Antizipation in der abstrakten Kunst von Kenneth Blom
Schicht für Schicht lagert Kenneth Blom das Materielle, seine Farben, übereinander, setzt, schabt, kratzt, wischt auf der gesamten Leinwand, Strukturen entstehen, Stimmungen – bis der Maler das Farbklima einfasst in architektonische Räume. Der eine Moment: eingefroren. Voller Spannung, was im nächsten Moment geschehen wird! Denn dem Künstler ist nicht der Weg bis hierher wichtig, sondern jetzt beginnt etwas Neues, von hier aus
Kenneth Blom ist durch und durch ein humanistischer Maler: Seine abstrakte Technik ist ebenso menschlich wie die figurativen Ankerpunkte, die dann am Ende doch immer auf seinen Leinwänden entstehen – und so seine Kunst ins Leben holen. Diese emotionalen Impulse, die den Betrachter in das Bild ziehen, lösen die subjektiven Assoziationsketten aus, die wir (oftmals) brauchen, um unser Selbst mit einbringen zu können. Auf diese Weise öffnet Kenneth uns die Tür, die allein dazu dient, unsere Geschichte zu finden. Erinnern Sie sich an die Schlafenszeit in Ihrer Kindheit? Wir wurden ins Bett gebracht und dann alleine gelassen. Während der Tag in uns ausklang, begannen wir unbewusst, in Tapeten, Kissen oder der Glaseinfassung der Tür Muster zu sehen, die sich schemenhaft langsam in der eigenen Fantasie zu Gebilden, ja meist zu Wesen formten, und wir mit ihnen eine gute oder gruselige Geschichte entsponnen.
Wahrscheinlich ist es ein archaischer Instinkt in uns Menschen, der uns immer Gegenständliches zu sehen versuchen lässt. Ein wenig erscheint mir Kenneths Arbeit wie eine erneute Befriedung der Karl Hofer’schen Haltung (im Grohmann-Streit), die „Unterscheidung einer gegenständlichen und ungegenständlichen Kunst sei absurd“. Ich meine, dass ohne die theoretische Herleitung der Braque’schen und Picasso’schen Dekonstruktion auch nie ein offiziell anerkanntes Verständnis für den Kubismus entwickelt worden wäre: Als wenn das menschliche Gehirn permanent bemüht sei, Abstraktes oder Leerstellen aufzufüllen und mit Gelerntem abzugleichen – selbst beim Löcher-in-den-Himmel-Starren suchen wir unwillkürlich nach Resonanz und entsteigen erst dann der Verunsicherung, wenn wir die Welt in uns durch Wolkenschafe erklären können. Ähnliche Probleme haben im Übrigen Kunstschaffende, wenn sie ihren Strich, ihr Sujet oder anderes Wiedererkennbares ändern, und so nicht mehr einfach in Kunstmarkt-Schubladen gepackt werden können. Allerdings ist dies auch oft der Moment, in dem wir sammelnden Kunstliebhaber uns abwenden, wenn wir also merken, dass sich der Künstler nur noch selbst kopiert.
Wir Sammler wissen auch, dass ein Kunstwerk unser ganz persönliches Leben verändern kann. Und was denkt Kenneth Blom über seine Arbeit? „Arbeit kommt von Arbeit, ohne Alkohol oder Drogen, das ist knallhart“, sagt er in einem Interview mit Nikola Kuhn. „Nach dem Kampf auf der Leinwand bleibt für mich immer etwas, das es wert ist, beschützt zu werden, ja, darauf Acht zu geben.“
Kenneth Blom ist nicht nur ein humanistischer Maler, weil er weiß, wie wir ticken, sondern auch, weil er das Leben als eine Reise zwischen Realität und Traum empfindet und Wahrhaftigkeit im Kollektiv sieht: „Eine echte Lebensgeschichte besteht darin, dass du Menschen brauchst, um dich im Leben zu fühlen.“ Der Schluss liegt nahe, dass Kenneth’ Bildsprache doch auch etwas mit seiner Herkunft zu tun hat: In Dänemark geboren, wuchs er in Oslo auf. Und in Norwegen führen die Menschen keinen äußeren Krieg, jedoch einen inneren: den gegen die Einsamkeit. Isolation und Distanz bewohnen seine Bilder. Der Faktor Mensch, eingefasst in die urbane Landschaftskonstruktion der Moderne, trifft auf das Konzept seiner Natur, zusammen sein zu wollen. Das, was Kenneth Blom in uns auslöst, hat er vorher nicht durchdacht. Und da er nicht gern über seine Kunst spricht, lässt er uns allein damit, wie die Geschichte nun weitergeht.
Der Däne (*1967) arbeitet vorrangig in Oslo, lebt aber auch viel in New York und Hong Kong. Ab 1994 studierte er nach vier Jahren an der Statens Kunstakademi in Oslo an der Düsseldorfer Akademie der bildenden Künste. Zwölf Jahre später gelang ihm das Unglaubliche: Als erster lebender Maler bekam er bei Sotheby’s in London eine eigene Ausstellung. Francis Outred (Head of Private Sales Contemporary Art) setzte sich dafür ein, dass diese Schau einfach einmal andere Wege als den traditionellen – mit einem Auktionator an der Spitze – ging. Direkt auffallend ist auch Kenneth’ offensiver Umgang mit seinen Bildern in Auktionen (knapp 50 laut artprice): Er postet sie – und man kann sich darauf verlassen, dass er auch den Zuschlagpreis dokumentiert. Mit seinen Galeristen hat er langjährige Bewunderer gefunden: In Oslo finden Sie seine Arbeiten seit 2002 in der Galleri Haaken, in New York seit 2010 bei McCoy und in Berlin bei Luisa Catucci.
Ich kann jedem nur ans Herz legen, diesem wunderbaren Menschen und seinen Bildern zu begegnen.