Künstlerphilosoph ist Derjenige, der seiner empraktischen Eingebung eine Form, einen Stil gibt. Was aber ist „empraktische Eingebung“? Wahnsinn? Verrücktheit? Genialität? Empraktische Eingebung ist leiblich-seelischer Gestaltungswille – Wille zur Form, gestaltetes Chaos.
Künstlerphilosoph ist demzufolge derjenige, der dem Empraktischen einen Stil gibt. In der Künstlerphilosophie geht es nicht um die Reflektion über Kunst oder das Anklatschen von „Kunst“ an die Philosophie, sondern um die Formung der Philosophie zur Kunst. Es gilt eben nicht nur, dass echte Philosophie nur dann Philosophie ist, wenn sie mathematisch-logische Wissenschaft ist, sondern Philosophie ist erst Philosophie, wenn sie ästhetisch ist. Das Wahre ist nicht vom Schönen zu trennen.
Kunst ist Lebtum, geformtes Leben.
Es gibt zwei Arten von Künstlerphilosophen: die empraktischen und die performativen. Oder um es mit Nietzsche zu sagen: die Dionysiker und die Apolliniker. Es gibt Ereignis-Künstler und es gibt Erlebnis-Künstler. Es gibt die Kunst der Autoevolutionären und der Transhumanisten. Die Performativen haben keine empraktische Eingebung. Sie inszenieren. Sie glauben, man kann alles instrumentell inszenieren. Sie sind nicht empraktisch, leiblich-seelisch, mit dem verwurzelt, was sie zeigen. Es gibt vielleicht Momente der Improvisation, in denen sich das Empraktische zeigt, die aber immer wieder mit der Inszenierung in der Wurzel erstickt werden. Der Künstlerphilosoph ist nicht einfach Empraktiker, sondern Expraktiker. Er steht außerhalb des alltäglichen Lebensvollzugs. Insofern ist er Verkörperung absoluter Unabhängigkeit. Diese Absolutheit, dieses Abgetrenntsein vom Leben der meisten gefährdet ihn und lässt ihn als Gefahr erscheinen.
Der Künstlerphilosoph radikalisiert die Empraxis hin zur Expraktik. Er ist ein Außenstehender, ein Überallemstehender. Er ist der Souverän. Souveräne Kunst ist Expraxis als ekstatische Empraxis. Die Souveränität des Künstlerphilosophen besteht in expraktischer Entschiedenheit. In expraktischer Entschiedenheit werden Grenzen gesprengt, um neue zu setzen. Der Künstlerphilosoph überschreitet Grenzen, seine Kunst ist die der Überschreitung. Die Unordnung der Lüste und Begehren im Expraktischen hat sich vor keinem Guten zu rechtfertigen. Sie ist das Sein jenseits von Gut und Böse, durch das erst Gut und Böse unterscheidbar wird. Künstlerische Souveränität hat sich nicht mit Nützlichkeit zu rechtfertigen – sie ist der Sinn via negationis von allem und jedem, das Absolute.
Der Künstlerphilosoph ist kein Humanist, sondern ein Ex-Humanist, ein ekstatischer Humanist, ein nihilistischer Humanist, ein Humanist per Nihilismus. Er ist dekadent, kulturfeindlich. Wenn er das Wort „Kultur“ hört, entsichert er seinen Revolver. Sein ästhetischer Utopismus, sein Metatropismus, wendet sich gegen den Geist falscher Wertschätzungen, gegen die moralische Vergiftung der political correctness. Er bekämpft den Krebs des Empathiemenschentums, den man bekommt, wenn man zu viel Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ liest. Der Künstlerphilosoph negiert Tabus, um neue Werte zu setzen. Verbote werden gebrochen für die Setzung neuer Gebote. Das ist geboten. Der Künstlerphilosoph ist ein Brecher, ein Aufbrecher. Er steht auf der Schwelle zum Verbrecher-Sein. Seine Zeit ist die Schwellenzeit, die Abbruchs- und die Einbruchszeit, die Absprungszeit.
Seine Souveränität besteht darin, dass er den Absprungspunkt zeitgenau trifft, dass er im Lauf der Zeit die Zeit überspringt. Er springt in das Nichts und trifft dadurch die Ereigniszeit. So beweist er sich als Souverän. Er springt in das Nichts, um alles zu bekommen. Er bricht mit dem So-Sein, er bricht aus dem Da-Sein aus, er ist außer dem Sein, um anderes als bloßes Dasein zu sein. Souverän ist, wer über die Unabhängigkeit verfügt.