Ein Gespräch mit Bischof Hermann Glettler
Es waren stets die besten Künstler ihrer Zeit, die aufregendsten, die die Kirche engagiert hat und nach diesem Prinzip wird in der Diözese Innsbruck auch gegenwärtig agiert. Ein Beweis dafür ist das Kunstprojekt »Gebt mir Bilder! – Zeitgenössische Kunst in Innsbruck und Hall«, das anlässlich des Petrus-Canisius-Jahres rund 50 Werke international anerkannter Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart in Kirchen und auf kirchlichen Plätzen in Innsbruck und Hall einem großen Publikum zugänglich macht. Zu sehen sind die Gerechtigkeitsspirale von SUSI POP und das in derselben Re-Make-Technik gefertigte berühmte Gemälde »Die sieben Werke der Barmherzigkeit« oder Thomas Lochers Szenen des Judaskusses und der Fußwaschung aus den berühmten Fresken Giottos in Padua, in die er reliefartig eine Buchstaben-folge zur Kapitalzirkulation integriert: W‑G-W (Ware-Geld-Ware) und G‑W-G (Geld-Ware-Geld). Einen neunen Blickwinkel eröffnet die Installation des Werkes Altar des Künstlers Kris Martin am Eingang des Haller Friedhofs. Die metallenen Außenlinien der leeren Altartafeln, durch die sich der erhabene Bettelwurf ab-zeichnet, verbinden sich zu den Umrissen des Genter Altars. Auf eine lebensgroße männliche Figur mit dem Titel ECCE HOMO von Mark Wallinger und das 1997 entstandene Video »Angel« vom selben Künstler trifft man im Dom. Es zeigt Wallinger mit verdunkelter Brille und Blindenstock auf der Rolltreppe der Londoner U‑Bahn – irrlichternd hinunterschreitend auf der gegenläufigen Bewegung der Treppe. Da-bei zitiert er ununterbrochen aus dem Prolog des Johannesevangeliums: »Am Anfang war das Wort«. Im Bischofshaus hängen Bildtafeln des französischen Künstlers Guillaume Bruère. Das zentrale Werk ist ein Kreuz, aus dem die verwundeten Hände und Füße von Christus herausragen. Sie vermitteln eine Lebendigkeit und Zuwendung, eine heilsame Alternative zum gierigen Raffen, Jagen und Rauben unserer Zeit. Am Vorplatz der Jesuitenkirche befand sich mehrere Wochen das Werk SCHWAMM 4.0 von Michel Abdollahi, das einen im wahrsten Sinne des Wortes aufgesaugt hat. Leider wurde es dermaßen devastiert, sodass es entfernt werden musste. Die gesamte Schau öffnet einen intensiven Dialog rund um existentielle Themen des Menschseins und des Glaubens, weil Petrus Canisius Bildung, Religiosität und soziales Verhalten immer als zusammengehörig verstanden hat.
Initiator der anspruchsvollen künstlerischen Interventionen ist der von zeitgenössischer Kunst überzeugte Bischof Hermann Glettler, kuratiert wird die Schau vom Kunsthistoriker Dr. Hubert Salden, der vor Jahren die Kunsthalle Tirol geleitet hat. »Die Ausstellung provoziert ein frisches Nachdenken über grundsätzliche Fragen des Menschseins und des Glaubens. Neues tut sich auf – Räume, um sich berühren zu lassen und in einen Dialog des Herzens einzutreten. Bildung braucht gute, starke Bilder: Hier sind sie!«, betont Bischof Hermann Glettler. Uns macht die kunstsinnige Ader der Bischofs neugierig und wir treffen ihn anlässlich des Themas der Ausgabe »Beyond Borders«, um über Kunst und Glauben, über die Verbindung zwischen Himmel und Erde, über den Resonanzraum und die Bildung der Seele, Grundfragen von Spiritualität und das Geheimnis von Gottes Gegenwart in seiner Schöpfung zu sprechen.
Bevor wir auf das Kunstprojekt im Rahmen der 500-Jahre-Feier des Diözesanpatron Petrus Canisius in Tirol zu sprechen kommen, würde uns interessieren, wie Sie sich der Kunst genähert haben, was der Auslöser war, unter anderem die Kunst zu Ihrem Lebensinhalt zu machen und warum Sie dieses Thema schließlich mit in die Kirche nehmen?
HERMANN GLETTLER: Im Prinzip ist mein Interesse für die Kunst durch einen Kunsterzieher im Gymnasium, Luis Sammer, ein steirischer Maler, der in der Abstraktion zuhause ist, geweckt worden. Sammer hat es geschafft, uns junge Leute durch seine Erzäh-lungen und Verschränkungen von Kunst und Alltag zu faszinieren. In der siebenten Klasse hat er mich für eine expressive Kreuzdarstellung sehr gelobt und das war die Initialzündung. Ich habe begonnen Freunde zu portraitieren und selbst Kunst zu produzieren. Während meines Theologiestudiums, von dem ich zwei Jahre auch in Deutschland verbrachte, war ich zwei Jahre lang freier Hörer bei Professor Rudolf Schoofs in Stuttgart. Ich habe ihm meine Arbeiten präsentiert. Mit ihm konnte ich über Grundfragen von Malerei diskutieren, über den Auf-bau von Spannung und Rhythmus in einem abstrakten Bild und über das Vermeiden oberflächlicher Floskeln. Wie in der Komposition von Musik, gibt es auch Gesetzmäßigkeiten in der freien Malerei. Zusätzlich zur Theologie habe ich auch Kunstgeschichte studiert, abgeschlossen mit einer Diplomarbeit über den Zeichner und Bildhauer Walter Pichler. Nach einigen produktiven Jahren und Ausstellungen bin ich Ende der 90er Jahre mit der Malerei, die ich auch noch in den ersten Jahren meines Priesterseins weitergeführt habe, in eine Krise gekommen. Die Serie das »Ausmalen« war die letzte Serie bevor ich mich eher dem Konzeptuellen genähert habe – Foto, Bildbearbeitungen und Installationen. Momentan bleibt wenig Zeit dafür. Ich realisiere etwas, wenn ich eine Einladung zu einer Ausstellung bekomme.
Wie sind Sie dann vom Künstler zur Kunstvermittlung gekommen?
HERMANN GLETTLER: Kunstvermittlung war mir von Anfang an wichtig. Ich habe bereits als Student im Priesterseminar eine Galerie gegründet, die Galerie 4. Ich wollte mich und meine Freunde mit originalen Kunstwerken konfrontieren. Durch diese Ausstellungsaktivität kam es zu wunderbaren Begegnungen und einigen Konflikten – einige mussten lernen, etwas stehen und gelten zu lassen, was man nicht begreift. Nicht nur für Theologen ist dies ein wichtiger Lernprozess. Oft verbauen wir uns den Zugang zu einem neuen und größeren Horizont, weil wir unter dem Druck stehen, alles begreifen zu müssen. Als junger Priester habe ich an meinem ersten Einsatzort, Judenburg in der Obersteiermark, Kunstausstellungen initiiert. Nicht alle konnten mit diesem starken Kunst-Akzent in meiner Pfarrarbeit etwas anfangen. Für mich war jedoch immer klar, dass Glaube und Kunst zusammengehören und sich gegenseitig befruchten. Wir müssen doch an-sprechbar, berührbar und auch verwundbar bleiben, nicht wahr? Das kann Kunst leisten, sie stellt in Frage. Ab dieser Zeit war ich auch Mitglied in der diözesanen Kunstkommission, die konkrete Aufträge für Altarraum- und Kirchenumgestaltungen begleitet hat. Die Zusammenarbeit mit bedeutenden Künstlern war dabei wesentlich. Als ich dann ab 1999 in einem multikulturellen Viertel in Graz Pfarrer wurde, ist das Projekt ANDRÄ KUNST entstanden. Es war eine jahrelange, konsequente Gastfreundschaft für zeitgenössische Kunst in einem normalen Pfarrbetrieb. Viele temporäre und auch bleibende Kunstinterventionen wurden realisiert – u.a. auch 15 zeitgenössische Glasfenstergestaltungen, die durch ihren konzeptuellen Ansatz einzigartig sind. Man kann das unter www.andrae-kunst.org nachschauen.
Bei unserer Recherche haben wir herausgefunden, dass Sie Kunst als ein Lebensmittel für die Seele betrachten: stärkend, tröstend, provozierend, verwirrend und sinnstiftend zugleich. Sehen Sie dies als Betrachter oder würden Sie das auch auf Ihren Schaffensprozess als Künstler beziehen?
HERMANN GLETTLER: Ich beziehe das vor allem auf die Rezeption von Kunstwerken. Die Freundschaft mit Kulturschaffenden hat mich sehr geprägt. Als Student war ich schon mit einigen Künstlern gut befreundet. Ich nenne stell-vertretend nur Gustav Troger, der letztlich auch für die Entwicklung von Andrä-Kunst ausgesprochen wichtig war. Natürlich hat sich die in der Frage erwähnte Ambivalenz auch auf meine eigene Kunstproduktion ausgewirkt. Es ging mir immer darum, Verstörung zuzulassen, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, einfach Unbekanntes und Fremdes wahrzunehmen. Das hat sich auch auf das soziale Engagement ausgewirkt, das für eine gesellschafts-relevante Kirche in der heutigen Zeit sehr wichtig ist.
Kunst ist ein Katalysator für Begegnung und auch für Überforderung. Man lernt mit ihr etwas stehen zu lassen, das man nicht begreift.
Kann Ihrer Meinung nach die Kunst, die immer schon integrativer Bestandteil der Kirchen war, als größeres Verständnis für die göttliche Bestimmung im Leben begriffen werden?
HERMANN GLETTLER: Kunst ist eine Hilfe, um die Sinne zu schärfen und ein geistiges Sensorium für ein tieferes Verständnis von Welt und Leben aufzubauen – auch für die »göttliche Bestimmung«, wenn Sie das so bezeichnen möchten. Der Hl. Ignatius hat das verstanden. Nicht zufällig gibt er in seinen Exerzitien die Anweisung, dass wir mit allen Sinnen in das biblische Geschehen eintauchen sollten. In dieser Linie steht auch Petrus Canisius, der seinen General in Rom um Bilder gebeten hat. Er wollte damit seine Glaubensunterweisungen stützen und Menschen geistvoll prägen. Mit Hilfe der Kunst lässt sich das Geheimnis von Gottes Gegenwart in seiner Schöpfung erahnen, das berauschend Schöne und auch das Fragile, Verletzliche und Vorläufige. Wir müssen dafür die Seele weiten. Wenn jedoch jemand keinen inneren Resonanzraum aufbaut, dann kommt ohnehin keine Musik, keine Literatur, keine bildende Kunst an ihn heran. Daher ist die ästhetische Bildung in allen Bereichen so wichtig. Die direkte Vermittlung von Glaubensinhalten gelingt mit zeitgenössischer Kunst nur relativ bedingt. Was wir dennoch mit der Ausstellung zum Petrus-Canisius Jahr eindrücklich belegen konnten, ist die Tatsache, dass in der zeitgenössischen Kunst viele religiöse Fragestellungen vorkommen. Nicht zuletzt auch ganz deutliche Hinweise auf zentrale katholische Bildtraditionen – auf die Menschwerdung Gottes, auf das Kreuz und die Eucharistie. Wenn sich qualitätsvolle Künstlerinnen und Künstler religiösen Themen widmen, dann kommt meist noch ein Plus, eine zusätzliche Dimension ins Spiel. Das gilt auch für die alte Kunst. Ich denke an Tintoretto. Er hat es geschafft, eine mystische Dimension zu vermitteln, wenn beispielsweise in einigen seiner vielen Abendmahlsdarstellungen der ganze Tisch zu schweben beginnt. Er benennt damit Unfassbares im scheinbar Alltäglichen.
In Ihrem Buch »Die fremde Gestalt« sprechen Sie sich gegen eine »Verkitschung« von Jesus aus und bringen den »unbequemen Jesus« ins Spiel. Wie dürfen wir uns den vorstellen? Welche Kunst hat Jesus überzeugt?
HERMANN GLETTLER (lacht): Jesus hatte wohl keinen unmittelbaren Umgang mit Kunst. Die überwältigende Architektur und künstlerisch anspruchsvolle Dekoration des jüdischen Tempels hat er eher kritisch gesehen. Kitsch schleicht sich in der Kunst immer dann ein, wenn das religiöse Gefühl dem Betrachter verordnet wird. Kitsch ist eigentlich Lieblosigkeit. Nun, die Darstellungen von Jesus bringen viele Facetten. Die ersten antiken Bildnachweise zeigen ihn als jugendlichen Hirten, ein Spottgraffiti aus Rom sogar mit einem Eselskopf auf dem Kreuz. Die älteste Ikone, ein Meisterwerk aus dem 6. Jahr-hundert im Katharinenkloster am Sinai, lehnt sich an das übliche Kaiserbildnis an. Die Ikone vermittelt eine unglaublich starke Präsenz. Und dann ließe sich in der Romanik und Gotik eine unendliche Liste von Christusbildern aufzählen, die allesamt in ihrer Schönheit herausfordern, 100%ig kitschfrei. Ich erwähne nur den Altar von Mathias Grünewald in Colmar – der Gekreuzigte mit den gleichen eitrigen Beulen wie die Kranken, denen dieses Bild gezeigt wurde. Jesus als der mitleidende Erlöser. Übrigens auch ein Thema, das der Tiroler Albin Egger Lienz mit seinem Auferstandenen in der Gedächtniskapelle in Lienz aufgegriffen hat. Er hat belastet von den grauenhaften Ereignissen des Ersten Weltkrieges nicht den Siegreichen dargestellt, sondern den verunsicherten Christus. Die Kapelle wurde deswegen gesperrt. Unzählige Künstler haben sich im Laufe der Jahrhunderte mit Jesus, seiner Gestalt und Botschaft auseinandergesetzt. Auch Mark Wallinger, der im Jahr 2000 zum Millenium für den Trafalgar Square in London eine ECCE HOMO Statue geschaffen hat. Ein Kunstwerk von Weltrang, das jetzt in unserem Dom zu besichtigen ist. Er hat sich für die Jesus-Figur entschieden, weil es für ihn aktuell niemanden gibt, der peinlicher und faszinierender zu-gleich ist. Mich berührt diese Auseinandersetzung.
Wie Sie sagten, blühte die »Ars sacra« zur Zeit von Giotto, Michelangelo und Caravaggio. Die Kunstschätze, die damals entstanden sind, haben heute noch Relevanz. Musik, bildende Kunst, Literatur, Architektur, Bildhauerei, Medienkunst oder live-Performance – was kann die Kirche heute umsetzen?
HERMANN GLETTLER: Einiges scheint möglich zu sein, aber wir haben enormen Lernbedarf. Es reicht nicht aus, im kirchlichen Binnenraum gefällige Kirchenkunst zu produzieren. Nur in einer vitalen Auseinandersetzung und Wertschätzung gegenüber dem, was heute in der zeitgenössischen Kultur verhandelt wird, kann es wieder nennenswerte Neuschöpfungen geben. Man hat sich zur Schaffung sakraler Kunst bis herauf ins 18. Jahrhundert zum Glück immer von dem inspirieren lassen, was in der säkularen Kunst Standard war, mehr noch. Durch kirchlich beauftragte Kunst wurde der eigentliche Qualitätslevel vorgegeben – denken wir an die von Ihnen erwähnten Künstler der Renaissance und des Barock. In der sakralen Architektur hat man die Basilika, also die Markthalle als Vorbild für den Kirchenbau übernommen – es war doch der Ort der Versammlung, der öffentlichen Debatten, des Kultes und der Rechtsprechung. Das Christentum hatte die Kraft, vieles aufzugreifen, zu integrieren und für die Verkündigung des Evangeliums einzusetzen. Die Ikone war ursprünglich das Kaiserbild, also auch keine christliche Erfindung. Durch Verwerfung und neue Kontextualisierung entwickelt sich im Prozess kultureller Aneignung aber immer wieder Neues. Ob wir das auch heute noch schaffen? Voraussetzung für einen Dialog ist gewiss ein demütiges, aber gesundes Selbstbewusstsein: Das Evangelium Jesu hat eine positive, kulturverändernde Kraft in sich.
Sehen Sie sich als Bischof aufgefordert, Verständnis und Aufklärung für die Kunst in der Kirche zu fördern? Wie bricht die Kirche die Hemmschwellen der Gläubigen, wenn es um das Thema Kunst geht?
HERMANN GLETTLER: Wirklich anspruchsvolle Kunst wird immer Diskussionen auslösen. Ja, es braucht auch eine Unterscheidung der Geister: Nicht alles was heutig produziert wird, ist gleich wertvoll. Mein erster Auftrag als Bischof ist es, das Neue der Botschaft Jesu für die heutige Zeit zu erschließen. Da ist vieles aufzuholen. Ebenso ist mir ein Dienst für die Einheit in Kirche und Gesellschaft aufgetragen. Außerdem muss ich dafür sorgen, dass wir jene, die es schwer haben, nicht übersehen. Ich bin nicht Bischof, um die Leute zur Kunst zu bekehren. Wenn sich Möglichkeiten auftun, dann setze ich mich für zeitgenössische Gestaltungen ein. Wenn dadurch auch vermittelt werden kann, dass in der Kirche alle großen Themen zwischen Himmel und Erde Platz haben, auch die nicht-frommen, dann stellt sich ein Mehrwert ein. Aber ich möchte Kunst im Kontext von Kirche ihre Autonomie belassen, sie nicht verzwecken.
Spiritualität heißt das Geheimnisvolle wahrzunehmen, sich auf den Weg zu machen, ansprechbar zu bleiben, sich auch in Frage stellen zu lassen, verwundbar zu werden.
Ist bei allen Schätzen, welche die Kirchen in Österreich und in Europa zu bieten haben, noch Platz für Neues?
HERMANN GLETTLER: Gerade in Tirol haben wir viele wunderschöne, mit vielen Themen und Motiven aufgeladene barocke Kirchen – aber kaum jemand kann diese Botschaften lesen, geschweige denn verstehen. Alte Kunst im Kirchenraum wird oft lediglich wie eine vertraute Tapete wahrgenommen, kaum ein Dialog. Durch das Zulassen von Gegenwartskunst kann der Blick und das Gefühl dafür wieder geschärft werden. Diesen positiven Effekt kenne ich von Graz St. Andrä. Durch die zeitgenössischen Interventionen ist das Bewusstsein für das Vorhandene wach geworden. Plötzlich standen ein neues Glasfenster des Tiroler Künstlers Lois Weinberger und ein Jesu-Namen-Altar aus dem 18. Jahrhundert miteinander im Dialog. Im Fenster stand Oh Mein Gott!. Das hat sich gegenseitig sensationell befruchtet.
Wir haben es schon eingangs erwähnt: Das Jahr 2021 ist Ihrem Diözesanpatron Petrus Canisius in Tirol gewidmet, welches als 500-Jahre-Jubiläum gefeiert wird. Für dieses Ausstellungsprojekt ist auch der Kellerraum des Bischofshauses renoviert worden. Welche Bedeutung hat für Sie das Kreuzgemälde von Guillaume Bruère, das dort hängt?
HERMANN GLETTLER: Es ist richtig gut. Das abstrakte Kreuz ist verbunden mit den verwundeten Händen, Füßen und mit dem durchbohrten Herzen Jesu. Der französische Künstler ist ohne eine religiöse Bildung aufgewachsen und erst durch die Beschäftigung mit Kunst auf das Christentum gestoßen. Durch seine Nachforschungen in den Museen ist er mit den christlichen Themen immer intensiver in Berührung gekommen. In seiner Faszination versucht er darauf zu antworten. Die Herz-Jesu-Ikonographie ist ja nicht unproblematisch – losgelöst aus der Verkitschung hätte sie großes Potential für heute. Wir brauchen doch eine zeitgemäße Herz-Spiritualität. Gott hat Herz gezeigt!
Würde Sie das persönlich stören, wenn ausgewählte Künstler an Ihrem Projekt »Gebt mir Bilder« Zweifel am katholischen Glauben äußern oder gar einer anderen Glaubensrichtung angehören?
HERMANN GLETTLER: Nein, keineswegs. Zunächst ist es so, dass viele Künstlerinnen und Künstler es schätzen, für einen Beitrag in der Kirche angefragt zu werden. Viele haben eine spirituelle Sensibilität und das Wissen darüber, dass eine Kirche kein neutraler Raum ist. Darin seine eigene Arbeit zu setzen, ergibt eine ganz andere Aura, eine andere Strahlkraft. Wir haben einen muslimischen Künstler dabei, Michel Abdollahi, der für den Vorplatz der Jesuitenkirche einen großen Schwamm gestaltet hat. Leider mussten wir das Werk entfernen, weil es von Passanten zerstört wurde. Abdollahi steht in seinem Umfeld offensichtlich zu seinem Glauben. Das löst schon einige Irritationen aus. SUSI POP, ein Künstlerkollektiv aus Berlin, hat vermutlich mit Kirche auch nicht viel am Hut und sie arbeiten dennoch mit einigen Vorlagen, die aus dem christlichen Welt- und Gottesverständnis stammen.
Was möchten Sie mit diesem Projekt langfristig und nachhaltig zum Ausdruck bringen und was erwarten Sie sich von Menschen und den Künstlern, die Ihre Werke in der Kirche zeigen?
HERMANN GLETTLER: Die Jesuitenkirche in Hall ist für die Sommermonate ein höchst spiritueller Kunst-Schauraum geworden. Sie wurde schon jahrelang kaum mehr als Kirche genützt. Die anderen sind als Kirchen in Betrieb und es handelt sich nur um temporäre Interventionen. Ich bin dem Kurator der Ausstellung, Dr. Hubert Salden dankbar, weil er darauf geachtet hat, dass in den Gotteshäusern die vorhandene Bild-Ausstattung nicht verdrängt oder überspielt, sondern in ihrer Bedeutung mitgedacht wird. Die Ecce-Homo Skulptur von Wallinger beispielsweise steht da wie ein Kirchenbesucher, sie ist bewusst auf den Altar gerichtet. Wir möchten mit der Ausstellung die Themen, die Petrus Canisius im 16. Jahrhundert umgetrieben haben, in ihrer Aktualität bewusst machen: Die Frage nach dem, was trägt; die Bedeutung Jesu; Haltungen in Krisenzeiten; Umgang mit Schuld und Versagen; Frage nach Versöhnung und Gerechtigkeit in einer belasteten Zeit; u.v.m. Wir möchten viele Menschen dazu verleiten, in diese Themen einzutauchen und sich auf einen persönlichen Weg einzulassen. Stoff gibt es dazu genug, viele starke Bildwerke, an denen man sich aufrichten und neu ausrichten kann
Vielen Dank für dieses aufschlussreiche und vor allem bereichernde Gespräch. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg beim Schaffen dieser bewundernswerten Resonanzräume.
Das Interview ist in der Printausgabe BEYOND BORDERS 3.21 erschienen.