Malerei ist Leidenschaft. Die Malerei ist mein Leben. Und ich bin Sklave meiner Malerei. Gelassen und ruhig, aber kristallklar prononciert Li Hua dies als Antwort auf die ihr gegenüber gestellte Frage, „worum es im Leben eigentlich geht“. Malerei sei ihr Leben, ihre Bestimmung, ihre Passion, erzählt Li Hua.
Reüssiert hat ihr OEuvre bereits im Contest mit zeitgenössischer Kunst aus Europa, Asien und den USA. Zu nennen sind zahlreiche Präsentationen in London, in Paris, in Wien, in Berlin, am glatten Parkett in Salzburg, in Peking, Shanghai, in Miami und in New York. 2019 wurden ihre Werke auf zwei höchst erfolgreichen Personalen in Chongqing und Chengdu gezeigt.
Auf den ersten Blick wirkt sie sehr schüchtern und introvertiert, die kleine, zarte Person mit dem großen, neugierigen Blick. In Wahrheit aber ist es Ratio, Effizienz und analytisches Empfinden, analytisch-intellektuelles Denken, das sie derart wirken lässt. Bereits in frühester Kindheit war die 1980 in der chinesischen 30-Millionen-Metropole Chongqing geborene Künstlerin dem Malen und Zeichnen verfallen. Ihre Eltern erzählen, dass Li Hua, noch bevor sie gehen konnte, immer auf dem Boden ihrer kleinen Arbeiterwohnung gesessen sei, Stifte und Kreide in die Hand genommen und gezeichnet habe, stundenlang, stets schweigend. Das Zeichnen war für sie damals schon das Mittel der Wahl, sich auszudrücken, sich ihren Eltern, ihrer Umgebung mitzuteilen.
„EDUKATION UND EMANZIPATION“
Von Geburt an mit dem Talent des Zeichnens begnadet, besuchte sie dann erstmals während der Grundschulzeit – nebenbei und freiwillig – einen Kurs in klassischer Kalligraphie. Die Schulung im Umgang mit Pinsel, Tusche und Ölpaste aber langweilte sie auf Grund der strikten, stringenten Vorgaben der Lehrer, was zu malen sei, relativ rasch, sie beendete den Kurs – nicht aber die private, die persönliche Beschäftigung mit Zeichnen und Malen – und setzte erst gegen Ende der Zeit im Gymnasium die intensive Auseinandersetzung mit Kunst und Malerei fort. Die Repetition, die immer wieder kehrende Wiederholung, die Li Hua heute als Grundpfeiler ihres Könnens zu schätzen weiß, langweilte sie maßlos. Und erst nach drei Jahren des Übens und Nachdenkens, unterstützt von ihren Eltern, machte sie schließlich die Aufnahmeprüfung auf eine Kunsthochschule. Von 2001 bis 2005 besuchte sie das „Sichuan Fine Art Institute“ in Chongqing. Im letzten Jahr des Studiums mietete sich Li Hua auf eigene Initiative und auf eigene Kosten ein kleines Atelier und malte, und malte, und malte. Abstrakt! In einer Art Paralleluniversum schuf sie in einem Akt der Befreiung und der Emanzipation – vom tradierten, traditionellen Kunstsystem einerseits und vom patriarchalischen dominierten Spartendenken andererseits – eine erste Serie abstrakter Gemälde. Die Gegenständlichkeit hatte Li Hua damals für sich schon überwunden. Dass sie Zeichnen konnte, dass sie Malen konnte, wusste sie – und wussten ihre Lehrkräfte. Dass sie darin bereits Perfektion erreicht hatte, war ihr bewusst – und sie wusste, dass ihr Weg ein anderer, ein weiterführender, sein musste.
„DER WEG IST DAS ZIEL“
Entgegen den üblichen Usancen, entgegen der Tradition, entgegen der Erziehung der post-maoistischen Kulturrevolution nahm Li Hua ihr Leben selbst in die Hand und schickte Werke ihrer im Geheimen entstandenen Serie abstrakter Gemälde zu einem international ausgelobten Wettbewerb unter dem Aspekt „Licht & Zeit“. Nun heißt es, „Zeit sei das System, das dafür sorgen soll, dass nicht alles gleichzeitig geschieht“, im Fall der Vita von Li Hua trifft das aber nicht ganz zu. Anno 2005, im zarten Alter von nicht einmal 25 Jahren wurde das außergewöhnliche Talent als eine von sechs Prämierten unter tausenden Bewerbern mit dem „LVMH Louis Vuitton-Moet-Hennessy Award 2005“ ausgezeichnet, gleichzeitig schloss sie mit Auszeichnung ihr Studium ab und erhielt ein Stipendium für weiterführende Studien in Paris. Erste Ausstellungen in Shanghai, Peking, Hongkong und Macao ebneten der Strebsamen den Weg für weiterführende Studien.
2007 führte sie das Studium erstmals nach Europa, nach Paris. An der Pariser „École nationale superieure des Beaux Arts“ lernte sie im Kreis multikultureller Kommilitonen. Innerhalb weniger Wochen entdeckte Li Hua zwei Künstler, die sie nachhaltig beeinflussen sollten, für sich. In ihrer Freizeit besuchte sie das Pariser Centre Pompidou. Die dort damals gerade präsentierte Retrospektive von Jackson Pollock (1912–1956) sollte sie ebenso stark inspirieren wie das Werk von Daniel Richter, dessen Ausstellung „Die Palette“ sie wenige Tage vor ihrer Rückreise nach China in Hamburg besuchte. Mit dem letzten Geld kaufte sie den Katalog der Ausstellung, versuchte Richter in Berlin zu treffen – und flog zurück nach Chongqing. Stark beeindruckt und inspiriert von der Intensität der Kunstgeschichte und der zeitgenössischen Kunst war der Weg für sie nun klar. Klarer denn je. Den in der Heimat proklamierten, nur nach monetären Gesichtspunkten ausgerichteten, vorgezeichneten Pfad des Kulturschaffens wollte sie nicht gehen. Sie widersetzte sich den Vorgaben, und malte. Abstrakt! 2008 besuchte Li Hua einen Deutschkurs, mit dem Ziel nach Europa zu gehen, Daniel Richter zu treffen und dort weiter zu studieren. Sie beantragte beim Goethe-Institut ein Stipendium und erhielt es im Namen des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes DAAD.
2009/2010 studierte Li Hua an der Berliner Universität der Künste und ab 2011 an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, wo sie 2014 in der Meisterklasse von Erwin Bohatsch promovierte. Auch nach dem Verlassen der Berliner Kunsthochschule zählt sie zu den wenigen Auserwählten, die Daniel Richter, der sie schon während ihrer Zeit an der Spree als Lehrmeister unterrichtet hatte, auch weiterhin regelmäßig zu seinem engsten Kreis zählt und in künstlerischen Fragen betreut.
„TRANSFORMATION, IRRITATION & STILLE VERWIRRUNG“
Das zentrale Thema im Schaffen der akademisch ausgebildeten Malerin sind Reflexionen und Spiegelungen. Was auf den ersten Blick wie symmetrische Muster anmutet, sind oft verfremdete, vielschichtige Reflexionen des Seins. Basierend auf ihrer Ausbildung in klassischer chinesischer Kaligraphie fusioniert sie die alte Tradition ihrer Heimat mit den Eindrücken der neuen Orte. Ihren Refugien entsprechend wechseln auch die Formen und Farben der Reflexion. Sind die in Paris und vor allem in Berlin entstandenen Werke eher linear, haftet den neuesten, in Wien, in Peking und in ihrer Heimatstadt Chongqing, wo die Künstlerin seit einigen Jahren wieder ansässig ist, entstandenen Werkserien etwas Kräftigeres, etwas Stärkeres, etwas Farbigeres, Kontrastreicheres und höchst Expressives an. Im Format wachsend, ausufernd. Ihre Farbpalette ist expressiv, stark, klar. Ihr Farbauftrag kräftig, intensiv, emotional, flächig und zunehmend auch sehr plastisch. Farbintesiv, opulent. Glänzend wie in Jugendstil und Rokoko. Als barock-überladen kann man ihre im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtigen Gemälde bezeichnen. Zitate an Österreich, an Wien – „meine zweite Heimat“ – gibt es mehrfach und vielschichtig.
„REFLEXIONEN UND SPIEGELUNGEN“
Oft sei ein Gemälde wochenlang in ihrem Inneren verborgen, es reift, es wächst heran und wartet, erzählt Li Hua. Dann, innerhalb weniger Minuten bricht das Bild aus ihr heraus. Wie in Trance trägt sie Farbe, die sie auf den Paletten schon länger vorbereitet hat, auf die jungfräuliche Leinwand auf. Eruptiv, emotional, ejakulativ. Einem Vulkanausbruch gleich. Oft hört sie während des sakralen Aktes des Schaffensprozesses laut klassische Musik. Die Materialien, die sie bevorzugt, sind Ölfarben auf Leinwand. Gerne verwendet sie auch ein Sandgemisch, als Zitat an André Masson (1896–1987), den sie ebenso verehrt wie Frank Auerbach, Anselm Kiefer, Eugène Leroy (1910–2000) oder den deutschen Expressionisten Emil Nolde (1867–1956). Als Quell der Inspiration nennt Li Hua aber auch Alte Meister wie Tintoretto (1560–1635), dessen Werke sie, wann auch immer sie in Wien ist, regelmäßig im Kunsthistorischen Museum aufsucht, oder im Leopold Museum verortete Werke von Egon Schiele (1890–1918), Gustav Klimt (1862–1918) oder Oskar Kokoschka (1886–1980), dessen Werk sie im Wiener Belvedere begegnet ist. An seinen Stil erinnern denn auch frappierend die wenigen von ihr gefertigten Personenporträts. Spontaneität sei aber das wesentlichste Moment im Entstehungsprozess ihres Werkes, sagt sie selbst. Die Themen sind emotional und vom Chaos der Welt und der Seele bestimmt. Verwirrungen und Irrungen.
„VERSPRECHEN AN DIE ZUKUNFT“
Von persönlichen und kreativen Veränderungsprozessen getragen war Li Huas Werk seit jeher. Mit Spannung ist zu erwarten, in welche Richtung sich ihr OEuvre in Zukunft verändern wird. Offen, ehrlich und direkt wird es sein. Wider den Stillstand! Allein der Status quo ist ein Versprechen an die Zukunft. Vielsagend ist das Statement, das Li Hua als Ziel ihres Schaffens definierte: „Veränderung ist der Motor meines Schaffens, der Antrieb meines Lebens, meiner Arbeit.“ Sie befinde sich, wie es Kreativen vorherbestimmt ist, auf der Suche nach innerem Frieden, nach der inneren Harmonie. Im Leben ginge es schließlich darum, etwas zu hinterlassen, etwas Sinnvolles oder Schönes zu erschaffen. Zu irritieren und zu inspirieren. Kunst und Malerei sei ihr Leben. Leute seien, mit wenigen Ausnahmen, oft langweilig. Wichtig sei Neugierde und Veränderung. „Malerei ist Leidenschaft. Die Malerei ist mein Leben. Und ich bin Sklave meiner Malerei.“ Ihr Credo mündet in eine Conclusio, die überleitet auf eine ganz neue, höhere Ebene, indem sie, ganz im Sinne der Avantgarde, sehr klar ihre Zielsetzung proklamiert mit den wie selbstverständlich und absolut selbstbewusst vorgetragenen, nahezu simpel klingenden, de facto aber schwerwiegenden, ja revolutionären Worten: „Ich möchte die Malerei überwinden!“