Eine Partitur der Realität

Interview mit Jorinde Voigt

Jorin­de Voigt lern­te wäh­rend ihrer Schul­zeit Vio­lon­cel­lo und Kla­vier. Nach einem Phi­lo­so­phie- und Lite­ra­tur­stu­di­um wech­sel­te sie zum Kunst­stu­di­um an die Uni­ver­si­tät der Küns­te Ber­lin. Im Rah­men des Eras­mus­pro­gramms beleg­te sie 2001 Visu­al Art Stu­dies am Roy­al Col­lege of Art in Lon­don. Sie setz­te anschlie­ßend ihr Stu­di­um der Bil­den­den Kunst und Foto­gra­fie bei Katha­ri­na Sie­ver­ding fort, wel­ches sie 2004 als Meis­ter­schü­le­rin abschloss.

Voigt hat, beein­flusst von ihrer musi­ka­li­schen Fähig­keit, in ihren Nota­tio­nen und Par­ti­tu­ren eine codier­te Schreib­wei­se ent­wi­ckelt, um kom­ple­xe Phä­no­me­ne in visu­el­le Kom­po­si­tio­nen zu über­füh­ren. Sie macht mit ihrer „Spra­che“ natur­wis­sen­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Phä­no­me­ne sicht­bar, beschreibt inne­re Bil­der und Vor­stel­lungs­wel­ten. Ihre drei­di­men­sio­na­len und male­ri­schen Arbei­ten las­sen sich als kon­zep­tio­nel­le Denk­mo­del­le lesen, in denen die Künst­le­rin Wirk­lich­keit und Wahr­neh­mung unter­sucht. Jorin­de Voigt expe­ri­men­tiert inner­halb ihres umfang­rei­chen Werks mit Arbeits­wei­sen und Mate­ria­li­en, die sie kon­ti­nu­ier­lich vari­iert, kom­bi­niert und wei­ter­ent­wi­ckelt. Von 2014 bis 2019 war sie Pro­fes­so­rin an der AdBK Mün­chen. Seit Herbst 2019 hat sie eine Pro­fes­sur an der Hoch­schu­le für bil­den­de Küns­te in Ham­burg inne.

Wir durf­ten uns mit Jorin­de Voigt ein­ge­hend über ihren Umgang mit dem Lock­down, ihren cho­reo­gra­fi­schen Blick, die Fre­quenz von Ereig­nis­sen, die Hete­ro­ge­ni­tät der Kunst­welt und Blatt­gold als Raum für kla­re Gedan­ken unterhalten.

Por­trät von Jorin­de Voigt / Foto­graf: Roger Eberhard

Wie erle­ben Sie die­se Zeit des Lock­down? Wor­über machen Sie sich Gedan­ken und was tun Sie, um trotz der Ein­schrän­kun­gen, krea­tiv zu sein?

Die ers­ten Wochen waren super anstren­gend, weil man nicht wuss­te, was auf einen zukommt und jeder Tag eine neue Infor­ma­ti­on mit sich brach­te, die wie­der­um auf die Zukunfts­per­spek­ti­ve schlie­ßen ließ. Ich hab dann sehr kurz­fris­tig mei­nen Betrieb her­un­ter­ge­fah­ren und die Ver­trä­ge und Ver­pflich­tun­gen weit­ge­hend mini­miert, auf ein Zehn­tel des Sons­ti­gen, und habe ange­fan­gen, mich um die Gär­ten zu küm­mern. Da hat­te ich eini­ges zu tun, ich habe mich wochen­lang nur mit bota­ni­schen Gege­ben­hei­ten aus­ein­an­der­ge­setzt, gleich­zei­tig aber auch den Früh­ling drau­ßen ver­bracht und mich extrem der Natur aus­ge­setzt. Die­se Art von Sein, das fließt jetzt auch in das kom­men­de Pro­jekt mit ein, das sich auf die Struk­tu­ren wie Wachs­tums­struk­tu­ren ver­schie­de­ner Baum­ar­ten bezieht. Par­al­lel habe ich auch mein Haus auf­ge­räumt und zwar so inten­siv, wie noch nie in mei­nem Leben. Das hat so eine ganz gro­ße Ruhe und Frei­heit mit sich gebracht, so dass man sei­nen gan­zen Morast los­ge­wor­den ist und jetzt ganz klar wie­der über die neu­en Vor­ha­ben nach­den­ken und mit Strin­genz ver­fol­gen kann.

Was ist Ihnen in Ihrer Rol­le als „Leh­ren­de“, als „Men­to­rin“ für Student*innen beson­ders wichtig?

Dass die Stu­den­ten im Stu­di­um Sicher­heit gewin­nen, mit ihrer eige­nen ein­zig­ar­ti­gen Logik Ideen zu ent­wi­ckeln, Spra­che zu ent­wi­ckeln und sich auf sich selbst ver­las­sen kön­nen, dass das stimmt was sie da tun. Gleich­zei­tig ist es mir wich­tig, sie so kon­kret wie mög­lich dar­auf vor­zu­be­rei­ten, was auf sie zukommt, und sie zu auto­no­men und auf Augen­hö­he agie­ren­den Künst­le­rin­nen und Künst­lern in den Beruf zu ent­las­sen. Also auch dar­über zu spre­chen, wie man sich auf die Geschäfts­welt der Kunst vor­be­rei­tet, sei­nen eige­nen The­men ver­traut, und erforscht, wie man die­se The­men am bes­ten kom­mu­ni­ziert. Dazu gehört auch, sich his­to­risch damit aus­ein­an­der­zu­set­zen, wie ande­re das gemacht haben, und dann sei­nen eige­nen Weg dar­in zu finden.

Welche Men­to­ren, Vor­bil­der haben Sie per­sön­lich oder auch Ihre künst­le­ri­sche Arbeit geprägt?

In der Anfangs­pha­se hat­te für mich Han­ne Dar­bo­ven sicher­lich eine wich­ti­ge Vor­bild­funk­ti­on im Sin­ne einer eigen­stän­di­gen Posi­ti­on im Bereich der Nota­ti­on. Damit über ein The­ma zu spre­chen, das wir spä­ter dann als Inter­net ken­nen­ge­lernt haben, das ist schon eine unfass­ba­re Leis­tung. Wenn man durch ihre Aus­stel­lung läuft, ist es ja so, als ob man durch das Inter­net läuft, also durch Infor­ma­ti­on. Und es gibt eigent­lich immer für jedes The­ma neue Vor­bil­der, oder man merkt, dass Din­ge, die man ken­nen­ge­lernt hat, wie­der in den Vor­der­grund rücken. Zum Bei­spiel als ich anfing, mich mit Far­ben aus­ein­an­der­zu­set­zen, wur­de plötz­lich Roth­ko total wich­tig. Zu ver­ste­hen, wie der zu sei­nen Far­ben kam, aber auch die Farb­fä­cher ande­rer Künst­ler, wie die­se ent­wi­ckelt wur­den und wie sie logisch auf­ge­baut sind. Das ist eine Form der Recher­che, um zu sehen, wie es ande­re gemacht haben, und dann zu ver­ste­hen, was man selbst anders macht und warum.

Bei unse­ren Recher­chen zu Ihrer Arbeit ist uns die­ser Satz immer wie­der begeg­net: „Mei­ne Arbeit ist wie Musik.“ Kön­nen Sie die­sen star­ken Bezug zur Musik für uns ausführen?

Da ich von der Musik kom­me, ist für mich Musik eine Art Urstruk­tur, um die Welt zu ver­ste­hen. Also das heißt: Man hat den zeit­ba­sier­ten Fak­tor, man hat eine Melo­die, man hat einen Rhyth­mus, man hat einen Klang, man hat even­tu­ell noch eine Erzäh­lung, man hat ver­schie­de­ne Instru­men­te, und das alles wird kom­po­niert, also arran­giert, in Bezug zuein­an­der gesetzt, und erzielt dadurch eine bestimm­te Aus­sa­ge. Und eigent­lich ist das ja auch vom Leben abzu­lei­ten auf die glei­che Art und Wei­se. Die Gleich­zei­tig­keit ist uns das Aller­nor­mals­te – wäh­rend wir irgend­wo sind, schlägt unser Herz, atmen wir und gleich­zei­tig ist drau­ßen Wind und es hat 18 Grad und wir hören Geräu­sche und erin­nern uns an Din­ge von ges­tern und ent­wer­fen Vor­ha­ben für die Zukunft, zugleich haben wir Gefüh­le – und das ist unser Nor­mal­zu­stand. Er ist inter­dis­zi­pli­när, alles ist gleich­zei­tig vor­han­den, was wir spä­ter im Wis­sen­schaft­li­chen in Kate­go­rien unter­tei­len. Man kann zum Bei­spiel Rhyth­mus, wie man ihn auch in der Musik kennt, über­tra­gen auf vie­les, auf die Fre­quenz von Ereig­nis­sen, was eine spe­zi­fi­sche Infor­ma­ti­on gibt. Die Geschwin­dig­keit, in der man etwas tut, drückt sich wie­der­um direkt in der Kom­po­si­ti­on der Arbeit aus.

Lud­wig van Beethoven/ Sona­te Nr. 32 (Opus 111), Tin­te, Blei­stift auf Papier, Berlin/ Toron­to 2012, 86,5 x 140 cm, copy­right VG-Bild-Kunst

Sie began­nen Ihre Lauf­bahn mit einem Stu­di­um der Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur. Das sind For­schungs­ge­bie­te, mit denen Sie sich heu­te noch in Ihren Arbei­ten stark aus­ein­an­der­set­zen. Den­noch haben Sie dann an die Uni­ver­si­tät der Küns­te gewech­selt. Warum?

Zustan­de kam das durch den Wech­sel des Stu­di­en­orts und ich merk­te in den Jah­ren vor­her, dass mir das zu wenig ist, immer nur zu lesen und zu schrei­ben. Dass die Welt aus viel mehr besteht, und ich woll­te unbe­dingt etwas machen, was auch eine ande­re Art von Infor­ma­tio­nen und Spra­che zulässt als nur das Geschrie­be­ne, und dafür kam eigent­lich nur die Kunst infra­ge. Weil ich wäh­rend des Phi­lo­so­phie­stu­di­ums schon vie­le Skiz­zen ange­fer­tigt hat­te, um die­se Denk­mo­del­le zu ver­ste­hen, hat­te ich damals das als Bewer­bungs­map­pe ein­ge­reicht. Ich wur­de genom­men und es war span­nend aus­zu­pro­bie­ren, ob die Kunst mir mehr Mög­lich­kei­ten bie­tet, und es war dann so.

Im Vor­der­grund Ihres Werks steht die Nota­ti­on. Also es geht um Notie­ren als Kon­zept. Könn­ten Sie uns das bit­te bezo­gen auf die Umset­zung und das Ergeb­nis viel­leicht auch anhand eines Bei­spiels näher erklären?

Die Nota­ti­on ist ent­stan­den aus der Foto­gra­fie. Weil ich mich dazu ent­schlos­sen habe nicht, mehr das Foto zu machen, son­dern nur die Grün­de auf­zu­schrei­ben. Das hat den Anlass gege­ben, eigent­lich fast in Form eines cho­reo­gra­fi­schen Blicks alle Eigen­schaf­ten schrift­lich neben­ein­an­der fest­zu­hal­ten und im glei­chen Moment fest­zu­stel­len, dass man durch die­se Doku­men­ta­ti­on in der Rea­li­tät gleich­zei­tig auch eine Par­ti­tur schreibt, die wie­der auf­führ­bar ist. Und der zwei­te inter­es­san­te Aspekt dar­an war, dass man nicht mehr in die­ser Per­spek­ti­ve gefan­gen ist von sei­nem jet­zi­gen Stand­ort, son­dern man kann den Stand­ort selbst ver­viel­fa­chen und damit eine mul­ti­per­spek­ti­vi­sche Ansicht einer Situa­ti­on kom­mu­ni­zie­ren, und die lässt sich sogar von oben oder von unten betrach­ten, ima­gi­när und ganz kon­kret in der Nota­ti­on als Poten­zi­al von Rea­li­tät darstellen.

Formeln und Noti­zen ber­gen ja immer auch etwas Mys­te­riö­ses in sich. Sie kön­nen als Rät­sel oder ver­steck­te Bot­schaf­ten gedeu­tet wer­den und Fas­zi­na­ti­on aus­lö­sen. Möch­ten Sie, dass Ihre Wer­ke auch unter die­sem Aspekt wahr­ge­nom­men werden?

Es gibt zu jeder Arbeit auch eine Lis­te, die ent­hält, was da alles benannt ist, und auch in den Daten­blät­tern ist das bis ins Detail kom­mu­ni­ziert, und es bleibt nichts davon ein Geheim­nis. Also rein von der Infor­ma­ti­on, die ich gebe, kann man eigent­lich alles ent­schlüs­seln. Aber das ist auch ein Vor­gang, der der Mus­ter­er­ken­nung zuzu­ord­nen ist, dass alles, was Struk­tur ist, immer erst mal inter­es­sant ist. Man guckt hin, sieht ein Mus­ter und will das ver­ste­hen. Was dann statt­fin­det in der Wahr­neh­mung, ist ein Abgleich mit all jenen Mus­tern, die man schon ein­mal gese­hen hat, und wenn da etwas auf­taucht, das man nicht kennt, dann ist man damit beschäf­tigt, das zuzu­ord­nen. Das macht even­tu­ell natür­lich auch Spaß. Die­ses Gefühl von Inter­es­se und Fas­zi­na­ti­on. Wahr­schein­lich ist die­ses Ver­hal­ten sogar auf eine Über­le­bens­stra­te­gie beim Men­schen zurück­zu­füh­ren. Es gibt noch einen zwei­ten Aspekt und das ist der, dass sich natür­lich gera­de im Hand­schrift­li­chen viel mehr mit ein­schreibt, denn natür­lich auch die Art und Wei­se, wie geschrie­ben wird, ist Infor­ma­ti­on über den Pro­zess, in dem die Schrift ent­stan­den ist, und der ist sehr per­sön­lich und sehr offen­le­gend, sehr ehr­lich. Man kann da nicht lügen. Man kann nicht nur so tun, als ob man schreibt, denn dann schreibt sich das in die Schrift mit ein. Das Medi­um kann nicht lügen. Natür­lich ist das Indi­vi­du­el­le in sei­ner gesam­ten Kom­ple­xi­tät nicht nur in einem Wort kom­mu­ni­ziert, son­dern als Atmo­sphä­re, was in einem kom­ple­xen Vor­gang wie­der ent­schlüs­selt wer­den kann. Kommt dar­auf an, wie viel Erfah­rung man damit hat, dann kann man es deu­ten. Das ist auch inter­es­sant an der hand­schrift­li­chen Nota­ti­on, dass die­se Infor­ma­ti­on immer Teil der direkt genann­ten Infor­ma­tio­nen und untrenn­bar mit die­sen ver­bun­den ist.

Sie arbei­ten ger­ne an The­men, und das Medi­um kann sich dann dem The­ma ent­spre­chend ändern. Wie lan­ge arbei­ten Sie in der Regel an einem The­ma – und arbei­ten Sie auch par­al­lel an meh­re­ren Themen?

Es gibt immer meh­re­re The­men gleich­zei­tig, eines davon steht aber im Vor­der­grund. Man­che dau­ern vier Wochen, man­che vier oder acht Jah­re, man­che sind per­ma­nent vor­han­den. Die The­men selbst ent­wi­ckeln sich auch. Das glei­che The­ma kann unter­schied­li­che Gesich­ter annehmen.

Unse­rer Mei­nung nach for­dern Sie den Betrach­ter Ihrer Wer­ke ziem­lich her­aus. Vor allem for­dern Sie ihn intel­lek­tu­ell. Wür­den Sie das bestä­ti­gen oder sind Sie da ande­rer Meinung?

Das habe ich noch nie so gehört. Wie Sie das for­mu­lie­ren, fin­de ich aber gut. Jeder kann die Din­ge ja nur so wahr­neh­men, wie es in einem selbst abge­legt ist, und ob das nun intel­lek­tu­ell ist oder auch nicht, ist ja eigent­lich egal, oder?

Ja, sicher, dem stim­men wir zu. Sie arbei­ten auch häu­fig mit Gold. Gold wird seit Jahr­tau­sen­den für ritu­el­le Gegen­stän­de und Schmuck sowie als Zah­lungs­mit­tel genutzt. Was asso­zi­ie­ren Sie mit die­sem Ele­ment bzw. wel­che Rol­le spielt es in Ihren Arbeiten?

Ich per­sön­lich hat­te mit Gold eigent­lich nie viel zu tun, ich tra­ge auch bei­spiels­wie­se kei­nen Schmuck. Ich bin auch nicht in einem reli­giö­sen Kon­text groß­ge­wor­den, wo das viel­leicht sehr prä­sent gewe­sen wäre. Für mich kam Gold zustan­de durch die Aus­ein­an­der­set­zung mir Arthur Scho­pen­hau­er und dem Ver­such, das Phi­lo­so­phi­sche an sich in eine Dar­stel­lungs­form zu brin­gen, die mög­lichst vie­le Aspek­te des Phi­lo­so­phi­schen auf­nimmt. Das waren Arbei­ten mit Blei­stift und Blatt­gold. Jener Bereich, der von der skiz­zier­ten Idee nach ihren Apho­ris­men am klars­ten ste­hen blieb bzw. bei mir zu einem kla­ren Gedan­ken führ­te, habe ich mit Blatt­gold belegt. Und zwar anhand eines Ver­fah­rens, das eine ganz schar­fe Außen­kan­te bil­de­te. Es geht dar­um, dass es einen ganz klar gesetz­ten Raum gibt, für den eine bestimm­te Gül­tig­keit besteht und gleich­zei­tig aber kei­ne Mög­lich­keit vor­han­den ist, die­sen immer auf die glei­che Art zu sehen, weil das Gold selbst ja aus jedem Blick­win­kel anders reflek­tiert. Das fand ich einen guten Aspekt in Bezug auf die Phi­lo­so­phie, und dadurch hat­te ich mir das Arbei­ten mit die­sem Blatt­gold ange­eig­net und beibehalten.

Welche Wer­te ste­hen für Sie und Ihre Gene­ra­ti­on von Künstler*innen im Vordergrund?

Als Künst­ler arbei­tet man ja dar­an, indem man sei­nen offens­ten und per­sön­lichs­ten Bei­trag von sich gibt, zu hin­ter­fra­gen: Was ist das eigent­lich für eine Situa­ti­on, in der man lebt, und was macht das mit einem? Was pas­siert eigent­lich zwi­schen dem, wel­che Geschich­te einem erzählt wird, und wie man es dann tat­säch­lich erlebt. Es geht dar­um, mit sei­nem gesam­ten Ein­satz das Poten­zi­al der Rea­li­tät sicht­bar zu machen, auch durch­zu­spie­len, und es geht dabei für mich vor allem um die Hete­ro­ge­ni­tät. Ich fin­de es extrem wich­tig, dass es vie­le ver­schie­de­ne Künst­ler gleich­zei­tig gibt, die eben durch ihre Unter­schied­lich­keit auch die unter­schied­li­chen Mög­lich­kei­ten des Seins zei­gen kön­nen. Und in dem Beruf dis­ku­tiert man natür­lich, dass man das äußert, was einem in die­ser kul­tu­rel­len Situa­ti­on pas­siert. Das heißt, man fin­det Spra­chen dafür, auch Spra­chen, die es noch nicht gibt, um über das zu spre­chen, was einem wider­fährt, aber auch das, was einem als Gene­ra­ti­on pas­siert, denn man ist ja nie nur man selbst, son­dern auch ein Teil der anderen.

Denken Sie per­sön­lich, es wird nach die­ser glo­ba­len Pan­de­mie zu einem Wer­te­wan­del kom­men? Auch bezo­gen auf die Kunst und ihre Akteure?

Was ich mir jeden­falls erhof­fe, ist, dass die Zukunft etwas ent­schleu­nig­ter wird. Ich fin­de es gut, dass es die­se Pha­se gab, wo man grund­sätz­lich über alles nach­den­ken konn­te und das Gewohn­te total ver­las­sen muss­te. Plötz­lich zurück­ge­wor­fen zu sein und sich wie­der auf sein intak­tes Immun­sys­tem zu ver­las­sen. Das betrifft ja eher die Gesund­heits­in­dus­trie, aber ich fin­de es inter­es­sant. Wenn man gesund­heit­li­che Beschwer­den hat, geht man in irgend­ei­ne Insti­tu­ti­on und sagt den Zustän­di­gen: „Macht mal, dass der Schmerz weni­ger wird.“ Bei die­sem Virus geht das nicht. Jeder über­nimmt die­se tota­le Selbst­ver­ant­wor­tung für das, was einem pas­siert, und das ist ja im Prin­zip eine gute Sache. Ich fän­de auch gut, wenn das in Bezug auf Gesund­heit bei­be­hal­ten wird. Zudem war es auch span­nend zu beob­ach­ten, dass im Zuge der Pan­de­mie plötz­lich Kunst kei­nen mehr inter­es­siert hat. Kunst wur­de fast etwas Amo­ra­li­sches – also nach dem Mot­to: Wie kann man jetzt Kunst kau­fen, wenn man zugleich 200 Mit­ar­bei­ter in Kurz­ar­beit schickt? Gleich­zei­tig war es für mich sehr schmerz­haft, so lan­ge auf Kul­tur ver­zich­ten zu müs­sen. Da hat einem ja tat­säch­lich was Wich­ti­ges gefehlt, also die­se kol­lek­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung damit, was mit uns gera­de pas­siert. Ich bin gespannt, wie sich die Dis­kus­sio­nen dar­über ent­wi­ckeln werden.

Derzeit läuft Ihre Aus­stel­lung in der Gale­rie König. Wor­an arbei­ten Sie gera­de? Ste­hen wei­te­re Aus­stel­lungs­pro­jek­te an?

Die nächs­ten Aus­stel­lungs­pro­jek­te fin­den im Kunst­his­to­ri­schen Muse­um in Wien, im Okto­ber, und im Musée Royaux des Beaux-Arts de Bel­gi­que in Brüs­sel statt. Bei­de zu Beet­ho­ven – eine mit einer exis­tie­ren­den Arbeit zu Beet­ho­ven, den 32 Kla­vier­so­na­ten, und die in Brüs­sel zu einer neu­en Arbeit, die ich aber noch nicht gemacht habe. Ansons­ten ent­wick­le ich gera­de die Arbeit wei­ter, die auch bei König hing, also die­se Mobi­les aus Mes­sing, und zwar so, dass das Skulp­tu­ren für den Außen­be­reich wer­den. Es läuft auch gera­de mei­ne Solo-Show in New York bei David Nolan, aber die hat es lei­der nicht mehr geschafft zu eröff­nen und jetzt wird man sehen, wann es mög­lich ist. So lan­ge bleibt dort mal alles hängen.

Beitrag teilen
geschrieben von

Das Kunstmagazin, das mehr Zeit zum Lesen und mehr Raum zum Schauen beansprucht: ein Gegentrend zu vielen Megatrends. Geeignet für Kunstliebhaber, die tiefer gehen möchten und bereit sind, inspiriert zu werden. Intellektuell anspruchsvolle Inhalte, innovatives Layout und elegantes Design auf höchstem Qualitätsstandard.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner

Sie befinden sich im Archiv.
Hier geht's zum aktuellen stayinart Online Magazin.

This is default text for notification bar