Interview mit Bettina Kames, Direktorin LAS
Wenn wir in dieser Ausgabe die möglichen Felder der Konnektivität, Verbindungen und Kollaboration in der Kunstwelt beleuchten und sie der Isolation oder Vereinzelung gegen-überstellen, dann ist auch ein Gespräch über den zunehmend interdisziplinären Ansatz, den innovative künstlerische Positionen vorantreiben, relevant. Die Zeit, in der wir uns befinden, bringt einige Herausforderungen mit sich, vor allem im Kunst- und Kulturbereich. Der Brückenschlag der Kunst hin zur Technologie und Wissenschaft, umgesetzt im öffentlichen Raum, eröffnet einen unkonventionellen und zugleich zukunftsweisenden Weg. Mit der Plattform Light Art Space, kurz LAS, hat Gründer Jan Fischer gemeinsam mit Direktorin Bettina Kames ein Ausstellungsformat in Berlin ins Leben gerufen, das „mit Erfahrungshorizonten experimentiert“ und „Kunst in verschiedenen Formen, Räumen und Kontexten denkt und ganzheitlich umsetzt“. Wir durften uns mit Bettina Kames über LAS, das Licht als Leitmotiv, die Schnittstellen von Kunst, Technologie, Wissenschaft und die aktuellen Ausstellungsprojekte unterhalten.
Frau Kames, wann ist die Idee zur Gründung von LAS geboren und in welcher Form konnte diese dann vollzogen werden?
BETTINA KAMES: LAS wurde 2016 als gemeinnützige Plattform für Kunst, Wissenschaft und neue Technologien gegründet mit der Mission, Grenzen zu hinterfragen und zu überwinden, die Kunst aus dem Exklusiven heraus in das Inklusive zu führen und Themen der Zukunft in eine Sprache zu übersetzen, die alle verstehen. Als 11-köpfiges Team mit Sitz in Berlin arbeiten wir daran, diese Mission mit aufstrebenden und visionären Künstler*innen umzusetzen, mit denen wir zusammen zukunfts-weisende Installationen und Interventionen sowie digitale Formate realisieren.
Als Direktorin verantworten Sie gemeinsam mit dem Gründer Jan Fischer die Plattform LAS. Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem experimentellen Ansatz bei den bisher realisierten Projekten gesammelt? Wie reagiert das Publikum? Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen?
BETTINA KAMES: 2019 hatten wir unsere erste große Ausstellung, Latent Being von Refik Anadol im Kraftwerk Berlin, eine Ausstellung über Space Machine Learning – und waren überwältigt von der Resonanz. In nur fünf Wochen hatten wir fast 40.000 Besucher*innen und die nationale wie internationale Presse hat über die Ausstellung berichtet. Besonders haben wir uns über das breitgefächerte Publikum gefreut, die wir mit der Ausstellung begeistern konnten: Von Kunstbegeisterten über Tech-Entrepreneur*innen hin zu Familien und Nachbar*innen war alles dabei. Ein schöner Beweis dafür, dass unsere Mission einen guten Anfang hatte. Im Zentrum stehen für uns stets die Künstler*innen: Sie sind es, die so unterschiedliche Sphären wie Künstliche Intelligenz und Space Machine Learning oder neueste wissenschaftliche Forschungen in der Welt der Kunst zusammenführen und direkt erfahrbar machen. Über diesen direkten, oftmals eher sinnlichen Zu-gang lassen sie uns so über neue soziale und technologische Wirklichkeiten nachdenken.
Ein Grundgedanke von LAS ist es Kunst für alle Menschen zugänglich zu machen, also Hemm-schwellen abzubauen und ein breites Publikum anzusprechen. Was ist essentiell, damit das gelingt?
BETTINA KAMES: Kunst für alle bedeutet für uns, Kunst in verschiedenen Formen, Räumen und Kontexten zu denken und ganzheitlich umzusetzen. Wichtig ist uns dabei vor allem, Kunst in den öffentlichen Raum zu holen, an besondere Orte zu gehen wie das Kraftwerk oder die Halle am Berghain in Berlin. LAS Ausstellungen setzen keinerlei Vorkenntnisse voraus und sind damit für Kulturerfahrene und Kunstneulinge gleichermaßen zugänglich. Außerdem achten wir bei der Konzeption unserer Programme darauf, inklusiv und nachhaltig zu arbeiten. Parallel bauen wir unser digitales Programm aus, das Kunst auf anderen Ebenen erfahrbar macht und manchmal Barrieren überwindet, die physische Ausstellungen haben. Stets bieten wir begleitende Vermittlungsprogramme zu unseren Ausstellungen an. Im Rahmen unserer aktuellen Ausstellung Berl-Berl von Jakob Kudsk Steensen in der Halle am Berghain kooperieren wir beispielsweise mit dem Museum für Naturkunde Berlin. Wir greifen dabei die Themen der Ausstellung auf und vermitteln diese in unserem Bildungsprogramm. Teil dessen sind u.a. Fluss-Exkursionen und das Mitmach-Projekt Wissensfluss, bei dem Schüler*innen samt Familie sowie allen Interessierten, die Artenvielfalt und Lebensräume rund um die Panke, ein Berliner Fluss, erforschen können.
Mit LAS wollen wir das Jetzt erfahrbar und die Zukunft sichtbar machen. Wir arbeiten dafür eng mit Künstler*innen zusammen, die – thematisch oder in ihrer künstlerischen Praxis – einen innovativen Ansatz verfolgen, Grenzen überschreiten und sich an der Schnittstelle von Kunst, neuesten Technologien und Wissenschaft bewegen. Wir wollen so Fragestellungen diskutieren, die heute relevant sind und unsere Zukunft bestimmen.
Der interdisziplinäre Ansatz von LAS ist äußerst zukunftsorientiert und ambitioniert. Welche Ressourcen und welches Know-how benötigen Sie wissenschaftlicher und technologischer Natur, um diese Projekte umzusetzen?
BETTINA KAMES: LAS zukunftsorientierter Ansatz braucht zunächst einmal Neugierde und Offenheit gegenüber dem Unkonventionellen. Wir suchen und fördern gezielt Künstler*innen, die – thematisch oder in ihrer künstlerischen Praxis – einen innovativen Ansatz verfolgen und sich an Schnittstellen von Kunst, Technologie und Wissenschaft bewegen. Ein gutes Beispiel ist Jakob Kudsk Steensen, der Kunst und neueste Technologien verbindet. Er setzt dabei die immensen Möglichkeiten der Gaming-Technologien als Werkzeug ein, um virtuelle Welten zu schaffen, die eine neue Perspektive auf unsere Umwelt und auf das Ökosystem „Sumpf“ werfen. Wichtig für unseren interdisziplinären Ansatz sind zu-dem unsere Netzwerke und Partnerschaften wie beispielsweise mit dem Museum für Naturkunde Berlin. Jakob Kudsk Steensen hat im Rahmen dieser Partnerschaft Zugriff auf das umfassende Archiv des Museums erhalten und konnte Lautaufnahmen und Digitalisate von Objekten aus Fauna und Flora in die Ausstellung Berl-Berl einfließen lassen. Zusammen mit unseren Partner*innen schlagen wir so Brücken zwischen der Kunst, Wissenschaft und Technik – und können uns gegenseitig hinterfragen, von-einander lernen und gemeinsam unseren Blick weiten.
Die Projekte, die Sie mit den Künstler*innen initiieren, werden sowohl von LAS beauftragt als auch mit dem technologischen Know-how von LAS umgesetzt – verstehen wir das richtig? Können Sie uns diese Herangehensweise bitte anhand eines Beispiels aus der Vergangenheit, das bereits realisiert wurde, erklären?
BETTINA KAMES: LAS unterstützt Künstler*innen dabei, mithilfe neuester Technologien Kunstwerke zu realisieren. Im Rahmen dessen präsentierte LAS zum Beispiel im November 2020 mit Judy Chicago Rainbow AR die erste virtuelle Arbeit der Künstlerin und die Fortsetzung ihrer gefeierten Atmospheres Serie im digitalen Raum. Ursprünglich wollten wir ihre Rauchskulpturen in Berlin zeigen, aufgrund der Pandemie änderten sich unsere Pläne jedoch und wir haben es geschafft Judy Chicago davon zu überzeugen, ihre Rauchskulpturen erst-malig virtuell zum Leben zu erwecken. In enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin und den Experience Designern von International Magic entwickelten wir eine App mit AR-Technologie, die einem breitem und vor allem auch kunstfernem Publikum ermöglicht, überall eine ortsspezifische Smoke Sculpture™ (Rauchskulptur) entstehen zu lassen und dabei die jeweils eigene Umgebung zu transformieren. Mittels innovati-ver und zukunftsweisender Technologien (wie Device Motion, Fluid Smoke Simulations, Real-Time Particlesystems, Noise Shaders) ist es uns gelungen, die Ästhetik von Chicagos Smoke Sculpture™ innerhalb von Augmented Reality zu übersetzen und zu simulieren. So konnten wir eine authentische, interaktive Erfahrung gestalten, die für die Betrachter*innen jedes Mal neu und einzigartig ist. Ein weiteres Beispiel ist die Auftragsarbeit mit der Künstlerin Libby Heaney. Zusammen mit ihr entwickeln wir aktuell eines der ersten Kunstwerke, die mit einem Quantencomputer entstehen.
Nicht standortbezogen zu arbeiten hat sicher seinen Reiz, dennoch stellen wir uns die Umsetzung enorm aufwändig vor. Wie eruieren Sie geeignete Standorte für die Umsetzung und wird es auch irgendwann einen festen Standort für LAS geben?
BETTINA KAMES: Mit LAS gehen wir an besondere Orte, um besondere Erfahrungen zu ermöglichen, im Innen- wie im Außen-raum. Meist sind unsere Ausstellungen orts-spezifisch, werden genau für diesen Raum, Architektur, Platz entwickelt. Sie bieten den Künstler*innen viel Gestaltungsfreiheit; einige Künstler*innen wie beispielsweise Robert Irwin suchen sich ihren Ausstellungsort (in seinem Fall das Kraftwerk Berlin) selbst aus und realisieren dort Arbeiten, die sie kaum irgendwo anders auf der Welt so umsetzen können. Diese und auch die Ausstellung mit Jakob Kudsk Steensen in der Halle am Berghain sind in zwei der berühmtesten Berliner Clublocations. Wir können mit unserer standortunabhängigen Arbeit zudem verschiede-ne Kunstformen miteinander verknüpfen und wie in dem Beispiel einen Dialog zwischen Kunst, Technologie und Clubkultur schaffen. Zudem können wir mit diesem nomadischen Vorgehen, leichter Grenzen überwinden. Ein Ort wie das Kraftwerk spricht andere Besucher*innen an, besitzt für manche eine viel kleinere Hemmschwelle als ein klassisches Museum. Parallel dazu sind wir auf der Suche nach einem festen Standort, den wir als offenen Zukunfts-Campus gestalten möchten. Dort wollen wir einen begehbaren Kunstort schaffen, interdisziplinäre Ideen erforschen und Fragen der Zukunft behandeln. Auch nach der Eröffnung eines festen Standorts wird es weiter Teil unseres Programms bleiben, Projekte an anderen Orten, im digitalen wie physischen Raum, umzusetzen.
Sie haben es schon angesprochen – bis September dürfen wir uns am Standort Halle am Berghain auf die immersive Installation von Jakob Kudsk Steensen freuen. Es geht um den Ursprung Berlins. Was kann das Publikum vor Ort erleben?
BETTINA KAMES: Berl-Berl ist Kudsk Steensens erste große Einzelausstellung in Europa. Mit der monumentalen digitalen Installation bespielt er die komplette Halle am Berghain und schafft so ein raumgreifendes, ortsspezifisches Erlebnis. Er ist bekannt für seine innovativen Projekte, die umfangreiche Feldforschung mit modernster digitaler Technologie verbinden. An dieser Schnittstelle von Kunst und Technologie liegt auch Berl-Berl, seine Hommage an Berlins Ursprung als Sumpflandschaft. Die Besucher*innen erwartet eine Reise durch ein virtuelles Feuchtgebiet, das verlorene Perspektiven auf die Sumpflandschaft weckt, indem es Berlins aktuelle Sumpfgebiete mit den einst hier beheimateten Arten und Mythologien verbindet. Großformatige LED-Screens eröffnen mit ihren ständig wechselnden Bildkombinationen, die vom Hyperrealistischen bis hin zum Fantastischen und Futuristischen reichen, unterschiedliche Blickwinkel auf die virtuelle Landschaft. Die mittels Makrofotogrammetrie aufgenommenen Eindrücke der lokalen Flora und Fauna erlauben Einblicke, die dem bloßen Auge sonst verborgen bleiben. Diese Kombination von Kunst, Wissenschaft und neuesten Technologien trifft den Kern von LAS interdisziplinärem Ansatz und erlaubt, verlorene Welten zu erkunden, den Blick für die Zukunft zu schärfen und zeitliche Dimensionen aufzulösen.
Sie lassen mit LAS also die Grenzen zwischen Realität und Virtualität verschwimmen. Licht ist dabei das zentrale Element. Wie kann der Einsatz von Licht kombiniert mit den heutigen Technologien die Kunst in Zukunft prägen bzw. um neue Dimensionen erweitern?
BETTINA KAMES: Bei LAS geht es vor allem darum, was Licht symbolisiert. Wir sehen Licht als unser Leitmotiv, als Symbol der Reflexion und des Wegweisens. Denn Licht ist grenzenlos und wandelbar; und spielt für alle Menschen, in allen Zeiten und allen Disziplinen eine Rolle, aktuell zum Beispiel in Form von Laser- oder Datentechnologien. Diese technologischen Fortschritte werden die Zukunft prägen und immer wieder neue Möglichkeiten eröffnen, Kunst zu machen. Die Technologien, die zum Beispiel Jakob Kudsk Steensen in Berl-Berl verwendet, wären so vor einigen Jahren noch nicht möglich gewesen, bieten nun aber Besucher*innen der Ausstellung in der Halle am Berghain die Möglichkeit, eine Perspektive zu erfahren, die ihnen sonst verborgen geblieben wäre.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft für uns wagen: Wie wird sich die Welt der Kunst und vor allem wie werden sich die Schaffensprozesse und die Möglichkeiten für die Rezipienten in den nächsten Dekaden verändern?
BETTINA KAMES: Die Zukunft der Kunst ist schwer vorherzusehen, da die Kunst zum einen selbst Zukunft gestaltet, zum anderen aber auch auf neue Entwicklungen in der Geschichte und in anderen Disziplinen reagiert. Klar ist jedoch, dass die fortschreitende technologische Entwicklung immer neue Möglichkeiten in der künstlerischen Praxis eröffnet. Die Zukunft liegt dabei in der Verzahnung verschiedener Disziplinen und auch das Digitale wird als eigenständig gedachter Raum immer wichtiger werden.
Und bezogen auf Sie als Direktorin – welche Visionen verfolgen Sie mit Ihrem Team von LAS?
BETTINA KAMES: Im Kern möchten wir Kunst immer wieder neu denken und allen zugänglich machen. Wir wollen das Jetzt erfahrbar und die Zukunft sichtbar machen. Dafür wollen wir eine neue Art von Kunstplattform schaffen, mit innovativen Ausstellungsformen und Erfahrungshorizonten experimentieren und mittels der Kunst Zukunftsfragen aufwerfen, die für uns als Gesellschaft relevant sind. Zentral dafür wird unsere Zusammenarbeit mit aufstrebenden und visionären Künstler*innen sowie die Partnerschaften mit Akteur*innen aus anderen Disziplinen sein.
Das ist ein wunderbarer Abschluss. Herzlichen Dank für diesen aufschlussreichen Ein- und Ausblick, wir wünschen Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg!
Dieses Interview ist in der Ausgabe CONNECTEDNESS 2.21 erschienen