Die radikale Gemeinschaftsexistenz
WER KENNT EVA & ADELE NICHT, WIE SIE EINEM SEIT JAHRZEHNTEN FREUNDLICH LÄCHELND BEGEGNEN? ‒ BEI GROSSEN KUNSTEREIGNISSEN WIE DER BIENNALE IN VENEDIG, DER DOCUMENTA UND KUNSTMESSEN AUF DER GANZEN WELT ODER AUCH MAL UM DIE ECKE, IN IHRER WAHLHEIMAT BERLIN BEI EINER OPERNPREMIERE.
Das Markenzeichen des Künstlerpaares Eva & Adele ist die Grenzüberschreitung der Geschlechter und die Erweiterung der Ausstellungsfläche, welches sie über „Over the Boundaries of Gender“ und „Wherever we are is Museum“ manifestieren. Um gewohnte Sichtweisen, Begriffe und Zusammenhänge zu hinterfragen, leben EVA & ADELE seit 1991 zusammen und erschaffen ein gemeinsames, konzeptionell angelegtes Werk: Indem sie stets zusammen, gleich gekleidet, lächelnd in der internationalen Kunstwelt auftreten. Die Künstlerinnen kommen von ihrem Selbstverständnis aus der Zukunft, denn mit ihrer permanenten Futuring-Performance leben sie eine radikale Gemeinschaftsexistenz, um die Vision einer neuen Rollendefinition aufzuzeigen. In ihrer Idee vom Futuring gibt es deshalb auch keine gespielten Rollen des Weiblichen oder des Männlichen: „Coming out of the future“ ist etwas Zukünftiges tun, es wagen, es riskieren, so die beiden.
EVA & ADELE existieren im Zustand der Permanenz. In diesem leben sie ihre Performance 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, ohne Anfang oder Ende, tagein, tagaus.
EVA & ADELE sind mit ihrem konzeptuellen Anspruch „Over the Boundaries of Gender“ gleichsam „in der Kunst und in der Natur“. Mit ihrer gewählten Lebensweise und ihrer Liebe zueinander haben sie sich bis heute äußeren und inneren Gefahren ausgesetzt und leben eine gemeinsame Existenz. Ihr Konzept „Futuring“ zeigt ebenso ihren Mut wie die Kühnheit, mit Energie und Verwegenheit buchstäblich im Laufschritt ihre Ideen um die Welt zu tragen. Von ihren weltweiten Auftritten und der daraus resultierenden Presse und Medienpräsenz erzählen sie mit einem Augenzwinkern − da die Kaktusblüte ja auch nur einen Tag erblüht − in der fortlaufenden Serie „Mediaplastic Cactusblossum“ (2018). Dafür setzen sie ihre Fotoaufnahmen aus Tageszeitungen und Magazinen in Malerei um. Auch die Malerei der Werkgruppe Cum basiert auf Fotografien, die EVA & ADELE von Ausstellungsbesuchern zugesandt wurden, in denen sie gemeinsam fotografiert wurden.
Ihre Videoarbeit „Kisses in the Supermarket“ aus dem Jahr 1997 beispielweise setzt sich humorvoll mit der Idee auseinander, dass sie selbst in einem New Yorker Supermarkt, beim Einkauf von Lebensmitteln, ihren Alltag als Performance leben, indem sie stets proklamieren: „Wherever we are is Museum.“ Ein wichtiger Komplex ihres internationalen Wirkens sind die glamourösen „Wings“-Kostüme (1992, 1995, 1997) und ihre darauf basierenden Videoarbeiten „WINGS I, II, III“ (1997,1998). Es existiert ein dazugehöriger Komplex an Kostümplänen mit 162 Blättern. Darin halten EVA & ADELE seit Jahrzehnten akribisch jedes Outfit mit den dazugehörigen Paar Strümpfen, Schuhen, Handtaschen, Schirmen etc. fest.
Die sehr inspirierende Begegnung mit EVA & ADELE anlässlich der Ausstellungseröffnung im me Collectors Room in Berlin haben wir genutzt, um den beiden noch drei ganz persönliche Fragen zu stellen.
Das Thema dieser Ausgabe MilionArt Kaleidoscope 2.18 lautet DIVERSITY. Was verbinden Sie damit?
„Diversity“ ist uns sehr wichtig, besonders die Vielfalt der künstlerischen Medien, mit welchen wir uns ausdrücken: Performance, Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video, Film, Fotografie.
Seit der Gründung Ihrer Marke hat sich gesellschaftlich im Hinblick auf Toleranz einiges verändert. Denken Sie, dass Sie beide dazu beitragen konnten, bestimmte Muster aufzuweichen? Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
Ja, definitiv haben wir dazu beigetragen, indem wir eine permanente, weltweite und unendliche Performance als EVA & ADELE vorführen. Wir sind Symbol für die Vielfältigkeit und Phantasie der Definition des eigenen Geschlechts und der Behauptung von Andersartigkeit. Unser Bild ist medial global seit 1989 verbreitet worden. Seit 2013 wird unser Werk im deutschen Ethik-Religionsbuch für die Oberstufe thematisiert.
Welche Projekte haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?
Einige. Eines der schönsten wird die Zusammenarbeit mit dem Österreicher Dr. Alfred Weidinger, Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig sein. In dieser Ausstellung 2019 in Leipzig wird der Beginn des gemeinsamen Werkes im Zentrum der Ausstellung stehen.
Im me Collectors Room Berlin läuft bis 27. August 2018 unter dem Titel „L’amour du risque“ eine umfassende Schau ihres Jahrzehnte währenden Lebens und Schaffens. Erstmals sind in einer retrospektiv angelegten Gesamtinstallation Werke des Künstlerpaares aus den letzten 25 Jahren in Berlin zu sehen. Sie dokumentieren ihre radikal konzeptionelle Kunst und Lebensführung, von denen ‒ trotz ihrer internationalen Bekanntheit ‒ nur wenige wissen.
Mehr Infos: www.me-berlin.com/eva-adele