­ti­ge Archi­tekt Rai­mund Abra­ham (1933–2010) wur­de der brei­te­ren Öffent­lich­keit vor allem durch sei­nen 2002 voll­ende­ten, äus­serst spek­ta­ku­lä­ren Wol­ken­krat­zer, das öster­rei­chi­sche Lul­tur­fo­rum New York, bekannt.

Die­ses nur etwa 7,5 m brei­te und 84 m hohe Gebäu­de ist für ame­ri­ka­ni­sche Ver­hält­nis­se extrem klein und besticht durch sei­ne skulp­tu­ra­le Front sowie sein aus­ge­klü­gel­tes Not­trep­pen­sys­tem, das die Rück­fas­sa­de des Baus bestimmt. Abra­ham kreuz­te die bei­den von­ein­an­der unab­hän­gi­gen Stie­gen­häu­ser zu einer soge­nann­ten Sche­ren­stie­ge. Auf die­se Wei­se konn­te er auf mini­ma­lem Raum die ört­li­che Bau­ord­nung erfül­len und genü­gend Platz zur Raum­ent­wick­lung erhal­ten. Aber eigent­lich soll­te man frü­her begin­nen. Raimund Abra­ham ist vor allem auch durch sei­ne Abkehr vom Gebau­ten berühmt gewor­den. Nach­dem er als einer der ers­ten Archi­tek­ten das Wesen, die Struk­tur der anony­men bäu­er­li­chen Archi­tek­tur unter­such­te, ver­öf­fent­lich­te er gemein­sam mit dem Foto­gra­fen Josef Dapra, für den er auch sein ers­tes Haus errich­te­te, 1963 das Buch „Ele­men­ta­re Architektur“.

Die Zeich­nung ist auto­nom, nicht eine Vor­stu­fe. Das Blatt Papier ist für mich der Ort und Archi­tek­tur ist für mich Ein­griff in den Ort. 

In die­sem Werk beleuch­te­te er die alpi­ne rura­le Gebrauchs­ar­chi­tek­tur, die kei­nen Moden unter­lag. Die her­an­ge­zo­ge­nen Bei­spie­le rei­chen von Heu­tro­cken­ge­stel­len über Holz­ver­bin­dun­gen bis zu Scheu­nen­trep­pen. In Öster­reich gab es bis dahin in die­se Rich­tung nur die zwei Jah­re zuvor erschie­ne­ne, eben­falls rich­tungs­wei­sen­de Publi­ka­ti­on „Anony­mes Bau­en Nord­bur­gen­land“ von Roland Rai­ner. Wäh­rend die­ser als Reak­ti­on auf die damals begin­nen­de Zer­stö­rung alter dörf­li­cher Struk­tu­ren auf das posi­ti­ve Wesen tra­di­tio­nel­ler Wohn­bau­ten und ‑for­men auf­merk­sam mach­te, ging Abra­ham – wie sein Buch­ti­tel bereits ver­rät – den ele­men­ta­ren Struk­tu­ren in der Archi­tek­tur nach.

Rai­mund Abra­ham, der Mit­te der 1960er-Jah­re nach Ame­ri­ka ging, erhielt nach einem Gast­vor­trag im Alter von nur 31 Jah­ren sei­ne ers­te Pro­fes­sur an der renom­mier­ten Rho­de Island School of Design. Zu die­ser Zeit zähl­te der Archi­tekt gemein­sam mit Hans Hol­l­ein und Wal­ter Pich­ler zu den Mit­be­grün­dern des Aus­tri­an Phe­no­me­non, einer losen expe­ri­men­tel­len Archi­tek­tur­rich­tung. 1967 stell­ten sie im MoMA in New York aus und erreg­ten mit ihren futu­ris­ti­schen Archi­tek­tu­ren und Stadt­struk­tu­ren gro­ßes Auf­se­hen. In die­sen Jah­ren inten­si­vier­te Abra­ham sei­ne zeich­ne­ri­sche Tätig­keit, die zu sei­nem Mar­ken­zei­chen wur­de und ihm gro­ße Repu­ta­ti­on ein­brach­te. Sein wesent­li­cher Ansatz war, dass Archi­tek­tur nicht gebaut wer­den müs­se – die Schöp­fung am Papier wur­de von ihm als gleich­wer­tig ange­se­hen. In einem Gespräch mit Chris­ti­an Reder und Diet­mar Stei­ner erläu­ter­te er dies näher: „Die Zeich­nung ist auto­nom, nicht eine Vor­stu­fe. Das Blatt Papier ist für mich der Ort und Archi­tek­tur ist für mich Ein­griff in den Ort.“ Rai­mund Abra­ham gehör­te zu jenen Archi­tek­ten, die der Archi­tek­tur­zeich­nung zu ihrem hohen Anse­hen ver­hal­fen. So beglei­te­te das zeich­ne­ri­sche Werk sein gesam­tes Schaffen.

Unter ande­rem ent­warf der Archi­tekt eine Serie ide­al­ty­pi­scher Häu­ser, die in ihrer Eigen­art an das Werk des berühm­ten fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­ons­klas­si­zis­ten Clau­de Nico­las Ledoux (1736–1806) erin­nern. Die für sich allein ste­hen­den Häu­ser wer­den über unter­ir­di­sche Ein­gän­ge erschlos­sen und tra­gen Namen, die auf ihre Eigen­art oder Erschei­nung rück­schlie­ßen las­sen. Die spre­chen­den Titel lau­ten bei­spiels­wei­se „House with Curta­ins“, „House with Path“, “House with per­ma­nent Shadow” oder etwa “House with two Horizons”.

Zusätz­lich zu den in den 1970er-Jah­ren ange­fer­tig­ten Zeich­nun­gen ent­stan­den auch Model­le die­ser Häu­ser. Rai­mund Abra­ham ent­wi­ckel­te eine frei kom­bi­nier­ba­re Land­schaft aus meist qua­dra­ti­schen Ein­hei­ten mit je einem Gebäu­de. Die­se ord­ne­te er unter­schied­lich an und foto­gra­fier­te sie in dra­ma­ti­schem Licht. Im Gegen­satz zu sei­ner übli­chen Vor­ge­hens­wei­se, bei der ein Modell immer am Beginn eines zu errich­ten­den Hau­ses stand, gal­ten die­se Model­le für ihn als fer­ti­ge Gebäu­de. Doch egal ob Zeich­nung, Modell oder rea­li­sier­ter Bau, stets bil­de­ten Stie­gen ein zen­tra­les Ele­ment sei­ner Archi­tek­tur. Auf­fal­lend auch die tie­fe Ver­wur­ze­lung sei­ner Häu­ser im Boden, man­che wur­den gar in der Erde ver­senkt. Die­ser Ver­let­zung der Natur stand nach Rai­mund Abra­hams Phi­lo­so­phie die Ver­ant­wor­tung des Archi­tek­ten gegen­über, dass „die­se auf­ge­la­de­ne Schuld nur durch eine kul­tu­rel­le und künst­le­ri­sche Ver­bes­se­rung ver­söhnt wer­den kann“.

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Christoph Freyer studied History of Art at the University of Vienna. He is a freelance art historian and web designer. Between 2013 and 2015, he collaborated on the inventory of the estate of Raimund Abraham for the Architekturzentrum Wien. He is the curator of the exhibition ‘Architekt Raimund Abraham. Back Home‘, which runs from 16 July to 26 October 2016 at the Museum Schloss Bruck/Lienz. The exhibition is a joint project of the museum and the Architekturzentrum Wien.

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