Zahlreiche Dichter, Maler und Komponisten reisten im 18./19. Jahrhundert in die Schweiz oder durchquerten sie auf ihrem Weg nach Italien. Auf oftmals schwierigen Straßen, zu Fuss, in offenen Fuhrwerken, in Kutschen mit und ohne Federung oder zu Pferd war man unterwegs. So 1779 der Dichter Johann Wolfgang Göthe, ab 1782 dann ‚von Goethe‘, der im Oktober in Bern eintraf und in die „wilde Bergwelt“ des Berner Oberlands weiterreiste, Erlebnisse, die er in seine Dichtungen einbrachte. Im September 1797 besuchte er Schaffhausen und war vom Rheinfall beeindruckt, was sich im Faust II niederschlug. Der Maler William Turner reiste mehrmals in die Schweiz, studierte bei Wind und Wetter Landschaften in unterschiedlichem Licht. So entstanden 1842 einige Aquarelle vom Rigi und dem Vierwaldstättersee. Dieser Beitrag ist jedoch den Komponisten Richard Wagner, Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms und ihren Reisen, Aufenthalten und den in der Schweiz entstandenen Kompositionen gewidmet.
RICHARD WAGNER, 1813−1887
KOMPONIST, DRAMATIKER, DIRIGENT
Erstmals in die Schweiz kam er 1849 als politischer Flüchtling. Er war an der Mai-Revolution in Dresden beteiligt. Steckbrieflich gesucht, floh er mit falschem Pass nach Zürich. Alexander Müller, Chorleiter und Pianist, den er aus gemeinsamer Zeit am Theater in Würzburg kannte, führte ihn in die kulturellen Kreise ein. Von 1850 bis 1855 dirigierte Wagner das Orchester der Allgemeinen Musikgesellschaft, hauptsächlich mit Beethoven und eigenen Werken. In Zürich entstanden nun seine Dichtungen zu Rheingold, Siegfried und Walküre. Aus dem Nibelungenlied, der Edda und der Wälsungen Saga gestaltete er seine Musikdramen. Im Februar 1853 hielt er im Hotel Baur au Lac während dreier Tage eine Lesung seiner Dichtung. Die anschließenden Konzerte mit eigenen Werken waren stets ausverkauft. Das Orchester wurde mit Musikern aus anderen Schweizer Städten vergrößert und nach dem 3. Konzert, an seinem 40. Geburtstag, wird er mit einem Fackelzug geehrt. Trotz ausverkauftem Haus ergaben die Konzerte ein Defizit. Otto Wesendonck, ein deutscher Kaufmann, der sich mit seiner Frau Mathilde in Zürich niedergelassen hatte, beglich das Defizit, − wie auch später etliche Schulden Wagners. Wesendoncks lebten im Baur au Lac, bis 1857 ihr Haus am See fertiggestellt war, dem heutigen Rietberg Museum. Mathilde entwickelte eine schwärmerische Beziehung zu Wagner. Er schrieb eine Klaviersonate für sie und vertonte fünf ihrer Gedichte, die berühmten Wesendonck-Lieder. Eine Reise mit den Wesendoncks führte nach Brunnen, ein von Wagner häufig besuchter Ort.
Er stellte sich dort ein Festspielhaus mit Sicht auf See und Berge vor. Ein erster Gedanke des späteren Bayreuth. Im Januar 1854 schreibt Wagner an Franz Liszt: „Das Rheingold ist fertig.“ In einer Regieanweisung nimmt Wagner Bezug auf eine Wanderung über den Julier-Pass: „Freie Gegend auf Bergeshöhen.“ Wagner wanderte oft tagelang. Die Schweizer Landschaft und ihre Bergwelt war für ihn Inspiration. In seiner Phantasie begegnete ihm die Götterwelt seiner Dramen. 1856 ist die Partitur der Walküre beendet. Er setzt die unterbrochene Arbeit am Siegfried fort und vollendet die Dichtung von Tristan und Isolde, die er Mathilde Wesendonck widmet. Beider Beziehung drohte zum gesellschaftlichen Skandal zu werden. Dies zu verhindern, reiste Wagner nach Paris und die Wesendoncks nach Italien. Zurück in der Schweiz, ließ sich Wagner im Hotel Schweizerhof in Luzern nieder. Dort beendete er mit Blick auf die Halbinsel Tribschen im August 1859 den Tristan. Wagner war von Tribschen wie magisch angezogen. 7 Jahre später konnte er sich dort niederlassen.
Große Ereignisse geschahen in diesen 7 Jahren. Wagner zog zunächst nach Paris und 1862 nach Wien. Wegen hoher Schulden und drohendem Gefängnis floh er in Frauenkleidern. Ludwig II. von Bayern nimmt ihn auf und begleicht die Schulden. 1865 muss er auf öffentlichen Druck Bayern verlassen, der König hält weiter zu ihm. Inzwischen war Cosima an seiner Seite, Tochter von Franz Liszt und mit dem Dirigenten Hans von Bülow verheiratet. Cosima zog mit ihren drei Kindern in Tribschen ein, darunter Isolde, Wagners erstes Kind. Eva wurde geboren, später Siegfried. Am 2. August 1870, dem Geburtstag von Ludwig II., heiraten Cosima und Wagner in der Matthäuskirche in Luzern. In Tribschen vollendete Wagner die Meistersinger, den 3. Akt von Siegfried, und er schuf die Götterdämmerung. 1872 erfolgte der Entschluss zur Übersiedelung nach Bayreuth, und die Grundsteinlegung des Festspielhauses fand statt. Das Haus in Tribschen ist heute ein Richard-Wagner-Museum und beherbergt auch eine Sammlung historischer Musikinstrumente.
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY, 1809−1847
KOMPONIST, PIANIST, DIRIGENT
Felix und seine Geschwister wuchsen in einer besonderen Familienkonstellation auf. Der Philosoph Moses Mendelssohn war ihr Großvater, ein Freund von Lessing und dessen Vorbild für Nathan der Weise. Der Vater Abraham ermöglichte als erfolgreicher Bankier den Kindern eine alles umfassende Ausbildung. So beherrschten Felix und seine 4 Jahre ältere Schwester Fanny, zu der er zeitlebens ein sehr inniges Verhältnis hatte, fünf Sprachen. Neben Deutsch auch Latein, Griechisch, Französisch und Englisch. Sport gehörte ebenso zum Tagesablauf wie die musikalische Ausbildung. Als man Felix ein Kompliment für sein Klavierspiel machte, erwiderte er: „Sie sollten erst meine Schwester hören!“ Kompositionsunterricht erhielten sie von Friedrich Zelter, einem Freund Goethes, dem er die Wunderkinder vorstellte. 1822, Felix war 13-jährig, reisten Eltern und Geschwister erstmals in die Schweiz. Von Schaffhausen ging es nach Interlaken. Die Wengener Alp, das Haslital wurden besucht, die Familie reiste weiter an den Genfer See. Dort begann Felix die Komposition seines Opus 1, einem Klavierquartett. Die eigene Tonsprache ist hier bereits deutlich zu hören. Auf der Heimreise machte man bei Goethe in Weimar Halt. Felix spielte für ihn, und Goethe schenkte ihm seinen Klavierstuhl. Zurück in Berlin, komponiert er zwei Sinfonien für Streichorchester, die Nummern 9 und 11, mit Schweizer Themen.
Ein Ländler ertönt, ein Emmentaler Hochzeitstanz wird einbezogen. „Es ist wirklich in keinem Traum ein solch reizendes Land zu sehen.“ Die erlebte Landschaft überträgt er in seine Musik. 1831, auf der Rückreise von Italien, wandert Mendelssohn von Genf bis an den Bodensee. Er berichtet in Briefen an die Familie. Regen und Wind stören ihn nicht. „Bei heiterem Himmel muss das Vergnügen gar nicht auszuhalten sein.“ Er führt ein Skizzenbuch mit sich und hält darin die Landschaften fest. An manchen Orten malt er Aquarelle, alles von beachtlicher künstlerischer Feinheit. Im August ist er Gast im Kloster Engelberg. Er fantasiert auf der Orgel. „Die Mönche haben mich eingeladen, morgen früh den Feiertag ein- und auszuorgeln. So nahm ich denn meinen Platz unter den Mönchen, der wahre Saul unter den Propheten…“ Als Mendelssohn 1847 von einer Konzertreise aus England zurückkehrt, erhält er die Nachricht vom Tod seiner Schwester Fanny. Er ist zutiefst erschüttert. Die Ärzte empfehlen Erholung in Baden-Baden. Von dort reist er nach Thun in die Schweiz und in Erinnerung an glückliche Zeiten zwei Wochen später nach Interlaken.
Er wandert und aquarelliert und plant eine „Schweizer Symphonie“. Es entsteht das Streichquartett op. 80, ein ungewöhnliches Werk einer erschütterten Seele. Er bezeichnet es als Requiem für Fanny. An seine Schwester Rebecca schreibt er am 29. Juli: „[…] Ich habe nur immer den einen Gedanken, wie kurz die Lebenszeit sei.“ Wenige Monate später, am 4. November 1847, erst 38-jährig, stirbt Felix Mendelssohn in Leipzig. 1934 ließ eine menschenverachtende Politik sein vor dem Gewandhaus in Leipzig aufgestelltes Denkmal einschmelzen. Die Musik von Felix Mendelssohn ist uns aber erhalten und sie ist unvergänglich.
JOHANNES BRAHMS, 1833−1897
KOMPONIST, PIANIST UND DIRIGENT
Musikalisch ist Brahms mit der Schweiz eng verbunden. Im Juni 1865 hatte er seinen ersten Auftritt in der Schweiz. In Basel spielte er mit großem Erfolg den Klavierpart in seinen beiden Klavierquartetten g‑Moll und A‑Dur. Im Herbst wirkte er in Zürich in 4 Konzerten, so u.a. in Robert Schumanns Klavierkonzert und in seinen eigenen Paganini-Variationen, auch hier vom Publikum herzlich aufgenommen. Im Sommer darauf reist er zu seinem Verleger nach Winterthur, dann durchs Berner Oberland und mietet sich in Zürich ein. Sein Tag beginnt um 5 Uhr, er arbeitet am Deutschen Requiem. Es entwickelt sich eine rege Konzerttätigkeit. Nach Basel und Zürich folgen zunächst Winterthur, Aarau und Zofingen. Brahms schätzte die Größe und Qualität der Schweizer Chöre und dirigierte seine neuesten Chorwerke in Basel und Zürich, darunter 1874 das Triumphlied op. 55 für achtstimmigen Doppelchor. Bei der Aufführung in Zürich waren fünf gemischte Chöre beteiligt.
Es entwickelten sich Freundschaften mit Victor Widmann, Redakteur beim Berner „Bund“, Friedrich Hegar, Chorleiter in Zürich, dem Dichter Gottfried Keller. In den Sommermonaten 1886 bis 1888 lebte Brahms in Thun. Er hatte in Hofstätten, heute mit Thun eingemeindet, eine Wohnung gefunden, mit Sicht auf die Berge und die Aare, die hier den Thunersee verlässt. Ausgedehnte Wanderungen im Berner Oberland, die Begehung des 2362 m hohen Niesen, der den Thunersee dominiert, animieren auch ihn: Ein Alphorn-Motiv verwendet er im Finale seiner 1. Symphonie. In Thun entstehen bedeutende Werke der Kammermusik: die 2. Cello-Sonate in F‑Dur op. 99, das 3. Klaviertrio op. 101, das Doppelkonzert für Violine und Cello op. 102, die 3. Violinsonate op. 108. In den drei Thuner Sommerjahren entstehen auch zahlreiche Lieder, u.a. die Zigeunerlieder op. 103. Brahms reiste viel zu Aufführungen seiner Werke, als Dirigent, als Pianist.
1895 folgt er der Einladung zur Eröffnung der Neuen Tonhalle in Zürich und dirigiert sein Triumphlied. An der Decke der Tonhalle war sein Portrait neben Beethoven und Wagner verewigt. Am 3. April 1897, mit 63 Jahren, stirbt Brahms in Wien an Leberkrebs. Er wird auf dem Zentralfriedhof neben Beethoven und Schubert beigesetzt.
Viele Dichter, Maler und Musiker sind mit der Schweiz verbunden. Auch die Komponisten Franz Liszt, Richard Strauss, Béla Bartók, Igor Strawinsky und Paul Hindemith lebten und wirkten zeitweilig hier, erhielten Anregungen und brachten sie in ihre Werke ein − und das setzt sich bis heute fort.