Kurt Absolon

Genial und unterschätzt. 

In Kunst­krei­sen gilt der Künst­ler Kurt Abso­lon als Geheim­tipp der öster­rei­chi­schen Nach­kriegs­mo­der­ne. Dabei spricht sein Werk eine fas­zi­nie­ren­de Bild­spra­che, die es mit den Gro­ßen der Kunst alle­mal auf­neh­men kann. Ein Por­trät eines lei­sen Radikalen.

Gegen den Strom

Ori­gi­na­li­tät, Radi­ka­li­tät, Indi­vi­dua­li­tät. Kurt Abso­lon hat­te kla­re Prin­zi­pi­en. 1953 ver­öf­fent­lich­te er sei­nen gleich­na­mi­gen Auf­satz zur Kunst. Fünf Jah­re spä­ter war der Maler und Gra­fi­ker tot. Mit nur 33 Jah­ren starb Abso­lon bei einem tra­gi­schen Auto­un­fall. Seit­dem ist viel Zeit ver­gan­gen. Der ganz gro­ße Hype blieb dem Aus­nah­me­ta­lent ver­wehrt. Sein frü­her Tod und sein gra­fi­sches Haupt­au­gen­merk mach­ten es nicht bes­ser. Retro­spek­ti­ven in der Alber­ti­na (1967), im Kul­tur­haus Graz (1973) und im Wien Muse­um (1990) ver­hal­fen ihm zwar zu Popu­la­ri­tät und Aner­ken­nung, doch es blieb bei ein­zel­nen Impul­sen. Dabei hat­te Abso­lon vie­le Pro­mo­ter, von Hans Weigel über Her­bert Eisen­reich bis Kris­ti­an Sotriff­er und Alfred Schmel­ler. Sie alle erkann­ten sein genia­les Poten­zi­al. Weigel war sich sicher, „dass da mit uns, eben­so uner­kannt, ein Künst­ler vom Rang Egon Schie­le leb­te.“ Abso­lon kann­te kei­ne Kom­pro­mis­se, weder in der Kunst noch im Leben. Kon­se­quent und unbe­irrt ging er sei­nen eige­nen Weg. Er war weder Expres­sio­nist, Sur­rea­list noch Phan­tas­ti­scher Rea­list, ein radi­ka­ler Grenz­gän­ger fern von ideo­lo­gi­schen Dog­men und Ismen. Von Trends und Sti­len hielt er wenig: „Stil ist stets die Schutz­schicht vor der all­zu gro­ßen Nähe der Zeit und dem Ver­haf­tet­sein an die­se. Die Moder­ne sucht gera­de­zu klein­lich die­se Nähe, sie hat Hun­ger nach Aktua­li­tät, wie eine Tages­zei­tung. Die­se Aktua­li­tät, die manch­mal von Ein­zel­nen, manch­mal von Grup­pen ihren Aus­gang nimmt, gerät gele­gent­lich in fata­le Nähe zur Mode.“

Selbst­por­trät, 12.6.1943, Blei­stift und Aqua­rell auf Papier, 42,8 x 30,5 cm, Pri­vat­be­sitz, Wien

Hier­ge­we­sen­seins

Abso­lons Werk lädt ein, zwi­schen den Zei­len zu lesen. Sei­ne Bil­der sind nicht laut wie die eines Boeck­ls, nicht infor­mell wie die eines Rai­ners oder deko­ra­tiv wie die eines Hun­dert­was­sers, sie nähern sich auf sub­ti­le Wei­se dem Geis­ti­gen und Exis­ten­zi­el­len. Vie­le wir­ken flüch­tig, skiz­zen­haft und frei von Kon­ven­tio­nen. Es sind Zeug­nis­se des „Hier­ge­we­sen­seins“, wie Abso­lon es selbst for­mu­lier­te. Zwi­schen 1940 und 1958 ent­stand ein beacht­li­ches Werk von rund 1.000 Arbei­ten. Der Groß­teil sind Zeich­nun­gen in Tusche und Aqua­rell, dane­ben rund 80 Ölbil­der sowie eini­ge Druck­gra­fi­ken und Arbei­ten im öffent­li­chen Raum. Mit Hang zur Gegen­ständ­lich­keit ver­ar­bei­te­te der Künst­ler poli­ti­sche, reli­giö­se, lite­ra­ri­sche und musi­ka­li­sche The­men in vir­tuo­ser Strich- und Pin­sel­füh­rung. Sodom und Gomor­rha, Stier­kämp­fe und lite­ra­ri­sche Hand­lun­gen von Bau­de­lai­re und Rim­baud fes­sel­ten ihn eben­so wie ein­fa­che All­tags­mo­ti­ve von sei­ner Frau oder der stil­le Aus­blick aus dem Fens­ter. Man­chen The­men wid­me­te er gan­ze Zyklen wie bei­spiels­wei­se „Car­nun­tum“ (1957), wo Abso­lon mit Her­bert Eisen­reich in die anti­ke Stät­te fuhr. In Abso­lons Schaf­fen kommt die gan­ze Band­brei­te der mensch­li­chen Psy­che zum Aus­druck. Sei­ne The­men krei­sen um Leben und Tod, Schön­heit und Ver­gäng­lich­keit, Mensch und Natur. Über vie­len liegt ein Schlei­er der düs­te­ren Beklem­mung, vor allem bei den Arbei­ten aus den frü­hen 1950ern, wo Abso­lon tief ins mensch­li­che Unter­be­wusst­sein ein­tauch­te. Die Tra­gik und laten­te Gefahr las­tet vie­len an. Kein Wun­der, als Sol­dat im Zwei­ten Welt­krieg war der Tod sein stän­di­ger Beglei­ter. Die dunk­le Sei­te kommt durch apo­ka­lyp­ti­sche Land­schaf­ten, mons­trö­se Tie­re und Kreu­zi­gun­gen an die Ober­flä­che. Die bösen Vögel, Fische, Mario­net­ten, die schwar­ze Son­ne und die unheim­li­chen Bäu­me sind das Pro­to­koll sei­nes See­len­le­bens und ste­hen als Sinn­bild für die exis­ten­zi­el­le Bedro­hung des Men­schen. Mit sei­nem Fai­ble für das Mor­bi­de und Ima­gi­nä­re steht Abso­lon in der Tra­di­ti­on von Alfred Kubin. Der Blick durch die rosa­ro­te Bril­le inter­es­sier­te ihn wenig. Fern von Sis­si, Kitsch und Schla­ger der 1950er, reflek­tier­te Abso­lon sub­til und scho­nungs­los die Zei­chen der Zeit.

Kurt Abso­lon, Stadt­land­schaft, um 1949, Öl auf Papier, 63 x 44,5 cm, Pri­vat­be­sitz, Wien

Kunst als Ventil

Blon­de Haa­re, blaue Augen, ent­schlos­se­ner Blick. Als Abso­lon 1943 sein Selbst­por­trät in Aqua­rell schuf, war Euro­pa vom Zwei­ten Welt­krieg über­schat­tet. Die Schre­cken des Krie­ges erleb­te der Künst­ler am eige­nen Leib. An der Front wur­de er von einem Gra­nat­split­ter im Gesicht ver­letzt. Abso­lon hat­te Glück und wur­de nach zwei Mona­ten Laza­rett ent­las­sen. Als er in sei­ne Hei­mat­stadt Wien zurück­kehr­te, war der Krieg vor­bei, die Bil­der im Kopf blie­ben. Die Kunst war sein Ven­til. Noch im glei­chen Jahr begann er ein Stu­di­um an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te. Zu sei­nen Leh­rern zähl­ten Robin Chris­ti­an Ander­sen, Albert Paris Güters­loh und Her­bert Boeckl. Beson­ders Boeckl, der zu den wich­tigs­ten Ver­tre­tern der öster­rei­chi­schen Moder­ne zähl­te, präg­te ihn sehr. Unter sei­nem Ein­fluss ent­stan­den die ers­ten Ölbil­der in abs­trakt-expres­si­ver Far­big­keit. Vie­le wir­ken zitt­rig und ner­vös, der wil­de Ges­tus domi­niert in die­sen Sujets. Vom bra­ven, blon­den Schwie­ger­sohn in natu­ra war jetzt nichts mehr zu spü­ren. Als Maler näher­te er sich jetzt der psy­cho­lo­gi­schen Selbst­er­for­schung auf ein­dring­li­che Art und Wei­se. In Anleh­nung an die fran­zö­si­schen Wil­den gab er der Far­be und der Form einen vor­ran­gi­gen Stel­len­wert, der sich in der Bezie­hung rei­ner Farb­flä­chen und kolo­ris­ti­scher Brü­che akzen­tu­ier­te. Van Gogh und Matis­se sind nicht weit. Neben dem eige­nen Ich sind es mar­kan­te Stadt­an­sich­ten, pro­ji­ziert auf eine zwei­di­men­sio­na­le Ebe­ne in radi­ka­ler Per­spek­ti­ve. Abso­lon saug­te alles auf: Boeckl, Schie­le, van Gogh, Picas­so, Expres­sio­nis­mus, Fau­vis­mus, die fran­zö­si­schen Exis­ten­zia­lis­ten. Da er am Exis­tenz­li­mit leb­te – Arik Brau­er berich­te­te, dass Abso­lon als Stu­dent ein­mal sei­nen Win­ter­man­tel gegen Speck ver­hö­ker­te – mal­te er häu­fig auf Pack­pa­pier. Auf­grund ihrer über­schau­ba­ren Anzahl neh­men die Male­rei­en eine beson­de­re Rol­le im Gesamt­werk ein und über­zeu­gen vor allem durch ihr Wech­sel­spiel von Abs­trak­ti­on und Gegen­ständ­lich­keit in expres­si­ver Farbigkeit.

Im kräf­ti­gen Dialekt

Es ist mir völ­lig unbe­greif­lich, dass Maler zu ihrer Arbeit Model­le brau­chen, dass sie Men­schen, Din­ge und Land­schaf­ten, die sie gestal­ten, dabei direkt anse­hen. Ein  wirk­li­ches  Kunst­werk  erstrebt  mei­ner  Über­zeu­gung nach die Über­win­dung und nicht die Wie­der­ga­be der äuße­ren Wirk­lich­keit.“ Die Gedan­ken, die Hans Weigel in sei­ner „Unvoll­ende­ten Sym­pho­nie“ 1951 zu Papier brach­te, ste­hen im Ein­klang mit Abso­lons künst­le­ri­scher Auf­fas­sung. Er war es schließ­lich auch, der das Cover für Wei­gels Roman gestal­te­te. An die ers­te Begeg­nung erin­ner­te sich Weigel noch gut: „Als wir zusam­men­ka­men, erkann­te ich Abso­lon dar­an, dass er der ein­zi­ge war, den ich nicht kann­te. Ich kann­te und ken­ne kei­nen erwach­se­nen Mann, der so sehr wie ein Kna­be aus­sah; doch war durch­aus nichts Infan­ti­les an ihm. Er war blond, hat­te blaue Augen, er war hell. Er kam aus dem Pro­le­ta­ri­at und sprach, wie so vie­le geschei­te und gebil­de­te Wie­ner (auch Fritz Wotru­ba), im kräf­ti­gen Dia­lekt, nicht aus Koket­te­rie, son­dern ganz natürlich.“

Für Abso­lon wur­de Weigel Anfang der 1950er eine wich­ti­ge Bezugs­per­son, eine Art Men­tor, der ihn in die Sze­ne ein­führ­te und zu Auf­trä­gen ver­half. In sei­nem lite­ra­ri­schen Kreis fand er Ver­bun­den­heit und Aner­ken­nung. Treff­punkt war das Café Rai­mund, wo Weigel Autoren und Autorin­nen wie Ilse Aichin­ger, Chris­ti­ne Bus­ta, Milo Dor, Jean­nie Ebner, Her­bert Eisen­reich, Rein­hard Feder­mann, Her­tha Kräft­ner, Wolf­gang Kudrnof­sky und Harald Zusa­nek um sich schar­te. Hier lern­te er auch die fran­zö­si­sche Moder­ne und den Exis­ten­zia­lis­mus eines Bau­de­lai­res und Rim­bauds schät­zen, der sich in Zyklen wie „Coeur Volé“ (1951) wider­spie­gel­te. Immer wie­der äußer­te sich Weigel posi­tiv über sei­nen Schütz­ling: „Wie bei vie­len Autoren war ich auch, war ich ganz beson­ders ange­sichts die­ses bedeu­ten­den und gefähr­de­ten Talents – bei Kurt Abso­lon ist sogar das Wort ‚Genie‘ durch­aus berech­tigt – ver­zwei­felt und gepei­nigt von der Erkennt­nis, wel­che Kraft und Künst­ler­schaft da unbe­merkt und unbe­treut unter uns war.“ Durch die Bekannt­schaft mit Hans Weigel und Her­bert Eisen­reich erga­ben sich für Abso­lon neue Kon­tak­te und Auf­trä­ge. Ange­regt vom Sur­rea­lis­mus ent­warf er lite­ra­ri­sche Illus­tra­tio­nen für Ernst Jün­ger, Erich Käst­ner, Dos­to­jew­ski, Chris­ti­an Mor­gen­stern, Rai­ner Maria Ril­ke und Joa­chim Rin­gel­natz und Wal­ter Toman. 1958 kam es zur Zusam­men­ar­beit mit Kurt Stein­wen­der aka Curt Sten­vert. Für den Künst­ler und Fil­me­ma­cher ent­warf Abso­lon Zeich­nun­gen für einen Impressionismus-Film.

Pur und unverfälscht

Wenn Abso­lon nicht gera­de Boten­jobs erle­dig­te oder am Auf­bau des West­bahn­hofs mit­half, traf er sich mit Kurt Mol­do­van und ande­ren im Café Rai­mund. Manch­mal nahm er auch Blät­ter mit oder ver­schenk­te sie. Nach Sperr­stun­de ging man in die Mari­et­ta-Bar und ließ sich vom Jazz und Blues trei­ben. Györ­gy Sebe­styén schrieb dazu: „Konn­te man den Krieg noch spü­ren? Nein und ja. Es ging ja lus­tig zu, und roter Plüsch wider­spie­gelt gedämpf­tes Licht; man watet im gold­durch­wirk­ten Nebel.“ Mit­te der 1950er fand Abso­lon aus dem „Nebel der Ver­gan­gen­heit“. Die Visio­nen und Fan­ta­sien von Unter­gang und Zer­stö­rung wichen dem Hier und Jetzt. Die Fami­lie und das eige­ne Umfeld gerie­ten immer mehr in den Fokus sei­nes Schaf­fens. Ein Ate­lier hat­te Abso­lon nie. Sein Freund Karl Bed­na­rik erin­ner­te sich zurück: „Er wohn­te in einer Gemein­de­woh­nung, bekam wenig Besuch, besuch­te ande­re sel­ten. Eines sei­ner Zim­mer war ‚Ate­lier‘, fast leer, in einer Ecke ein Stoß lee­res Papier, in der ande­ren ein Stoß Zeich­nun­gen, weni­ge aqua­rel­liert, dazwi­schen Tusche, Federn, kein Radier­gum­mi, kei­ne Koh­le, kein Blei­stift. Kein Tisch. Er arbei­te­te auf dem Boden, kniend. Radi­ka­li­tät in der Kunst muss­te ihm kei­ner erlau­ben, er leis­te­te sie sich.“ Bei den Arbei­ten muss­te jede Linie und jeder Strich sit­zen. Kor­rek­tu­ren oder Ver­än­de­run­gen kamen nicht in Fra­ge. Pur und unver­fälscht war sei­ne Devise.

Werk­ver­zeich­nis

Als Abso­lon 1958 starb, war es sei­ner Frau Ade­le zu ver­dan­ken, dass sein Werk best­mög­lich doku­men­tiert wur­de. Abso­lon selbst hat­te zu Leb­zei­ten ande­re Sor­gen, obwohl ihn Hans Weigel dar­auf auf­merk­sam mach­te: „Ich hat­te ihm auf­ge­tra­gen, einen Oeu­vre-Kata­log anzu­fer­ti­gen. Vie­le Bil­der waren ver­schenkt, eini­ge ver­kauft; er muss­te, fand ich, und wär’s nur auf losen Blät­tern, ver­zeich­nen, wo sei­ne Bil­der sich befan­den. Aber das ließ er sich nicht sagen und hat’s bis an das Ende unter­las­sen.“ 1989 leg­te dann Otto Breicha mit einer Publi­ka­ti­on den Grund­stein für ein Ver­zeich­nis. Auf Initia­ti­ve der Samm­lung Hainz und dem Nach­lass erscheint nun 2021 das ers­te Werk­ver­zeich­nis samt Mono­gra­fie. In detail­rei­cher Recher­che wur­de ver­sucht, Abso­lons Werk in sei­ner Gesamt­heit zu erfas­sen. In der umfang­rei­chen Publi­ka­ti­on mit nam­haf­ten Autoren, ver­eint sich Abso­lons kom­ple­xes Schaf­fen auf viel­fäl­ti­ge Wei­se. In nur weni­gen Jah­ren schuf er ein rei­fes und ori­gi­nel­les Werk, das sich neben Grö­ßen wie Boeckl, Schie­le und Kubin behaup­ten kann. Dabei wird deut­lich, dass vie­le sei­ner Arbei­ten zeit­los und modern wir­ken. Abso­lon selbst hat­te sei­ne ganz eige­ne Theo­rie. Im Geist muss der Künst­ler „heu­te jung blei­ben, will er Kurs­wert behal­ten, er darf nicht altern, nicht ein­mal erwach­sen wer­den, er kann und darf daher auch nicht reifen.“

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Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck und Wien. 2016 Promotion über Koloman Moser an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2010 bis 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Belvedere. Seit 2018 Kurator für die Sammlung Hainz in Wien. Erarbeitung der Werkverzeichnisse Koloman Moser (Belvedere) und Kurt Absolon (Sammlung Hainz). Autor zahlreicher Publikationen und Essays zur modernen und zeitgenössischen Kunst mit einem Forschungsschwerpunkt auf der Kunst der Wiener Moderne.

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