Einmal New York und zurück
Vor fast genau 50 Jahren, am 27. Jänner 1969, klagte die Bundesrepublik Deutschland vor dem US District Court in New York den Anwalt und Kunstsammler Edward I. Elicofon auf Herausgabe zweier Bilder von Albrecht Dürer, nämlich Portraits des Kaufmann- Ehepaares Hans und Felicitas Tucher. Die Bilder gehörten ursprünglich zu den Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar und wurden während des 2. Weltkrieges in einem Schloss in Thüringen, der Schwarzburg, aufbewahrt und dort vermutlich gestohlen. Die Kunstsammlungen zu Weimar und die Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach schlossen sich später dem Verfahren auf Herausgabe der Gemälde an.
Mr. Elicofon hatte die Bilder 1946 von einem heimgekehrten US-Soldaten um 450,- US$ gutgläubig erworben, und zwar ohne um den tatsächlichen Wert der Bilder und deren Diebstahl zu wissen. Der Soldat behauptete, sie in Deutschland von einem Dritten gekauft zu haben. Im Prozess stellte sich heraus, dass er sie von einem Architekten namens Fassbender erstanden hatte. Dieser Architekt war seinerzeit beauftragt, die Schwarzburg in eine Sommerresidenz für Hitler umzugestalten.
Mr. Elicofon hängte die Bilder bei sich zu Hause in Brooklyn auf. Erst im Mai 1966, also 20 Jahre, nachdem er sie gekauft hatte, kam die wahre Identität der Bilder zutage. Ein Freund des Mr. Elicofon erkannte die Bilder als jene Dürer-Gemälde, die er zuvor in einem Katalog über verschollene Kunstwerke gesehen hatte. Über den Fund wurde auf der Titelseite der New York Times vom 30. Mai 1966 als „Kunstentdeckung des 20. Jahrhunderts“ berichtet. Der Wert der Bilder wurde damals auf rund 23 Millionen D‑Mark geschätzt.
Der Gerichtsprozess in New York dauerte 13 Jahre. Es ging im Wesentlichen darum, ob Mr. Elicofon das Eigentum an den beiden gestohlenen Dürer-Bildern erworben hatte oder nicht. Hätte er Eigentum erworben, dürfte er die Bilder behalten. Andernfalls müsste er sie zurückgeben. Das Gericht entschied im Jahr 1982 schlussendlich, dass Mr. Elicofon nicht Eigentümer der Bilder war und diese daher zurückgeben musste.1 Seitdem sind sie wieder im Schlossmuseum in Weimar zu besichtigen.
37 Jahre später, im Juli 2019, musste der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) einen ähnlichen Fall entscheiden. 2 Dort sah das Ergebnis aber anders aus. Ein Autoteile-Großhändler ohne besondere Kunstkenntnisse wollte im Jahr 2009 zwei Bilder bei einem Auktionshaus in Luzern versteigern lassen. Das Auktionshaus identifizierte die Bilder als zwei gestohlene Werke des 1966 verstorbenen Malers Hans Purrmann, nämlich die Gemälde „Frau im Sessel“ aus dem Jahr 1924 und „Blumenstrauß“ aus dem Jahr 1939.
Diese Gemälde wurden neben weiteren Bildern im Jahre 1986 bei einem Einbruch aus dem Haus der Tochter des Malers gestohlen. Der Autoteile-Großhändler hatte die Gemälde in den Jahren 1986 oder 1987 von seinem Stiefvater geschenkt bekommen, der sie wiederum von einem Antiquitätenhändler oder ‑sammler erworben hatte. Der rechtmäßige Erbe, ein Enkel des Malers Hans Purrmann, klagte den Autoteile- Großhändler auf Herausgabe der Bilder vor dem Landgericht Ansbach in Deutschland. Der Fall ging über alle Instanzen bis zum BGH. Der BGH entschied, dass der Autoteile-Großhändler die Bilder nicht an den Erben (den Enkel des Malers) herausgeben musste, sondern aufgrund gutgläubigen Erwerbs Eigentümer der Bilder geworden war.
Warum aber kommen das New Yorker Gericht und der BGH in ähnlich gelagerten Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen? In beiden Fällen wurden Bilder in Deutschland gestohlen und an gutgläubige Dritte – Mr. Elicofon und den Schwiegervater des Autoteile-Großhändlers – verkauft. Doch in einem Fall mussten die Bilder zurückgegeben werden, im anderen nicht. Der Grund liegt darin, dass das New Yorker Gericht US-Recht und der BGH deutsches Recht anwandte. Grundsätzlich geht es bei der Frage des Eigentumserwerbs von gestohlenen Sachen darum, einen Interessenausgleich herzustellen, nämlich zwischen den Interessen der bestohlenen Eigentümer auf Rückgabe und dem Interesse der gutgläubigen Erwerber auf Rechtssicherheit, dass Kaufverträge gültig sind. Letzterem Interesse wird in manchen Rechtsordnungen dadurch Rechnung getragen, dass nach Ablauf einer bestimmten Zeit, meist mehrere Jahre, das Eigentum auch an gestohlenen Sachen ersessen werden kann. Außerdem erwirbt in manchen Staaten, wie z.B. in Österreich, ein Käufer auch dann Eigentum an gestohlenen Kunstwerken, wenn er das Werk entweder in einer öffentlichen Versteigerung oder von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens (z.B. einem Galeristen) erwirbt.
Nach US-Recht ist eine Ersitzung des Eigentums an gestohlenen Werken allerdings ausgeschlossen, auch wenn der Erwerber gutgläubig war. Deshalb konnte Mr. Elicofon das Eigentum an den Dürer-Gemälden auch nicht ersitzen und musste sie dem rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Nach deutschem (und auch nach österreichischem Recht) ist hingegen eine Ersitzung und damit der Erwerb des Eigentumsrechtes nach Ablauf einer bestimmten Frist dann möglich, wenn der Erwerber beim Kauf gutgläubig handelte. Deshalb durfte der Autoteile-Großhändler die Bilder des Malers Purrmann behalten.
Es stellt sich in solchen Fällen oft die Frage, ob der Erwerber wirklich gutgläubig war, also ob er nicht aufgrund der Umstände des Kaufs zumindest Verdacht schöpfen musste, dass es sich möglicherweise um Diebesgut handelt. Zur Frage der Gutgläubigkeit hat der BGH im zitierten Urteil klargestellt, dass einen Laien − wie es der Schwiegervater des Autoteile-Großhändlers war − keine generelle Pflicht zur Nachforschung beim Erwerb trifft. Er muss also ohne weitere Anhaltspunkte keine Nachforschungen darüber anstellen, ob ein Kunstwerk eventuell gestohlen wurde. Das gilt aber dann nicht, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen müssten und er diesem Verdacht nicht nachgeht.
Die zwei Gerichtsfälle zeigen, dass die Frage, welches Recht zur Anwendung kommt − also etwa US-Recht oder deutsches Recht − entscheidend dafür sein kann, ob das Eigentum an gestohlenen Kunstwerken ersessen worden ist oder nicht. Im Fall Weimar v. Elicofon war das nicht von vornherein klar, da das Bild ja in Deutschland gestohlen worden war und der Soldat das Bild in Deutschland vom Architekten gekauft hatte. Mr. Elicofon berief sich im Prozess aber vergeblich auf deutsches Recht. Das New Yorker Gericht wendete in letzter Konsequenz das Recht jenes Landes an, in dem sich die zwei Dürer-Gemälde zum Zeitpunkt des Prozessbeginns befanden und verneinte auch, dass der Soldat in Deutschland Eigentum erworben hatte.
Da Kunstwerke in vielen Fällen leicht transportierbar sind und auch häufig ins Ausland verkauft werden, wird die Frage der Ersitzung zu einer Frage nach dem Ort, an dem sich das Kunstwerk schlussendlich befindet oder gekauft wird. Für Kunstwerke, die unter das Kulturgüterrückgabegesetz fallen, gilt die Besonderheit, dass immer das Recht des Rückgabestaates anzuwenden ist und hier besondere Rückgabeansprüche bestehen. Das (österreichische) Kulturrückgabegesetz regelt die Rückgabe von solchen Kulturgegenständen im Besitz des Bundes, die entweder zur Zeit des Nationalsozialismus den Eigentümern entzogen oder nach dem Jahr 1945 dem Bund als „Gegenleistung“ für die Erteilung von Ausfuhrbewilligungen für andere Kunstwerke überlassen wurden. Prominentester Fall der Kulturrückgabe ist wohl Klimts „Goldene Adele“.