Vakuumgeformtes Polyethylenterephthalat, Silikon, Erde, Chia-Samen, Glasobjekte, Edelstahlhalter, Edelstahldrähte und Gewebe
Ausgelöst durch Globalisierungs- und Technologieeffekte wie etwa die Klimakrise, rücken gegenwärtig, wie schon im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert, die Naturwissenschaften und die zeitgenössische Kunst wieder enger zusammen. Kunstwerke, die sich auf Prozesse der Biotechnologie und synthetischen Biologie beziehen, werden so zu Metaphern der Gegenwart für die Zukunft und Vergangenheit. Die beiden aus Litauen stammenden Künstler Neringa Cˇerniauskaitè (geb. 1984) und Ugnius Gelguda (geb. 1977) arbeiten seit 2014 als Kollektiv. PAKUI HARDWARE ist eine vom New Yorker Kurator Alex Ross gewählte Namensabfolge, die sowohl mythologische (Pakui bezieht sich auf eine hawaiianische Gottheit) als auch technische Vorstellungen referenziert und diese miteinander in Verbindung bringt. Gelegentlich eines Besuchs im Museum der bildenden Künste in Leipzig zeigte sich das Künstlerduo fasziniert von den großzügigen Volumina des 2004 von den Berliner Architekten Karl Hufnagel, Peter Pütz und Michael Rafaelian errichteten Bauwerks – mit 10.000 m² Fläche eines der größten Ausstellungshäuser Deutschlands. Besonders beeindruckte die beiden Künstler die faszinierende Lichtsituation, vor allem in den 16 Meter hohen, verglasten Innenhöfen und Innenterrassen. Auf Einladung des Museums entwarfen Pakui Hardware für die größte Tageslichtterrasse „Underbelly“ ihre bislang monumentalste Installation.
„Underbelly“ ist eine völlig neue immersive Installation, die von den Lichträumen des MdbK Leipzig inspiriert und für diese entwickelt wurde. Darin betritt der Betrachter eine Art übergroßen Bauch – weich und offen zur Inspektion. In acht von der Decke abgehängten Wachstumskammern befinden sich, in organischen und anorganischen Substanzen (Nährstofflösungen) liegende, gläserne Organprothesen und Silikonarterien, die entwicklungsbiologische Wachstumsprozesse suggerieren. In, wie durch chirurgische Eingriffe entstanden wirkende, Perforierungen im nahezu über die Gesamtfläche des Raums gespannten textilen Netz sind transparente, quasi vertraute biomorphe Objekte eingesetzt. Sie setzen sich bereitwillig zur Untersuchung aus und öffnen ihre Innenräume für das Auge des Betrachters. Die invasive Medizin der Vergangenheit beruht auf (un)bewusster und enthusiastischer Selbstausstellung und Datenphilanthropie der Gesundheit. Unsere Unterbäuche sind jetzt für jedermann zugänglich. Science-Fiction-Filme haben uns schon längst mit der Welt der Züchtung von Organen und komplexen biologischen Organismen vertraut gemacht. Erst vor wenigen Monaten hat Japan als erstes Land der Welt Chimären-Experimente für Organzucht zugelassen.
PAKUI HARDWARE beschreiben ihre Arbeiten als Hybride aus Künstlichem und Natürlichem, aus dem von Menschen Geschaffenen und dem Gegebenen und sehen in der synthetischen Biologie die Möglichkeit Zukunftsszenarien zu ersinnen, in denen der Mensch unabhängig vom Organischen, ja letztlich auch unabhängig von seinem eigenen Körper ist. Im Verein mit dem transluziden, fleischfarbenen Netz erzeugen die es durchdringenden Brutkästen eine hybride Anmutung, die zwischen einem gepflegten Kunstgarten und einem Laboratorium schwankt. Mit „Underbelly“ hat das Künstlerduo nachgezeichnet, wie der Kapitalismus Körper und Materialien bestimmt. Durch die Kombination von natürlichen und künstlichen Materialien, sterilen und organischen Formen verschmelzen die Künstler Design, Biologie und Kunstgeschichte zu hybriden und neugierigen Kreaturen, die in ihre autonomen Umgebungen eintauchen.
Pakui Hardware reisen viel, dadurch sind sie zu Nomaden geworden. Ihr Leben ist dadurch virtueller geworden. In einem Interview mit dem Kurator Rainer Fuchs im Jahr 2014 meinten Pakui Hardware, dass sie über die virtuellen Kommunikationsformen zahlreiche Kontakte zu Menschen erhalten, denen sie noch nie zuvor begegnet sind, diesen aber durch gemeinsame Interessen, Probleme und Ausdrucksmittel sehr nahestehen. „Wir schwimmen gleichsam in diesem Netzwerk aus Menschen, die wir noch nie getroffen haben und denen wir uns eigenartigerweise oft näher fühlen als den Leuten, die physisch um uns herum sind.“ Abgesehen von „Underbelly“ im MdbK Leipzig waren in den vergangenen vier Jahren folgende Einzelausstellungen von Pakui Hardware zu sehen: Extrakorporal, Bielefelder Kunstverein (2018); The Return of Sweetness, Tenderpixel Gallery, London (2018); Creatures of Habit, Trafó Gallery , Budapest und SIC, Helsinki (2017); On Demand, EXILE, Berlin (2017) und Vanilla Eyes, MUMOK, Wien (2016). Zeitgleich mit „Underbelly“ im MdbK Leipzig zeigen sie eine Weiterentwicklung von Extrakorporal in der unter dem Titel The Seventh Continent kuratierten 16. Instanbul Biennale.