Peggy Guggenheim Collection

Wenn Ohrringe zu Statements werden

Die Bien­na­le von 1948 war wie das Öff­nen einer Fla­sche Cham­pa­gner. Es war die Explo­si­on der moder­nen Kunst, nach­dem die Nazis ver­sucht hat­ten, sie zu töten. Mon­dri­an, Male­witsch, Bran­cu­si, Kan­din­sky, Ernst und Gia­co­metti – alle in Peg­gys Samm­lung im grie­chi­schen Pavil­lon – zum ers­ten Mal auf der Bien­na­le zu sehen. So for­mu­lier­te der dama­li­ge Sekre­tär der Peg­gy Gug­gen­heim Coll­ec­tion Vitto­rio Car­rain sei­ne Begeis­te­rung. In der Tat war die­se 24. Bien­na­le von Vene­dig nicht nur für das Publi­kum, son­dern auch für Peg­gy Gug­gen­heim selbst einer jener Momen­te, der ihren Weg als Samm­le­rin, Sti­li­ko­ne und Mäze­nin präg­te. Die­se Bien­na­le bot ihr näm­lich die Gele­gen­heit ihre Samm­lung von Ame­ri­ka nach Euro­pa zu ver­le­gen und war ein wich­ti­ger Schritt für die Exis­tenz des heu­ti­gen Museums.

Bereits im Som­mer 1947 zog Peg­gy nach Vene­dig, wo sie vor­über­ge­hend im Hotel Savoia & Jolan­da auf der Riva degli Schia­vo­ni wohn­te. Sie ver­lieb­te sich in die „Stadt der Lie­be“. Begie­rig dar­auf, die neu­en Künst­ler und Kunst­per­sön­lich­kei­ten Vene­digs ken­nen­zu­ler­nen, begann sie das All’An­ge­lo zu besu­chen, ein Restau­rant in der Nähe des Mar­kus­plat­zes, das als „Künst­ler-Treff­punkt“ bekannt ist. Dort lern­te sie Emi­lio Vedo­va und Giu­sep­pe San­to­ma­so ken­nen, die bei­de Grün­der der Kunst­be­we­gung Fron­te Nuo­vo waren und die bereits ihre Berühmt­heit als Kunst­mä­ze­nin sowie die ihres Onkels Salo­mon und des­sen Samm­lung in New York kann­ten. Durch ihre Bekannt­schaft mit San­to­ma­so, einer der weni­gen Per­so­nen, die „an das, was außer­halb Ita­li­ens geschieht, glau­ben“, wur­de Peg­gy von Gene­ral­se­kre­tär Rodol­fo Pal­luc­chi­ni zur Teil­nah­me an der Bien­na­le von Vene­dig 1948 ein­ge­la­den. Ihre Aus­stel­lung bestand aus den Wer­ken, die sie um 1939–1940 in Paris zu sam­meln begon­nen hat­te und die in New York in ihrer „Muse­ums­ga­le­rie“ ab 1942 zu sehen waren. In den Jah­ren 1939–40 erwarb Peg­gy eif­rig Wer­ke für das zukünf­ti­ge Muse­um, mit dem Vor­satz, „jeden Tag ein Bild zu kau­fen“. Eini­ge der Meis­ter­wer­ke ihrer Samm­lung, wie z.B. Wer­ke von Fran­cis Pica­bia, Geor­ges Braque, Sal­va­dor Dalí und Piet Mon­dri­an, wur­den zu die­ser Zeit ange­kauft. Sie ver­blüff­te Fer­nand Léger, indem sie am Tag des Ein­mar­sches Hit­lers in Nor­we­gen sei­ne „Men in the City“ kauf­te. Sie erwarb Bran­cu­sis „Vogel im Welt­all“, als die Deut­schen sich Paris näher­ten. Es war ihr Wil­le, ihr ästhe­ti­sches Ver­ständ­nis und ihre Lei­den­schaft, mit der sie die klu­gen Ankäu­fe tätigte.

Im Juli 1941 floh Peg­gy aus dem von den Nazis besetz­ten Frank­reich und kehr­te mit Max Ernst, der eini­ge Mona­te spä­ter ihr zwei­ter Ehe­mann wer­den soll­te, in ihre Hei­mat­stadt New York zurück. Im Okto­ber 1942 eröff­ne­te sie ihre Muse­ums­ga­le­rie „Art of This Cen­tu­ry“ in der 30 West 57th Street, New York. Die von dem öster­rei­chi­schen Archi­tek­ten Fre­de­rick Kies­ler ent­wor­fe­ne Gale­rie bestand aus inno­va­ti­ven Aus­stel­lungs­räu­men und wur­de bald zum anre­gends­ten Ort für zeit­ge­nös­si­sche Kunst in New York. Über den Eröff­nungs­abend schrieb Gug­gen­heim: „Ich trug einen mei­ner Tan­guy-Ohr­rin­ge und einen von Cal­der, um mei­ne Unvor­ein­ge­nom­men­heit zwi­schen sur­rea­lis­ti­scher und abs­trak­ter Kunst zu zei­gen“. Unbe­kann­te Ame­ri­ka­ner, wie Robert Mother­well, Wil­liam Bazio­tes, Mark Roth­ko, David Hare, Richard Pou­set­te-Dart, Robert de Niro Sr., Clyfford Still und Jack­son Pol­lock erhiel­ten Ermu­ti­gung und Unter­stüt­zung von Peg­gy und ande­ren Mit­glie­dern die­ser auf­kom­men­den New Yor­ker Avant­gar­de. Peg­gy und ihre Samm­lung spiel­ten somit eine wich­ti­ge Rol­le in der Ent­wick­lung der ers­ten Kunst­be­we­gung Ame­ri­kas von inter­na­tio­na­ler Bedeu­tung. Die Wer­ke, die damals gezeigt wur­den, waren die­je­ni­gen, die man heu­te im Muse­um in Vene­dig sieht.

Peg­gy Gug­gen­heim kauf­te den Palaz­zo Veni­er dei Leo­ni am Canal Gran­de in Vene­dig gleich nach der Bien­na­le 1949, zog dar­auf­hin ein und mach­te mit einer Aus­stel­lung von Skulp­tu­ren im Gar­ten ihre Samm­lung der Öffent­lich­keit zugäng­lich. 1950 orga­ni­sier­te sie die ers­te Aus­stel­lung von Pol­lock in Euro­pa, in der Sala Napo­leo­ni­ca des Museo Cor­rer in Vene­dig. Wäh­rend ihrer 30 Jah­re in Vene­dig sam­mel­te Peg­gy Gug­gen­heim wei­ter­hin Kunst­wer­ke und unter­stütz­te Künst­ler wie Edmon­do Bac­ci und Tancre­di Parm­eg­gia­ni, die sie 1951 ken­nen­lern­te. Natür­lich war die Frau mit den auf­fäl­li­gen Son­nen­bril­len und gro­ßen Ohr­rin­gen auch die letz­te Bewoh­ne­rin Vene­digs, die die Stadt noch in einer Gon­del durchquerte.

Blick auf die Mari­no Mari­ni Ter­ras­se: Mari­no Mari­ni, The Angel of the City, 1948, © Peg­gy Gug­gen­heim Coll­ec­tion, Venice / Pho­to Matteo De Fina – Nicolò Miana

Was sie erschaf­fen hat­te, war ihr wohl schon lan­ge vor ihrem Lebens­en­de klar: „Ich mache mir Sor­gen, was mit mei­nen Bil­dern pas­siert, wenn ich nicht mehr lebe. Ich habe mich mei­ner Samm­lung gewid­met. Eine Samm­lung bedeu­tet har­te Arbeit. Es war das, was ich tun woll­te und ich mach­te es zu mei­nem Lebens­werk. Ich bin kei­ne Kunst­samm­le­rin. Ich bin ein Muse­um.“ Schon sehr früh heg­te die exzen­tri­sche Peg­gy Gug­gen­heim den Wunsch ein eige­nes Muse­um zu sein. Sie wuchs in New York auf, stamm­te aus einer wohl­ha­ben­den Fami­lie und reis­te 1921 nach Euro­pa. Dank ihrem ers­ten Ehe­mann Lau­rence Vail fand Peg­gy bald das Herz der Pari­ser Bohè­me und der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft. Vie­le ihrer dama­li­gen Bekann­ten, wie Con­stan­tin Bran­cu­si, Dju­na Bar­nes und Mar­cel Duch­amp, wur­den lebens­lan­ge Freun­de. 1938 eröff­ne­te Peg­gy, ermu­tigt durch ihre Freun­din Peg­gy Wald­man, eine Kunst­ga­le­rie in Lon­don. Die ers­te Schau zeig­te Wer­ke von Jean Coc­teau, die zwei­te war die ers­te Ein­zel­aus­stel­lung von Was­si­li Kan­din­sky in Eng­land. 1939 hat­te Peg­gy „die Idee, ein moder­nes Muse­um in Lon­don zu eröff­nen“, mit ihrem Freund Her­bert Read als Direk­tor. Von Anfang an soll­te das Muse­um nach his­to­ri­schen Grund­sät­zen auf­ge­baut wer­den, und eine von Read erstell­te und spä­ter von Duch­amp und Nel­lie van Does­burg über­ar­bei­te­te Lis­te aller Künst­ler, die ver­tre­ten sein soll­ten, bil­de­te die Grund­la­ge ihrer Sammlung.

Peg­gy Gug­gen­heim starb am 23. Dezem­ber 1979 im Alter von 81 Jah­ren. Nach Peg­gys Tod über­nahm die Solo­mon R. Gug­gen­heim Foun­da­ti­on den Besitz des Palaz­zo und bau­te das Pri­vat­haus zu einem der bes­ten klei­nen Muse­en für moder­ne Kunst der Welt um und aus. Peg­gy Gug­gen­heim hat Kunst- und Stil­ge­schich­te geschrie­ben, ihr Auf­tre­ten war so glanz­voll und eigen­wil­lig wie ihre Samm­ler­lei­den­schaft für Ohrringe:

Ich bin nicht nur die ein­zi­ge Frau auf der Welt, die in einem Cal­der-Bett schläft, son­dern auch die ein­zi­ge, die sei­ne rie­si­gen beweg­li­chen Ohr­rin­ge trägt. 

Peg­gy Gug­gen­heim in ihrem Schlaf­zim­mer im Palaz­zo Veni­er dei Leo­ni; an der Wand die Ohr­rin­ge des Desi­gners Alex­an­der Cal­der; Vene­dig, frü­he 1950er
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