Mit Vollgas in die Langsamkeit

Rainer Prohaska

Kochen, schla­fen, woh­nen, arbei­ten, rei­sen – und das mit der größt­mög­li­chen Fle­xi­bi­li­tät. Der Umgang mit All­tags­si­tua­tio­nen beschäf­tigt den Künst­ler Rai­ner Pro­has­ka (gebo­ren 1966 in Krems/Österreich) schon seit fast 20 Jah­ren. Und er bie­tet Lösun­gen! Rai­ner Pro­has­ka pro­du­ziert Kunst. Und „pro­du­ziert“ ist hier auf kei­nen Fall nega­tiv kon­no­tiert. Pro­has­kas Arbei­ten sind Pro­jek­te, die im Ate­lier sehr wohl kon­zi­piert, skiz­ziert und deren Rah­men­be­din­gun­gen von lan­ger Hand vor­be­rei­tet wer­den. Der tat­säch­li­che Schau­platz jedoch ist der öffent­li­che Raum, der Aus­stel­lungs­raum und der sozia­le Raum. Genau das brau­chen sei­ne Arbei­ten näm­lich: Raum. Denn sie sind sehr oft sehr groß. Und sie brau­chen Men­schen, die mit ihm das Werk ins Lau­fen brin­gen. Par­ti­zi­pa­ti­ve Kunst­pro­duk­ti­on sozu­sa­gen. Und das weltweit.

BAUKASTEN FÜR ERWACHSENE

Oft­mals mona­te­lang vor­be­rei­tet, schafft Pro­has­ka in sei­nen Arbei­ten Set­tings, die gekonnt und mit viel Fle­xi­bi­li­tät bespielt wer­den. Bau­kas­ten­gleich nutzt er Mate­ria­li­en wie Scha­lungs­trä­ger, Spann­gur­te, Kabel­bin­der, Plas­tik­roh­re, Roh­holz, aller­lei All­tags­ge­gen­stän­de oder auch mal bun­te Auf­blas­tie­re. Je nach­dem, an wel­chem Ort er sich gera­de befin­det. Und was dabei pro­zess­haft ent­steht, ist Kunst mit Humor: Über­di­men­sio­na­le, benutz­ba­re, Skulp­tu­ren, Fahr­zeu­ge, Maschi­nen oder tem­po­rä­re Küchen und Restau­rants, die per­for­ma­tiv ent­ste­hen und genutzt wer­den. Ein­falls­reich, nütz­lich, kom­plex, und manch­mal auch ein­fach ohne Sinn. Denn dar­um geht es Rai­ner Pro­has­ka: die Men­schen aus ihrem All­tag her­aus­zu­ho­len, sie Lebens­si­tua­tio­nen anders den­ken zu las­sen und ihnen schluss­end­lich Alter­na­ti­ven anzubieten.

Por­trait Rai­ner Pro­has­ka 2014 © Lena Appl

RASENDER STILLSTAND“

Möch­te man Pro­has­kas Werk in Grup­pen oder Pha­sen ein­tei­len, merkt man ganz schnell, dass bei ihm ein The­ma ins ande­re über­geht. Was ges­tern noch eine modu­la­re Küche war, ist heu­te schon eine schwim­men­de Skulp­tur und mor­gen ein men­schen­be­trie­be­nes Kraft­werk. Der Künst­ler liebt Ver­än­de­rung. Mit so viel High­speed er aber auch von einem Pro­jekt zum nächs­ten über­geht, so viel „Slow Mood“ ist in sei­nen Arbei­ten live zu erle­ben. Der Titel eines bekann­ten Essays des Phi­lo­so­phen Paul Viri­lio beschreibt dies ganz gut: „Rasen­der Still­stand“. Das End­sta­di­um einer Peri­ode ste­ti­ger Beschleu­ni­gung. Was nun folgt, ist der Ver­such, die Rela­tio­nen und Ver­bin­dun­gen zwi­schen sei­nen viel­schich­ti­gen Wer­ken anhand eini­ger Bei­spie­le zu kon­tex­tua­li­sie­ren und chro­no­lo­gisch zu dokumentieren.

SCHWIMMENDE SKULPTUR

Im August 2007 lief im nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Krems ein selt­sa­mes Schiff vom Sta­pel. Der schwim­men­de Bil­der­rah­men des Pro­jekts „The ‚Z‘-Boats“ war das Ergeb­nis einer Ent­wick­lung, die bereits 2000 wäh­rend des Stu­di­ums an der Wie­ner Uni­ver­si­tät für Ange­wand­te Kunst begann. Das The­ma Mobi­li­tät und des­sen Rele­vanz für die Bil­den­de Kunst beschäf­tig­te den Künst­ler schon damals. Die Donau­rei­se von Krems nach Ruse/Bulgarien soll­te zei­gen, wie sich die Ästhe­tik eines Schif­fes ent­wi­ckelt, wenn die­ses nicht vor, son­dern wäh­rend der Fahrt gebaut wird. Das Ergeb­nis die­ses Expe­ri­ments war eine zer­leg­ba­re 3D-Col­la­ge, ein Sam­ple der Donau­kul­tu­ren. Pro­has­ka erwei­ter­te das Schiff per­ma­nent mit Objek­ten, die er ent­lang des Flus­ses kauf­te, fand oder geschenkt bekam, und die mit Spann­gur­ten zur schwim­men­den Skulp­tur ver­bun­den wur­den. Die fle­xi­ble Bau­art erlaub­te schluss­end­lich auch die Zer­le­gung des Kon­strukts am Ziel­ha­fen, um einen Rück­trans­port über Land und den Auf­bau für eine Aus­stel­lung in der Kunst­hal­le Krems zu ermöglichen.

DIE SPANNGURTE GEHEN AN LAND

Ein Jahr spä­ter nutz­te Pro­has­ka für das „donau­fes­ti­val“ den his­to­ri­schen Pavil­lon im Krem­ser Stadt­park für ein Archi­tek­tur-Expe­ri­ment. 10 Ton­nen Bau­ma­te­ri­al – Spann­gur­te inklu­si­ve – benö­tig­te er für das Pro­jekt „Gaze­bo Ext­en­ti­ons“. Mit die­sem Rie­sen-Bau­kas­ten wur­de der Pavil­lon in einer 14-tägi­gen Per­for­mance, gemein­sam mit Besucher*innen des Fes­ti­vals, modu­lar erwei­tert, umge­baut und mit einer kuli­na­ri­schen Infra­struk­tur ver­se­hen. Die Werk­grup­pe der „Toy-Kit Archi­tec­tures“ war damit gebo­ren: Tem­po­rä­re Skulp­tu­ren aus vor­ge­fer­tig­ten Ele­men­ten. In den fol­gen­den Jah­ren bespiel­te Pro­has­ka damit bei­spiels­wei­se das Wie­ner Künst­ler­haus, die TU Inns­bruck oder den Kunst­pa­vil­lon der Tiro­ler Künst­ler­schaft, und ver­än­der­te deren Erschei­nungs­bild durch sei­ne oft­mals para­si­tä­ren Inter­ven­tio­nen. Inspi­riert von Spiel­zeug wie Lego oder Mata­dor, ent­wi­ckel­te er über die Jah­re ein Modul­sys­tem aus Scha­lungs­trä­gern, Kon­struk­ti­ons­holz, Zurr­gur­ten, Schraub­zwin­gen und ähn­li­chen Ele­men­ten, bei denen Modu­la­ri­tät und Fle­xi­bi­li­tät obers­te Prä­mis­se sind. Der Ent­wick­lungs- und Ent­ste­hungs­pro­zess der Skulp­tu­ren ist von beson­de­rer Bedeu­tung und der per­for­ma­ti­ve Akt des Bau­ens spielt eine zen­tra­le Rolle.

VON FLEXIBLER ARCHITEKTUR ZUM „HIGHSPEED“- KÜCHENBAU

Dass es schon bei „Gaze­bo Exten­si­ons“ in Krems eine Küche gab, ver­wun­dert nicht, betrach­tet man den Lebens­lauf und das Gesamt­werk Pro­has­kas. Seit sei­ner Kind­heit fühl­te er sich in der (anfangs groß­müt­ter­li­chen) Küche wohl. Im Jahr 2000 fand in einer Gara­ge die ers­te Koch­per­for­mance statt, die ihn in einer wei­ter ent­wi­ckel­ten Form u. a. nach Los Ange­les, Toron­to, New York, Shang­hai, Mos­kau und Hong­kong brach­te. 2006 unter dem Titel „Restau­rant Trans­for­ma­ble“ als inter­ak­ti­ve Koch­per­for­mance eta­bliert, beein­fluss­ten die „Toy-Kit Archi­tec­tures“ die kuli­na­ri­schen Pro­jek­te und ver­knüpf­ten sich mit ihnen. Waren die Gäs­te bei frü­hen Pro­jek­ten aus­schließ­lich selbst für die Zube­rei­tung der Spei­sen ver­ant­wort­lich, so muss­ten die­se bei „Lunch Box“ (Pre­mie­re 2014 in Nish­ny Novgorod/Russland) auch die Küche eigen­stän­dig bau­en. Pro­has­ka liebt den Live-Moment. Sei­ne inter­ak­ti­ven Aktio­nen fin­den inter­na­tio­nal ohne Pro­ben statt und wer­den aus­schließ­lich bei den Pre­mie­ren in vol­lem Umfang durch­ge­führt. Über­ra­schun­gen inklu­si­ve: In Russ­land erle­dig­ten die Gäs­te sowohl den gesam­ten Küchen­bau als auch die Zube­rei­tung der geplan­ten fran­zö­si­schen Rinds­sup­pe mit 11 Zuta­ten in weni­ger als einer Stun­de. Neben dem gemein­schaft­li­chen Bau­en und Kochen sind es auch immer wie­der loka­le, wis­sens­ver­mit­teln­de oder kon­tex­tua­li­sie­ren­de Aspek­te, die Rai­ner Pro­has­ka antrei­ben. Dann reist die Idee eines mobi­len japa­ni­schen Tee­hau­ses, wel­che die Kunst des Tee­trin­kens am Leben erhal­ten möch­te, eben auch mal von Inns­bruck zum „stei­ri­schen herbst“ nach Graz, wei­ter nach Sap­po­ro und wie­der zurück nach Wien.

CHINESISCHE KROKODIL-ARMEE

Die inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit den Orten, an denen er arbei­tet, setz­te Pro­has­ka auch in Chi­na fort. 2008 reis­te er erst­mals nach Bei­jing. Ohne kon­kre­ten Plan und fas­zi­niert von die­ser Metro­po­le, kommt es zu einer Adap­ti­on der „Z‑Boats“. Mit einem elek­trisch betrie­be­nen chi­ne­si­schen Klein-LKW (genannt: San Lun Che) bereis­te er zwei Mona­te die Stadt, als wäre es ein eige­ner Kon­ti­nent. Ähn­lich wie bei der Donau­rei­se wur­de das Fahr­zeug per­ma­nent erwei­tert. Und wie­der ent­stand durch die­ses mobi­le Medi­um eine beson­de­re Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Ein­woh­ner* innen. Dar­auf basie­rend ent­wi­ckel­te Pro­has­ka eine Rei­he wei­te­rer Fahr­zeu­ge und Skulp­tu­ren, und zeig­te die­se 2010 im Pekin­ger Künstler*innen-Distrikt 798 in der Aus­stel­lung „SAN LUN CHE fea­turing the TERRAPLASTIC ARMY“. Neben einer Rei­he außer- 4 5 6 gewöhn­li­cher Fahr­zeu­ge war die namen­ge­ben­de „TERRAPLASTIC ARMY“ zu sehen – ein Heer aus 200 auf­blas­ba­ren Plas­tik-Kro­ko­di­len, die den Künst­ler wäh­rend sei­ner Arbeit beschütz­ten. Die­se Kro­ko­di­le bewei­sen ein wei­te­res Mal auf anschau­li­che Wei­se, wie sehr Rai­ner Pro­has­kas Pro­jek­te mit­ein­an­der ver­knüpft sind, denn sie beglei­te­ten den Künst­ler und sein Team vier Jah­re spä­ter auf sei­ner zwei­ten Donau­rei­se „MS-CARGO“ an das Schwar­ze Meer. Hier die­nen sie in Not­fäl­len als zusätz­li­che Auf­triebs­kör­per, um das Schiff prak­tisch unsink­bar zu machen.

NONSENSE TECHNOLOGIES“ – VOM UNBEFRIEDIGENDEN MASCHINENBAU ZUR KUNST

Vor sei­nem Kunst­stu­di­um bei Karel Dude­sek und Peter Wei­bel absol­vier­te Rai­ner Pro­has­ka eine Aus­bil­dung zum Maschi­nen­bau-Inge­nieur – und das erklärt auch sei­ne Affi­ni­tät zum Bau­en und Kon­stru­ie­ren. Pro­has­kas Tech­nik und des­sen Ästhe­tik sind jedoch viel simp­ler und weni­ger per­fek­tio­nis­tisch. Und genau das macht sie so char­mant und greif­bar. Pro­has­kas Arbei­ten waren bis­her schon öko­lo­gisch, wie­der­ver­wend­bar und mate­ri­al­spa­rend. Die Ver­qui­ckung mit tech­no­lo­gi­schen Skulp­tu­ren und Inter­ven­tio­nen rund um die The­men Ener­gie­ge­win­nung und ‑ver­schwen­dung ist also eine kon­se­quen­te Ent­wick­lung sei­nes Oeu­vres. Mit ein­fa­chen Bau­tei­len, die größ­ten­teils in Bau­märk­ten erhält­lich sind, ent­wi­ckelt Pro­has­ka, zum Teil in Koope­ra­ti­on mit sei­nem pol­ni­schen Künst­ler-Kol­le­gen Prze­mysław Jasiel­ski, unter dem Namen „Non­sen­se Tech­no­lo­gies“ para­si­tä­re Kraft­wer­ke, Strom­kreis­un­ter­bre­chungs­ma­schi­nen oder inter­ak­ti­ve Bio­sphä­ren. Da gibt es z. B. ein Was­ser­kraft­werk, das – von den Gäs­ten mit Was­ser­kü­beln selbst betrie­ben – am Ende aus­schließ­lich dazu dien­te, den Werk- und Künst­ler­na­men in einer Black­box zu beleuch­ten. Oder eine mit Kabel­bin­dern umge­bau­te Har­ley-David­son, die erst beim zwei­ten Blick offen­bart, dass sie so nicht mehr fahr­taug­lich sein kann.

GROSSE PLÄNE

Wo lie­gen Rai­ner Pro­has­kas nächs­te Spiel­räu­me? Wie gewohnt, wer­den wir Ele­men­te bis­he­ri­ger Pro­jek­te in zukünf­ti­gen Arbei­ten wie­der­ent­de­cken, in denen er kon­zep­tio­nel­le Her­an­ge­hens­wei­sen wie­der­holt, neu aus­pro­biert und anders kom­bi­niert. Und wir wer­den auch kom­plett neue The­men fin­den, wie z. B. in Inns­bruck, wo er zuletzt im Rah­men des „Maxi­mi­lian­jahrs 2019“ die Kunst­ge­schichts­schrei­bung und deren Inter­pre­ta­ti­ons- Spiel­raum völ­lig neu erforsch­te. Sei­ne Fund­stü­cke einer insze­nier­ten Aus­gra­bungs­stät­te sind ab März 2021 im Archäo­lo­gi­schen Muse­um Inns­bruck zu sehen. Es bleibt also alles im Fluss – egal, ob im Wild­was­ser oder in den gemäch­li­chen Win­dun­gen der Donau. Mehr über Rai­ner Pro­has­kas Werk ist in sei­ner Publi­ka­ti­on „Rela­ti­ons“ (Ver­lag für Moder­ne Kunst) oder auf der Web­site des Künst­lers www.rainer-prohaska.net zu lesen. Am Ende ist jedem*jeder jedoch der Live-Besuch sei­ner Pro­jek­te ans Herz gelegt. Denn nichts ersetzt die eige­ne Erfah­rung – in „Slow Mood“.

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geschrieben von

Studium „Bühnen- und Filmgestaltung“ an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Weiterbildung „Management im Kunstmarkt“ an der Freien Universität Berlin. Ab 2006 Ausstatterin und Managerin internationaler Kunstprojekte mit Auslandsaufenthalten u. a. in Los Angeles, Peking, Peru und Finnland. 2010 – 2015 Mitarbeit in Berliner Galerien. Seit 2015 Basis in Leipzig als freie Kulturredakteurin.

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