Huang Yulong
Kunst ist immer eine Reaktion auf die Umstände ihrer Zeit. Sie ist nie „zeitlos“ – und Kunstschaffende, die diese Einsicht ablehnen und der Gegenwart zu entfliehen versuchen, riskieren unweigerlich zu scheitern. Huang Yulong gehört hingegen zu einer Generation junger chinesischer Künstler, die sich den Herausforderungen und Wirrungen der Zeit bereitwillig stellen: Er schafft Skulpturen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien, vom traditionellen chinesischen Porzellan bis hin zu Bronze, und seit Neustem auch aus Kristallglas.
Huang Yulong wurde 1983 in der Stadt Huaian, Provinz Anhui, geboren und begann seine künstlerische Laufbahn in der Nachbarprovinz Jiangxi – genauer gesagt, in Chinas Porzellanhauptstadt Jingdezhen. Nach Abschluss seines Bachelorstudiums der Schönen Künste mit Fachrichtung Bildhauerei am Jingdezhen Ceramic Institute 2007 begann er mit der Arbeit an seinen auffälligen „Hoodie“-Figuren. In seinem OEuvre kombiniert der Künstler fernöstliche Tradition und Symbolik mit moderner Hip-Hop-Ästhetik. Ein besonders bekanntes Beispiel sind seine Buddhas mit Kapuzenpullis: Kulturelle Mischformen, die im krassen Gegensatz zur verklärten, reinen Bilderwelt der chinesischen Tradition stehen und sie in die urbane Gegenwart katapultieren. Darin spiegelt sich Chinas rasante Verwandlung von einer in sich gekehrten, abgekapselten Gesellschaft hin zum heutigen wachsenden, zukunftsorientierten Staat, der den internationalen Wettbewerb nicht scheut.
Durch den Einsatz kultureller Symbole und Attribute sowie durch Verweise auf Konzepte, Ideologien und Philosophien aus Vergangenheit und Gegenwart vermittelt uns Huang Yulong seine Idee der Identität. Er versucht nicht, kulturelle Grenzen abzutragen oder die Linie zwischen „niedrig“ und „gehoben“ zu verwischen: Yulong umreißt ganz einfach die neue Realität, der er selbst und Millionen anderer junger Erwachsener aus der chinesischen Post-’80-Generation, die unter dem plötzlichen und impulsiven Einfluss fremder Kulturen aufgewachsen sind, angehören.
Huang Yulongs Begeisterung für Hip-Hop prägt seit fast 10 Jahren sein Schaffen. Er ist fasziniert von der freien, leidenschaftlichen und rebellischen Attitüde des Genres und vermittelt durch seine Arbeit die geballte Kraft der Gefühle, die ihn durchströmen, wann immer er Rap hört oder zu Hip-Hop tanzt. Huang Yulong entdeckte Hip-Hop, noch bevor er sich für Kunst zu interessieren begann. Noch an der Oberschule half ihm diese „unbekannte, neue“ Art der Musik, den Stress und die Belastungen des Teenagerlebens zu bewältigen. Was als Vernarrtheit in etwas grundlegend anderes und betörend Fremdes begann, wurde bald schon zu einer festen Bindung an eine besondere Wesensart und Lebensweise.
Yulongs Wissen und Sichtweise sind entscheidend von der chinesischen Kultur geprägt, und der Künstler bereichert seine Arbeit durch Elemente seiner eigenen Traditionund seines kulturellen Erbes.
Ganz gleich, ob er ein Bildnis des Buddha, eines prominenten Kommunisten, eines mythischen Zentauren verwendet oder einfach eine Skulptur eines Menschen anfertigt – Hoodies, ein Kernelement der Street Fashion, sind und bleiben die unabdingbare Konstante in all seinen Werken. Die Figuren haben kein Gesicht. Huang Yulong erklärt: „Ich stecke all meine Gefühle in dieses Geschöpf mit seinem Kapuzenpulli. Durch das Fehlen von Kopf und Gesichtszügen vermeide ich unnütze Informationen und gebe allein durch Haltung und Körpersprache Hinweise auf seine Persönlichkeit. Mit der Kapuze vervollständige ich die Figur: Der Kapuzenpulli wird zur Figur und ihrem Charakter.“
Die sinnträchtige Leere unter der Kapuze von Yulongs Figuren soll nicht zuletzt auch dem Betrachter Raum für Kontemplation bieten und seine Fantasie anspornen. In der chinesischen Kunst gilt die Leere als Element, mit dem der Künstler dem Betrachter Respekt zollt. Der Hang der Künstler, in traditionellen chinesischen Landschaftsbildern wie auch in Gemälden mit unterschiedlichsten Motiven große leere Flächen einzubauen oder auf die Perspektive zu verzichten, lässt darauf schließen, dass der Betrachter zu seiner ganz persönlichen Sichtweise betreffend die Kunst im Spezifischen und die Weltordnung im Allgemeinen berechtigt ist.
Huang Yulong widmet sich seit Jahren dem eingehenden Studium der chinesischen Kultur mit ihrer jahrtausendelangen Geschichte und ihrem reichen Erbe. Allerdings, so sagt er selbst, ist „ihre Spannweite kaum fassbar“ – er selbst „kratze lediglich an der Oberfläche“ Chinas unerschöpflicher Quelle der Traditionen.
Nichtsdestotrotz schafft es der Künstler, ausreichend symbolische und kulturelle Indizien einzubauen, um uns den Sinn seiner Werke erahnen zu lassen und die Verbindung zwischen West und Ost zu begreifen. Seine Hoodies, die nicht selten mit dem für Hip-Hop typischen Bling-Bling in all seinen Ausprägungen versehen sind, haben anfangs nichts Fernöstliches an sich – zumindest so lange, bis der Blick auf die offene Handfläche an der Faust trifft und eine uralte chinesische Form des Grußes erkennt.
Huang Yulong kombiniert Konventionen, Philosophien und Ideologien aus Ost und West und nimmt ihnen ihre Struktur und Logik: Die so entstandene unkenntliche Masse ist ihrerseits ein neues Kunstwerk und ein neues kulturelles wie auch soziales Paradigma. Sie ist das neue Gesicht seiner Generation, ein neues, aktuelles Symbol für unsere Zeit der Diversität und der Integration, der Konfusion und Unsicherheit. Yulong will keine Vorgaben schaffen, sondern vielmehr Orientierungshilfen – keine Statements geben, sondern Gefühlen Ausdruck verleihen und eine zunehmend komplexe Wirklichkeit sowie die Rolle der Kunst innerhalb dieser Wirklichkeit hinterfragen.