Sinnbilder der Stille und des tiefsinnigen Landschaftserlebens
In der heutigen von Schnelllebigkeit, Digitalisierung und Technisierung geprägten Zeit können viele von Caspar David Friedrich geschaffenen Werke als Sinnbilder der Stille (1) und des tiefsinnigen Landschaftserlebens gelesen werden. Selbstverständlich müssen seine Bilder im damaligen kulturellen und gesellschaftshistorischen Kontext bewertet werden. Die Romantiker*innen wandten sich mit der Betonung des Gefühls und des Subjektiven gegen ein rein aufklärerisch-naturwissenschaftliches Weltbild. Dies trifft auch auf Friedrich zu.(2) Er ordnete dem Gefühl eine dem Verstand superiore Rolle zu. In seinen Werken finden sich eine gesteigerte Empfindsamkeit gegenüber der Natur, die Bevorzugung nächtlicher Szenerien, der Ausdruck von Sehnsucht und die Assoziation von Unendlichkeit. Auch die religiöse Komponente besitzt starke Gewichtung in seiner Naturwahrnehmung: So brachte er der Natur – aufgefasst als Gottes Schöpfung – ein andächtiges Erleben entgegen. Der Künstler machte die Natur in der Malerei zur Projektionsfläche von „Seelenstimmungen“ und Empfindungen.
Exemplarisch für eine Verbildlichung solch eines einsamen, andächtigen und tiefsinnigen Naturerlebens ist das Gemälde „Mönch am Meer“ (3). Die Konfrontation des winzigen Menschen mit dem stürmischen Meer und dem übermächtigen Himmelsraum regte dazu an, existentielle Fragen das Sein der Menschheit betreffend zu stellen. Die dargestellte Rückenfigur bietet dem*der Betrachter*in Identifikationsmöglichkeit und diese*r kann die eigenen Gedanken auf das Dargestellte projizieren. Ontologische sowie religiöse Fragen wurden anhand dieses Bildes thematisiert.(4) Das Bild wurde in den Diskursen des Sublimen, der Melancholie und des Ossianismus aufgenommen.(5) Angesichts der unterschiedlichen Interpretationsansätze(6) des Werkes stellt sich die Frage nach der Intention des Künstlers.
Es existiert eine Bildbeschreibung Friedrichs, welche Aufschlüsse über die Gedanken des Künstlers liefert: „[…] Es ist nämlich ein Seestück. Vorne ein öder sandiger Strand, dann das bewegte Meer und so die Luft. Am Strande geht tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möwen fliegen ängstlich schreiend um ihn her, als wollten sie ihn warnen, sich nicht auf das ungestüme Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest du auch vom Morgen bis zum Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermütigen Dünkel, wähnest du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträtseln der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klar zu wissen und zu verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strande; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spur wird nicht mehr gesehen: Törichter Mensch voll eitlem Dünkel!“(7)
![Der Mˆnch am Meer](https://archiv.stayinart.ch/wp-content/uploads/2021/02/h_70139122-Andere-scaled.jpg)
In der Beschreibung Friedrichs wird die Nichtigkeit des Menschen, das Bewusstsein der Vergänglichkeit sowie die Vergeblichkeit des menschlichen Dranges nach Erkenntnisstreben thematisiert. Seine Deutung, die religiöse Akzente besitzt, beinhaltet eine Mahnung bezüglich der Selbstüberhöhung und des Erkenntnisdrangs des Menschen. Auch wenn sich kulturelle, gesellschaftshistorische, ökologische und politische Kontexte geändert haben, so besitzen solche Gedanken, das Sein der Menschen betreffend, – wenn auch nicht mehr unbedingt unter dem stark religiösen Blickwinkel Friedrichs – immer noch Relevanz.
Dieses Werk schildert nicht nur inhaltlich einen Grenzgang, sondern die Konzeption und Bildgestaltung waren ebenfalls Grenzen überschreitend. In der Bildentstehung von „Mönch am Meer“ werden mehrere Stadien benannt, bevor das Gemälde seinen endgültigen Zustand erreichte.(8) In der ursprünglichen Konzeption waren noch zwei seitlich geneigte Segelschiffe rechts und links vom Mönch sowie weitere Motive vorgesehen.(9) Gerade durch die Wegnahme dieser Motivik besitzt das Bild die Radikalität. Diese Bildkonzeption – die Konfrontation des auf einem minimalen Strandabschnitt befindlichen klein wirkenden Menschen(10) mit dem riesigen Himmelsraum, den eine düstere Wolkenfront beherrscht – entspricht nicht der damaligen konventionellen Landschaftsmalerei.(11) Der*Die Betrachter*in wird nicht in das Geschehen eingeführt (z. B. durch Rahmenschau oder Bilderkette). Das andächtige Naturerleben und der Eindruck von Stille wird in Friedrichs Werken häufig durch die regungslos in das Naturschauspiel versunkenen Rückenfiguren erzielt. Zuvor waren Rückenfiguren weitestgehend in erzählerische Momente eingegliedert und häufig in die Landschaft integriert.(12) Friedrichs Rückenfiguren sind in kein geselliges Leben eingebunden, sondern häufig einsame Betrachter*innen eines Naturschauspiels. Durch Verzicht auf unnötige Überladung mit Staffage oder landschaftlichen Elementen, erzielte Friedrich einen weitaus imposanteren Effekt als die klassizistischen Werke. Auch brach er mit Idealen der arkadischen Landschaftsmalerei. Ein eindrucksvolles Gegenstück zu damaligen Werken, die die Schönheit und Idylle des Südens – also Griechenlands und Italiens – verkörpern, ist das Werk „Das Eismeer“(13). Dieses Werk visualisiert in dramatischer Weise das Scheitern eines Schiffes an der übermächtigen lebensfeindlichen Eiswelt. In den traditionellen Polardarstellungen wurde häufig eine gefällige narrative Ansicht gewählt. In solchen Fällen wirkt das Bild wie begehbar, und das Schiff und seine Insass*innen stehen im Mittelpunkt. „Das Eismeer“ ist dagegen von Starre und Stille gekennzeichnet. Nicht das Schiff, sondern die Eisschollen – in immenser Größe – sind als Hauptsujet gewählt. Das winzige zerstörte Schiff wird erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Zu damaliger Zeit war solch eine Bildkonzeption ungewöhnlich und sie stieß auch auf Ablehnung, u. a. aufgrund des Konstruktionscharakters. (14)
![Das Eismeer](https://archiv.stayinart.ch/wp-content/uploads/2021/02/h_00036758-2-Andere.jpg)
Im Jahre 1820/21 fertigte Friedrich Ölskizzen vom Eisgang auf der Elbe an, die möglicherweise als Form- und Farbstudien für die Eisschollen im Werk „Das Eismeer“ dienten.(15) Die Vorstellung der Arktis im 19. Jahrhundert war eine konstruierte, denn nur die Polarfahrer*innen hatten diese mit eigenen Augen gesehen. Die Entwicklung der fotografischen Technik war noch nicht ausgereift. Friedrichs Zeitgenoss*innen mussten Illustrationen und Beschreibungen Glauben schenken, und sich anhand dieser ein Bild formen. Dabei wurde auch Kritik an Friedrichs Verbildlichung des Eismeeres geübt.
Das Bild erfuhr im Lauf der Zeit unterschiedlich akzentuierte Deutungen.(16) Im Rahmen der verschiedenen gesellschaftlich- historischen und individuellen Kontexte wurden unter anderem religiöse, philosophische, historisch-politische, ökologische und ontologische Zugänge gewählt.(17) Durch diese unterschiedlichen Zugänge zum Werk wird das Zeitlose, aber auch die Intensität und Modernität dieses Gemäldes ersichtlich. Allerdings dürfen die Deutungen nicht beliebig werden, sondern sie müssen im Kontext kunstwissenschaftlicher Theorien und in direktem Rückbezug zum Werk, zur Künstlerintention und allgemein zum Künstlerkontext stehen. Mit Bezug auf Friedrichs erstes Polarbild(18) und den dort angeführten Schiffsnamen „Hoffnung“, kann das Bild „Das Eismeer“ als Sinnbild des Todes und des Scheiterns gelesen werden. Dabei kann es sowohl auf die gesellschaftlich- politische als auch auf Friedrichs individuelle Situation übertragen werden. So wurde das Bild im politisch-historischen Kontext als Sinnbild der enttäuschten nationalen Hoffnungen und erstarrten politischen Verhältnisse interpretiert.(19)
Der im Bild symbolisierte Tod war immer ein festes Sujet in Friedrichs Werk. Weiterhin ist es denkbar, dass der Künstler mit der Motivik „Eis“ zeitlebens Todesassoziationen verband, denn Überlieferungen zufolge musste er den Tod seines Bruders mit ansehen, der im Eis einbrach und ertrank. In der Entstehungszeit des Bildes wurden viele seiner Werke abgelehnt und er litt unter finanziellen Schwierigkeiten. Der Lehrstuhl an der Dresdener Akademie blieb ihm verwehrt. In den 1820er Jahren rückten seine Werke dann verstärkt ins Abseits. Ihnen wurde religiöse Mystik zugeschrieben, die als überholt galt. Der Realismus hielt verstärkt Einzug in die Kunst. Des Weiteren entstanden mit der in Deutschland im 19. Jahrhundert einsetzenden industriellen Revolution und der Etablierung einer Maschinenwelt neue Motive. Doch trotz persönlicher Rückschläge war Friedrich nicht bereit, sich der künstlerischen Erwartungshaltung zu beugen, sondern hielt an seinem Stil und seiner Motivwahl fest.
Heutzutage genießt seine Kunst große Popularität. Der Künstler beeinflusste sogar künstlerische Bildtraditionen. So fungierten einige seiner Motive als Bildzitate oder allgemein als Inspirationsquelle für individuelle ästhetische Auseinandersetzungen. Dies verweist auf die Aktualität seiner Werke.
Fußnoten
1 Vgl. Brüderlin, M. (Hg.): Die Kunst der Entschleunigung, Ostfildern 2011, S. 75. 2 Vgl. Börsch-Supan, H./Jähnig, K.-W.: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München 1973, S. 127. 3 Vgl. Hinrichs, N.: Caspar David Friedrich – ein deutscher Künstler des Nordens, Kiel 2011. S. 86-92. Vgl. Busch, W.: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München 2003, S. 46-79, Hofmann, W.: Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit, Sonderausgabe, München 2005, S. 53-85. 4 Vgl. exemplarisch Kurz, G.: Vor einem Bild. Zu Clemens Brentanos „Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner“, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1988), S. 128-140, hier: S. 129. 5 Vgl. u. a. Roters, P.: Jenseits von Arkadien. Die romantische Landschaft, Köln 1995, S. 27 ff., 65. Vgl. Schmidt, W. G.: „Homer des Nordens“ und „Mutter der Romantik“, Band 2, Berlin u. a. 2003, S. 893 f. 6 Vgl. Hinrichs 2011, S. 86-92. 7 Auszug eines Briefes/des Maler Friedrichs/aus Dresden, über/eins seiner Gemälde, 1809/10, zitiert nach Zschoche, H.: Caspar David Friedrich. Die Briefe, Hamburg 2006, S. 64. 8 Vgl. u. a. Börsch-Supan, 1973, S. 26, 302 f. 9 Vgl. ebd., S. 26. Vgl. Börsch-Supan, H.: Bemerkungen zu Caspar David Friedrichs “Mönch am Meer“, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 1 9 (1965), S. 63-76, hier: S. 68. Vgl. Busch 2003, S. 59. 10 Weiterhin sei angemerkt, dass Friedrich die Person nicht als Mönch identifizierte. Erst in der von Brentano und Arnim verfassten und von Kleist gekürzten und überarbeiteten Bildbesprechung „Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner“, die 1810 in den „Berliner Abendblättern“ erschien, wurde die Staffagefigur als ein Kapuzinermönch betitelt. In Friedrich eigener Interpretation ist von einem „Mann“, keinem „Mönch“, die Rede. Vgl. Auszug eines Briefes/des Maler Friedrichs/aus Dresden, über/eins seiner Gemälde. 1809/10. Zitiert nach Zschoche 2006, S. 64. Kommentare zu dieser Aussage vgl. Busch 2003, S. 80. Vgl. Zschoche 2006, S. 11 f., 64-67. 11 Vgl. u. a. Börsch-Supan 1965, S. 76 f. Vgl. u.a. Hinrichs 2011, S. 91 f. 12 Vgl. u. a. Kat. Caspar David Friedrich 1774-1840, Hamburger Kunsthalle, München 1974, S. 40 ff. Vgl. Schmied, W.: Caspar Friedrich David, Köln 1975, S. 22. 13 Weiterführende Informationen und Literaturverweise vgl. Hinrichs 2011, S. 80-85. 14 Zitiert nach Börsch-Supan, Jähnig 1973, S. 107. 15 Vgl. Rautmann, P.: Caspar David Friedrich. Das Eismeer. Durch Tod zu neuem Leben, Frankfurt a. M. 1991, S. 14 ff. Vgl. Börsch-Supan, Jähnig 1973, S. 386. Vgl. Kat. Caspar David Friedrich 1974, S. 329, Abb. 153a, 153b, 153c. 16 Vgl. Hinrichs 2011, S. 80-92. 17 Vgl. Börsch-Supan, Jähnig 1973, S. 387. Vgl. Dickel 1990, S. 233. Vgl. Rautmann 1991, S. 25-36. Vgl. Grave, J.: Caspar David Friedrich und die Theorie des Erhabenen, Weimar 2001. 18 Vgl. Börsch-Supan, Jähnig 1973, S. 176. 19 Vgl. Rautmann 1991, S. 25-36.