Mit Wolle malen

Elfi Baumgartner

DIE ENTSCHEIDUNG, WELCHES MEDIUM EIN KÜNSTLER ODER EINE KÜNSTLERIN WÄHLT, UM SICH AUSZUDRÜCKEN, IST IMMER EINE SEHR PERSÖNLICHE. IN DER MALEREI STEHEN TRADITIONELL DIE AUF PIGMENTEN BASIERENDEN TECHNIKEN MIT VERSCHIEDENEN BINDEMITTELN, WIE DAS FRESKO, DIE ÖL- ODER TEMPERAMALEREI, DIE GOUACHE, ODER DAS AQUARELL UND DIE SYNTHETISCHEN ACRYLFARBEN ZUR VERFÜGUNG. DOCH ELFI BAUMGARTNER WÄHLTE VON ANFANG AN: DIE WOLLE. AUCH SIE VERWENDET PIGMENTE, MIT DENEN SIE IHRE WOLLEN SELBST FÄRBT UND DADURCH IN DER TRADITION DER ALTEN MEISTER UND AUCH HEUTIGER BEDEUTENDER MALER STEHT, DIE IMMER IHRE FARBEN SELBST HERSTELLTEN UND IMMER NOCH HERSTELLEN.

Und genau die­se Suche nach der künst­le­ri­schen Frei­heit war der Grund, war­um sie sich wäh­rend ihres Stu­di­ums an der dama­li­gen Aka­de­mie für ange­wand­te Kunst, der heu­ti­gen Uni­ver­si­tät für Ange­wand­te Kunst, von der Gra­fik und dem Ent­wer­fen von Stoff­dru­cken der Gobe­lin­we­be­rei zuwand­te. Aus­schlag­ge­bend dabei war vor allem Josef Schulz, der dama­li­ge Assis­tent an der Meis­ter­klas­se für Mode und Tex­til von Ger­tru­de Höchs­mann. Nach Baum­gart­ners eige­nen Aus­sa­gen war er für sie die prä­gen­de Künst­ler­per­sön­lich­keit, von dem sie aber auch die tech­ni­sche Aus­bil­dung, vom Fär­ben der Wol­len bis zur Ord­nung des Arbeits­ma­te­ri­als, erhielt. Ihre Diplom­ar­beit ent­stand unter Schulz 1970 in der Meis­ter­klas­se für Male­rei von Carl Unger.

Elfi Baum­gart­ner am Web­stuhl, 2016

“…denn ‘geweb­te Far­be’ sieht und tas­tet man zugleich. (…) Eine uneben ungleich­mä­ßi­ge Land­schaft win­zi­ger Farb­kup­peln und far­bi­ger Schat­ten­tä­ler erblickt man; den hüp­fen­den Puls des far­bi­gen Fadens, den die schöp­fe­ri­sche Hand geführt.” 

Fried­rich Danielis

Josef Schulz, der spä­ter die Meis­ter­klas­se für Tex­ti­les Gestal­ten an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te lei­te­te, gehör­te mit Fritz Riedl zu den Erneue­rern der Tapis­se­rie-Kunst in Öster­reich. Letz­te­rer wur­de 1963 mit dem Preis der Bien­na­le von São Pao­lo aus­ge­zeich­net. Den Anstoß dazu gab nach dem Zwei­ten Welt­krieg eine Aus­stel­lung zeit­ge­nös­si­scher fran­zö­si­scher Gobe­lins in Wien. Vor allem die in enger Zusam­men­ar­beit mit der Gobe­lin­ma­nu­fak­tur in Aubus­son geschaf­fe­nen frei­en Arbei­ten von Jean Lur­çat öff­ne­ten neue Wege. Nun web­te man nicht mehr nach Ras­ter­kar­tons, son­dern nach eige­nen Skiz­zen. Die Künst­ler waren nun sowohl Ent­wer­fer als auch Aus­füh­ren­de, wobei sich Lur­çat noch strikt an das Num­me­rie­ren der Farb­melées hielt, um das exak­te Ver­viel­fäl­ti­gen durch die Manu­fak­tu­ren zu gewährleisten.

Riedl und Schulz schu­fen jedoch aus­schließ­lich Uni­ka­te, und genau die­ser Ansatz fas­zi­niert Elfi Baum­gart­ner: näm­lich die Frei­heit, je nach Licht und Stim­mung Flä­chen so zu gestal­ten, dass sie den Cha­rak­ter oder die Mal­tech­nik des Ent­wur­fes wie­der­ge­ben und ihr auch noch wäh­rend des Webens die Mög­lich­keit geben, mit der Wol­le zu malen. Ver­gleicht man die fer­ti­gen Gobe­lins mit ihren Ent­wurfs­skiz­zen, so erkennt man die Struk­tu­ren der Col­la­gen oder Ölkrei­den, oder den male­ri­schen Duk­tus des Aqua­rells. Mit der Zeit und der Erfah­rung wur­den ihre Ent­wür­fe immer skiz­zen­haf­ter, da ihr nun bewusst wur­de, wie sie die­se ver­ar­bei­ten konn­te. Bei den Skiz­zen han­delt es sich nun nicht um exak­te Vor­la­gen, die umge­setzt wer­den, son­dern um Moment­auf­nah­men von Stim­mun­gen, Farb­ein­drü­cken oder Erin­ne­rungs­bil­dern. Auch die aus­ge­führ­ten Tapis­se­rien wur­den immer abs­trak­ter, wie bei den Fel­dern in Kas­ti­li­en oder den Ber­gen von Tole­do, durch die sie vom Blick aus dem Flug­zeug beim Lan­de­an­flug in Madrid inspi­riert wur­de. Durch ihr gan­zes OEu­vre zieht sich als Grund­the­ma das Fest­hal­ten von Stim­mun­gen der Natur, wobei ins­be­son­de­re die Behand­lung des Lich­tes eine immer bedeu­ten­de­re Rol­le über­nimmt. So zer­flie­ßen wie in der Aqua­rell­skiz­ze auch im aus­ge­führ­ten Gobe­lin „Im Reich des Legu­an” die Far­ben durch die domi­nie­ren­de Lichtquelle.

Ihr Ansatz bleibt immer der­sel­be, ob es sich um eine per­sön­li­che Arbeit oder einen Auf­trag, ob es sich um klei­ne oder sehr gro­ße For­ma­te han­delt. Neben pri­va­ten Arbei­ten erhielt Elfi Baum­gart­ner zahl­rei­che groß­for­ma­ti­ge öffent­li­che Auf­trä­ge. So in ihrer Hei­mat­stadt Inns­bruck von der Spar­kas­se Tirol, von der Diö­ze­se von Tirol für den Dom von St. Jakob in Inns­bruck und von der Stadt Inns­bruck für die Olym­pi­schen Win­ter­spie­le von 1976, oder in Wien für das Sport­zen­trum in der Süd­stadt. Zwei der bedeu­tends­ten Auf­trä­ge wur­den von der Deut­schen Bank ver­ge­ben, der für die Zweig­stel­le Essen 1978 und für das groß­for­ma­ti­ge Tri­pty­chon in der Zweig­stel­le in New York 1983/84.

Die aktu­el­len Arbei­ten wer­den jetzt von ihren eige­nen Foto­gra­fien inspi­riert, wie z.B. in den Fel­dern von Cas­tel­luc­cio di Nor­cia, die sie nun ohne Skiz­zen − nur auf­grund des Erin­ne­rungs­bil­des − direkt am Web­stuhl kre­iert. Damit hat Elfi Baum­gart­ner die von ihr schon von Beginn an ange­streb­te völ­li­ge künst­le­ri­sche Frei­heit erreicht, das Malen mit der Wolle.

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Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Psychologie in Innsbruck und München, Dissertation über Clemens Holzmeister – Das architektonische Werk. 1978–1982 Albertina, 1982−1995 Art Director von Unicef in Genf/New York. 1995–2012 Direktorin des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste Wien mit Schwerpunkt zeitgenössische Zeichnung/Druckgraphik. Arbeitet an einer Publikation über die Geschichte der Akademie im Kontext der graphischen Sammlung.

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